Oper

Rusalka

Antonín Dvořák

Lyrisches Märchen in drei Akten Libretto von Jaroslav Kvapil

Premiere 7. Mai 2022

In tschechischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Stück-Info

Die Nixe Rusalka liebt den Prinzen und will, um für immer bei ihm sein zu können, ein Mensch werden. Mit ihrer Stimme bezahlt sie die Hexe Ježibaba für die Verwandlung und verlässt Heimat und Familie. Rusalkas Erscheinen bei den Menschen berückt den Prinzen zunächst, doch das magische, stimmlose Wesen bleibt ein Fremdkörper in der Menschenwelt und schließlich wendet sich der Geliebte von ihr ab – was für ihn den Tod und für sie die Verbannung bedeutet. Mit großer musikdramatischer Verve vertonte Dvořák in seiner 1901 in Prag uraufgeführten Märchenoper die gegensätzlichen Welten des geisterhaft fließenden Unterwasserreichs und des distanziert steifen Königshofes. Mit dem gleichnishaften Stoff über den Wert der eigenen Identität, die Bedeutung der menschlichen Seele und die Wandlung der Hauptfigur Rusalka von der romantischen Nixe zum leidensfähigen liebenden Menschen ohne wirkliche Heimat gibt der international arbeitende Regisseur Christof Loy sein Debüt in der Semperoper.

Handlung

Im Königreich des Wassermanns hat sich eine seltsam-geheimnisvolle Theaterfamilie zusammengefunden: der melancholische und zugleich jähzornige Wassermann, die allwissende und gefürchtete Ježibaba, die Waldnymphen, die wie Ballerinen über die Bühne schweben, und schließlich Rusalka, die Lieblingstochter des Wassermanns, die sich sehnlichst wünscht, wie ihre tanzenden Schwestern durch die Lüfte schweben zu können. Aber auch Spaßmacher und verträumte Clowns gehören zu dieser Welt der Illusionen und Träume. Es ist ein Reich der Fantasie, aber auch der Desillusionierung, in dem sie alle leben. Und noch schlimmer: Der Wassermann, der die Menschen hasst, erlaubt seinen Töchtern nicht, seine Welt zu verlassen. 

1. Akt 
Rusalka sehnt sich nach einem anderen Leben, einem Leben, in dem sie einem Mann angehören und dessen geliebte Frau sein kann. Sie wünscht sich eine Seele, die nach einem erfüllten Leben unter den Menschen in den Himmel aufsteigt. Sie bittet ihren Vater, sie freizugeben. Er hat immer befürchtet, dass er sie nicht halten kann. Wie ein betrogener Liebhaber verstößt er seine Tochter und wünscht ihr alles erdenkliche Unglück. Rusalkas Stiefmutter Ježibaba schickt sie in die Welt hinaus und auch sie prophezeit, dass sie auf ihrem Lebensweg scheitern wird. Wie die Hexe im Märchen spricht sie einen Fluch über Rusalka aus, bevor diese sie verlässt: Zuerst wird sie ihre Sprache verlieren, und wenn sie einen Mann findet, der sie liebt, ihr aber nicht treu ist, wird er für seine Untreue mit dem Leben bezahlen. Rusalka aber setzt ihren Weg unbeirrt fort. Sie glaubt an die Liebe und an die Kraft einer unschuldigen Seele. Nun kann sie schweben und tanzen wie eine Feder. Und wie sie es sich in ihren schönsten Träumen ausgemalt hatte, findet ein junger Prinz sie in ihrer Welt und nimmt sie mit – weit weg von einer Kindheit, die so behütet schien, sich aber mehr und mehr als Gefängnis entpuppt hat. Die Freiheit und das Glück, das die Liebe bringt, scheinen zum Greifen nah. Rusalka ist in der Tat sprachlos vor Glück.

2. Akt
Der Prinz hat Rusalka mit auf sein Schloss genommen, und eine Woche nach ihrem ersten Treffen will er sie bereits heiraten. Das Hochzeitsmahl steht bereit. Doch alles geht so schnell, dass Rusalka ihr Schicksal kaum begreifen kann und noch immer nicht die Sprache wiedergefunden hat. Zweifel quälen sie, ob sie des Prinzen würdig ist. Auch der Prinz fühlt sich kurz vor der Hochzeit zutiefst verunsichert und weiß nicht, ob dieses seltsame, stumme Wesen ihn glücklich machen wird. Er wünscht sich, sie würde seine Leidenschaft mit deutlicheren Zeichen erwidern. Doch Rusalka kennt die Ausdrucksformen der menschlichen Liebe nicht und schweigt. Eine fremde Fürstin, die zur Hochzeit eingeladen ist, erkennt die Zweifel des Prinzen und weiß seine Schwäche auszunutzen. Sie verspottet ihn, weil er eine stumme und geheimnisvolle Frau heiraten will, und macht sich schließlich daran, den Bräutigam in Gegenwart seiner Verlobten zu verführen. Rusalka, die an die Güte und Aufrichtigkeit der Menschen und besonders an das Wort und die Liebe ihres Prinzen geglaubt hat, muss sich eingestehen, dass ihr Vater Recht hatte. Der Wassermann hat sich unter die Hochzeitsgäste gemischt und ist Zeuge des Scheiterns seiner Tochter in der großen, weiten Welt. Rusalka hingegen macht ihm Vorwürfe, dass er selbst für ihre Unfähigkeit, sich dem Prinzen hinzugeben, verantwortlich sei: Seine Kälte ist ihre Mitgift. Als Rusalka sieht, wie der Prinz vor ihren Augen seinen Liebesschwur verrät, brechen all ihre Illusionen zusammen und mit ihnen ihr Traum einer märchenhaften Liebe. 

3. Akt 
Rusalka ist heimatlos. Sie kehrt noch einmal zu ihrer Familie zurück, doch sie weiß, dass ihr Vater sie niemals wiederaufnehmen wird. Und als Ježibaba ihr rät, den Prinzen zu töten, um sich so von dem Fluch zu befreien, sagt sie sich endgültig vom Reich des Wassermanns los. Lieber will sie unerlöst leben, als den Menschen, den sie noch immer liebt, zu töten. Sie geht in ein Zwischenreich ein. Der Wassermann trauert mit den tanzenden Nymphen um den Verlust der Tochter und Schwester. Doch der Prinz sucht Rusalka in ihrer neuen Welt auf. So wie sie sich langsam in ihrem Liebesschmerz auflöst, so löst auch der Prinz sich auf: Vom schlechten Gewissen getrieben, Rusalka verraten zu haben, hat er sich von den Menschen und der Zivilisation losgesagt und möchte wieder mit ihr vereint sein. Zum ersten Mal kann Rusalka mit ihrem Prinzen sprechen. Gemeinsam versuchen sie zu verstehen, warum ihre Liebe zum Scheitern verurteilt war. Rusalka kann ihm verzeihen und küsst ihn. Mit diesem Kuss der Vergebung löst sie den Fluch ihrer Eltern und den Fluch der verlogenen Welt, der auf ihm lastete. Alles ist miteinander verwoben: Liebe und Schuld, Schönheit und Schmerz. Rusalka bittet Gott, sich der Menschen zu erbarmen. 

von Christof Loy

Werkeinführung

Antonín Dvořáks erfolgreichste Oper »Rusalka« ist seit ihrer umjubelten Uraufführung 1901 neben Bedřich Smetanas »Die verkaufte Braut« die bis heute meistgespielte tschechische Oper des Repertoires. Regisseur Christof Loy übersetzt das Märchen der verliebten Wassernixe in die Geschichte einer jungen Frau, die sich aus ihrem (zu engen) Familienverbund lösen und auf eigenen Beinen stehen will. Operndramaturgin Juliane Schunke gibt Einblicke in das musikdramatisch reiche und psychologisch vielschichtige Werk.

Porträtzeichnung der Dramaturgin Juliane Schunke
Juliane Schunke, Dramaturgin; Zeichnung nach einem Foto von Ian Whalen

Regie

Es fehlen ihr die Worte

Gedanken des Regisseurs Christof Loy zu seiner Inszenierung von »Rusalka« (November 2020)

»Es ist durchaus nicht eindeutig in der Welt von Antonín Dvořák, Jaroslav Kvapil und auch Karel Jaromir Erben, den ich als Paten dieser Oper sehe, ob man die Naturwelt als unbeschädigtes, heiles Territorium sehen kann, und die Welt der sogenannten Menschen als verderbte, geschädigte Zivilisation. Alles scheint vielmehr von den verschiedenen Richtungen durchdrungen, das Reich des Wassermanns, der die mächtigste Gestalt in der Oper zu sein scheint, ist von Liebe und Zärtlichkeit, aber auch von Verlustangst und Drohmechanismen bestimmt. Ganz zu schweigen von den dunklen und gefährlichen Elementen, von denen die Rede ist, wenn es um den Grund des Sees geht, oder die destruktiven Seiten der Ježibaba.

Es ist aber auch ein Reich der Illusionen und der Fantasie. Ein Reich der Träume, in denen Liebe und Sinnlichkeit wie eine Chimäre erscheint – nicht greifbar und unerreichbar. Zugleich ist es für die Elterngeneration aber auch ein Reich der Desillusion. Für Ježibaba und ihren Lebensgefährten haben sich die geträumten Träume nicht erfüllt, wie für einen Theaterdirektor, der nicht das erreicht hat, was er wollte und gestrandet mit seiner Künstlerfamilie in einem leeren Theater hockt. Man weiß nicht, ob die Natur, das Felsgestein, sich schon über Jahrhunderte in die Architektur gefräst hat, oder ob es sich um Kulissenteile handelt, die der Theaterdirektor in die Eingangshalle gestellt hat, nun Wohnhalle und Spielort der Theaterkinder.

Hier kann seine Lieblingstochter Rusalka Meerjungfrau sein, und ihr körperliches Gebrechen, das sie am Laufen und Tanzen hindert, in melancholischen, wissend-traurigen Träumen vergessen. Die Waldnymphen sind noch arglos und können noch dem Moment leben, die Ježibaba, ihrem Partner entfremdet, zieht sich in ihre Welt zurück. Eine gealterte Soubrette ohne Glamour, Hausfrau und Prinzipalin, die mehr in der Vergangenheit hängt. Und vielleicht war die Vergangenheit auch nie besser als die Gegenwart. Der Wassermann, der Ehemann, leidet unter seinem Fluch, seine Kinder zu sehr zu lieben. Und auch wenn er vielleicht Rusalka noch nie angefasst hat, existiert zwischen den beiden ein starkes Band, das aber auch nicht gesund ist, denn er gönnt diese Tochter auch niemand anderem.

Daneben gibt es noch anderes Theater- oder Zirkusvolk, das darauf wartet, dass ein Wunder geschieht. Vielleicht ist es ein Wunder, dass Rusalka, die nicht laufen, nicht tanzen kann, wie geheilt scheint und sich für sie der Weg in eine Zukunft öffnet, der den anderen verwehrt war oder den sie versucht hatten, und von dort hoffnungslos wieder in ihre alte Welt zurückgekehrt sind.

Wie in einem Theaterwunder sieht sich Rusalka ihrem Märchenprinzen gegenüber. Spielt das Theatervolk nun mit ihr ein neues Leben durch? Oder ändert sich ihr Leben wirklich? Und man weiß es nicht, aber verwandelt sich der schäbige heruntergekommene Entreesaal des Theaters für sie zur Lebensbühne, ein glattes, blankes Parkett, auf dem sie wieder von neuem ausgleitet? Das Leben, das Rusalka mit ihrer Theaterfamilie führte, ließ sie ersticken und sie fand nicht die Liebe, die sie suchte und niemanden, der mit ihr die Hoffnung auf ein unsterbliches Leben nach dem Tod teilen konnte oder wollte. Zu enttäuscht waren dort alle, zu nihilistisch. Und nun erweist sich, so moderig ihr früheres Leben auch schien, das neue Leben als schnelllebig, oberflächlich, hohl und leer. Der Prinz erscheint ihr plötzlich wie ein Sexprotz, und sie weiß nicht, ob sie es ist, die sich ihm nicht geben kann oder ob sie verwirrt ist, die Gelüste des Vaters plötzlich in ihm wiederzuentdecken und sie deswegen erstarrt. Die schöne Bühne wird zum Albtraum, in dem sich ein feuriges Liebesduett zwischen ihrem Prinzen und der fremden Fürstin, einer Königin der Nacht und Sexbombe, abspielt.

Es fehlen ihr die Worte. Sie findet keinen Platz. Als Braut, ausgestellt wie eine Grace Kelly bei ihrer Hochzeit in Monaco fühlt sie sich, als wenn man sie verspottet. Das Weiss des Brautkleides wird ihr zum Sinnbild ihrer eisigen Kälte, ihrer Unfähigkeit, Gefühle zu erwidern, ihrer Unfähigkeit, sich zu artikulieren. Der Akt endet mit einem apokalyptischen Szenarium, in dem der Vater versucht, den Prinzen und die Hofgesellschaft niederzustrecken. 

Im dritten Akt ist der Stein, der Fels wieder zurückgekehrt, ja hat noch mehr Besitz von der einstmals herrschaftlichen Architektur ergriffen. Als wenn der Wassermann Schutzwälle gegen die Welt von außen baut. Hier nun ziehen sich alle von Rusalka zurück, es ist auch nicht mehr der Ort, an dem Träume möglich sind. Aber sie bleibt sich selber treu und ihrer Liebe. Ihre Liebe verstört sogar die Natur, die unbarmherzig und grausam mit ihr ist. Umso großherziger verzeiht sie dem Prinzen, der zu ihr zurückkehrt. Ihr Kuss ist nicht ein Kuss, mit dem sie ihm den Tod gibt, sondern ewiges Leben. Nur sie selbst bleibt noch im irdischen Leben zurück und stellt sich weiter den Fragen, die die Welt ihr stellt. Sei diese Welt nun eine reale oder eine traumwandlerische, surreale.«

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