Junge Szene

Weiße Rose

Udo Zimmermann

Szenen für zwei Sänger*innen und Instrumentalist*innen Libretto von Wolfgang Willaschek

Premiere 11. März 2022

In deutscher Sprache

Stück-Info

Am 18. Februar 1943 werden die Geschwister Hans und Sophie Scholl beim Verteilen von Flugblättern in der Münchner Universität aufgegriffen und festgenommen. Mit ihren Schriften, die sie innerhalb der studentischen Gruppe »Weiße Rose« anfertigen, lehnen sie sich aktiv gegen den Nationalsozialismus auf und versuchen, die Menschen in ihrer Umgebung wachzurütteln und zum Widerstand aufzurufen. In Rückblenden und Traumbildern erzählt Udo Zimmermanns Kammeroper »Weiße Rose« von den letzten Stunden von Hans und Sophie Scholl und rückt dabei das private Schicksal zweier junger Menschen mit all ihren Ängsten und Hoffnungen in den Mittelpunkt. Der Dresdner Udo Zimmermann, einer der bekanntesten zeitgenössischen europäischen Komponisten, schuf mit seinem 1986 in der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführten Werk nicht nur eine reduzierte Weiterentwicklung seiner gleichnamigen Oper aus dem Jahr 1967, sondern auch eine der bis heute meistgespielten Kammeropern.

Angebot für Schulklassen:
Kooperation mit den Städtischen Bibliotheken Dresden zur Vor- oder Nachbereitung bzw. Ergänzung des Vorstellungsbesuchs

Stationenarbeit »Jugend im Widerstand« in der Zentralbibliothek
An vier Stationen erarbeiten sich die Lernenden Informationen zu den Widerstandsbewegungen »Leipziger Meuten« und »Weiße Rose«. Eine Station davon vermittelt Spezialwissen zu Udo Zimmermann und seiner Oper. 
Dauer: 90 Minuten 

Lesungen in der Zentralbibliothek
8. Mai 2023 Benjamin Knödler: »Young Rebels«
15. Mai 2023 Johannes Herwig: »Bis die Sterne zittern«

Anmeldungen für Stationenarbeit und/ oder Lesungen bitte an Frau Reinhold: m.reinhold@bibo-dresden.de 

Werkeinführung

Udo Zimmermanns »Weiße Rose« ist bis heute eine der erfolgreichsten Kammeropern. Sensibel und subtil handelt sie von den Widerstandskämpfern Hans und Sophie Scholl in den letzten Stunden vor ihrer Hinrichtung. Anlässlich der Neuinszenierung von Stephan Grögler in Semper Zwei gibt Dramaturgin Bianca Heitzer Einblicke in die Entstehung und Struktur des Werks und erläutert Zusammenhänge zwischen den historischen Vorbildern und den Figuren im Stück.

Porträtzeichnung Bianca Heitzer
Bianca Heitzer, Dramaturgieassistentin © Zeichnung Semperoper nach einem Foto von Ian Whalen

Pausengespräch mit Stephan Grögler

Mit der Inszenierung von Udo Zimmermanns Kammeroper »Weiße Rose« gibt der Regisseur Stephan Grögler sein Debüt an der Semperoper Dresden. Im Gespräch mit der Dramaturgin Bianca Heitzer erzählt er von seinen Erfahrungen mit dem Stück, von der Auseinandersetzung mit dem historischen Stoff und von seiner ersten Begegnung mit Udo Zimmermann.

Porträtzeichnung des Regisseurs Stephan Grögler
Stephan Grögler, Regisseur; Zeichnung Semperoper

Entstehungsgeschichte

Der Komponist Udo Zimmermann über »Weiße Rose«

Die »Weiße Rose« entstand zunächst als Oper in acht Bildern und sieben Rückblenden auf ein Libretto von Ingo Zimmermann und wurde am 17. Juni 1967 im Opernstudio der Dresdner Musikhochschule uraufgeführt. In den 1980er Jahren entwickelte Zimmermann gemeinsam mit dem Librettisten Wolfgang Willaschek für die Hamburgische Staatsoper eine konzentrierte und aktualisierte Fassung. Die Uraufführung fand am 27. Februar 1986 statt.

Den ersten Schritt zur Opernbühne hin unternahm ich 1967 mit einer Auftragsarbeit für das Opernstudio der Dresdner Musikhochschule. Ich hatte mir die Geschichte des Kreises der Münchner Studenten um die Geschwister Scholl als Stoff für ein Musiktheaterstück gewählt. Mein Bruder schrieb mir das Libretto. Die »Weiße Rose« schilderte das Schicksal jener Gruppe um Sophie und Hans Scholl, die aus christlichem Gewissen mit bloßen Händen Widerstand leisteten gegen die Zerstörung der humanen Werte, für Freiheit und Gerechtigkeit in Deutschland. Sie wussten, dass dieser Kampf gegen eines der unmenschlichsten Systeme mit ihrem Tod enden konnte. Aber ihr Glaube an eine bessere, gerechtere Welt war so stark, dass der Gedanke an den Tod sie nicht zurückhielt.

Oft habe ich mich damals gefragt, ob wir als Jugend auch so sein könnten. Besonders in den Abschiedsbriefen kommt das starke Bekenntnis zu Gott zum Ausdruck, ihre Sicherheit, in eine bessere, gerechtere Welt einzugehen, in jene Welt, wo sie sich alle wiedertreffen. Aber ist nicht die Angst vor dem Tod in uns mächtiger als der Glaube, der diese jungen Leute innerlich so wunderbar frei erscheinen lässt?

Die »Weiße Rose« spiegelt eine scheinbar typisch deutsche Verhaltensweise – Vergangenheit wird nicht bewältigt, sondern verdrängt und vergessen. Umgang mit der Vergangenheit heißt, sich erinnern lernen. Mich bewegte weniger die Frage nach der Bewältigung von Faschismus als die, wie wir mit Wahrheit umgehen. Franz Fühmann spricht von dem unteilbaren Wahrheitsbegriff. Ihn habe an den Scholls so sehr beeindruckt, dass es Leute waren, die schlicht sagten: »Wir haben nichts Besonderes, wir haben nur das Selbstverständliche getan.« Ich beobachte, dass bei der heutigen Jugend die Suche nach eigener Identität nicht sehr ausgeprägt ist. Überhaupt ein gewisser Halt im Weltbild, in einer Entscheidung, in einer Situation für sich selbst, in einer persönlichen Gewissensentscheidung ist nicht mehr so gefragt – das ist genau der Punkt. Von diesem ausgehend überlegte ich, wie ich die Jugend in meinem Stück erreichen könnte. Ich musste abstrahieren, weg vom flachen Realismus, weg vom deutschen Faschismus. Ich war der Ansicht, wir müssten von dem historischen Fall der Scholls abstrahieren. Es geht um eine Geschichte mit zwei jungen Menschen, die vor einer Hinrichtung stehen, die eine psychisch-physische Grenzsituation erleben. Die Scholls hatten einen Glauben, der so tief in ihnen verankert war, dass sie ganz unabhängig von den politischen Umständen wussten, was sie tun mussten. Ihr Ethos verbot ihnen mit einer Lüge zu leben, sie mussten ein Wagnis eingehen, und wenn es das Todes-Wagnis war. Das ist eine Haltung, die heute märtyrerhaft anmutet. Aus dieser Märtyrer-Ecke wollten wir die Scholls wegreißen. Wir fragen uns, was man getan hätte, wäre man damals selbst in einer solchen Situation gewesen. Und: was tut man heute zwischen Tatbereitschaft und Opportunismus? Man kann die Wahrheit nur finden, wenn man ständig sein Gewissen prüft, persönliche Verantwortung empfindet. Nach dem ersten Satz: »Tief unter uns. Kein Schrei. Nur schweigen, schweigen, schweigen« – nimmt sich die Musik immer mehr zurück, bis zu diesem fast strophischen schubertischen »Leiermann«, oder eher wohl noch schumannschen »Ich hab‘ im Traum geweinet«. Eine Vokalgestik, die nur aus Vokalverhalten lebt. Die Instrumente kommentieren gar nicht mehr. Das ist der Punkt, an dem es unerhört schwer für die Sänger wird, weil sie zusehends auf sich selbst gestellt sind. Danach schreit die Musik total los. Da steht dann nur noch: Haltungen bis zum Weinen, zur Verzweiflung, Schreien (Zwischenspiel). Da fällt es fast wie in eine Erlösungsszene hinein – »Mein Gott, ich kann nichts anderes als stammeln« –, dieser unglaublich starke Text, musikalisch beinahe wie eine Schütz-Adaption, und darunter diese merkwürdigen Schritte, die kommen, kommen und gehen. Mit diesem Gebet »reiß mich mit Gewalt zu dir« – ist eigentlich das Stück beendet. Es öffnen sich Lichtspalte, es kommt die überlieferte Geschichte mit Mutter/Vater. Alles andere ist schon Epilog mit der Vision vom Ende, mit Sophies überliefertem Traum vom Kind auf ihrem Arm, und Hans wieder daneben, konkret wie oft in den Simultan-Szenen: »Mein Gott, wer trommelt denn da? Sind denn keine Ohren, die hören, was getrommelt wird, wer da trommelt?« Diese Schlussszene richtet sich direkt an das Publikum: »Das seid ihr, wie ihr miteinander umgeht, miteinander lebt, denn die menschliche Gefährdung heißt nicht nur Diktatur, ihr wisst nicht mehr, woher ihr kommt, wohin ihr geht, ihr habt eure Geschichte verloren.«

Die Dramaturgie musste sich von aller Opernkonvention entfernen, musste szenische Offenheit für Poesie, Traum und Utopie garantieren. Die Grenzen zwischen Realität und Irrealität bleiben fließend. Das Werk sollte keine historische Rückschau liefern, sondern gleichnishaft unsere Zeit, unsere Haltungen und Überzeugungen in Frage stellen, Vergangenheit als Parabel der Gegenwart sein.

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