Oper

Rigoletto

Giuseppe Verdi

Oper in drei Akten Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Versdrama »Le Roi s’amuse« von Victor Hugo

Premiere 21. Juni 2008

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Stück-Info

Giftgrün tritt der Narr in Nikolaus Lehnhoffs Inszenierung von »Rigoletto«, auf und giftig ist der Spott, mit dem er über die Höflinge des Herzogs von Mantua herzieht. Sein Inneres jedoch ist schwarz, immer in Sorge um seine Tochter Gilda, die er eifersüchtig abschirmt, um sie dem Zugriff des Herzogs, eines gefürchteten Frauenhelden, zu entziehen. Als Gilda dennoch Opfer des Herzogs wird, schwört Rigoletto blutige Rache. Doch diese fällt auf ihn selbst zurück … »Rigoletto« wurde 1851 am Teatro La Fenice mit überwältigendem Erfolg uraufgeführt. Giuseppe Verdi hatte eine Musik geschaffen, die er selbst als »revolutionär« bezeichnete, und in bisher nie gehörter musikdramatischer Dichte entwickelt sich die zutiefst erschütternde Dramatik dieser vielleicht besten Oper des großen Italieners. 

Handlung

1. Akt
Erstes Bild, Vom Maskenfest zum Totentanz
Auf einem Maskenfest im Palast des Herzogs von Mantua. Die Orgie ist in vollem Gange. Trotz aller Ablenkungen geht dem Gastgeber ein junges Mädchen nicht aus dem Kopf. Er macht dem Höfling Borsa am Rande des Festes klar, dass er die Unbekannte, die er seit drei Monaten sonntags in der Kirche sieht und von der er weiß, dass sie abends männlichen Besuch bekommt, endlich haben muss. Borsa lenkt des Herzogs Aufmerksamkeit auf die Gräfin Ceprano. Die hat er noch nicht gehabt. Sie ist dem Herzog Anlass genug, sich von neuem auszutoben und gleichzeitig den Ehemann zu demütigen. Rigoletto stellt den Grafen Ceprano öffentlich bloß. Das Fest geht weiter. Der Edelmann Marullo bringt spektakuläre Nachrichten: Rigoletto hat eine heimliche Geliebte. Daraus machen sich alle ein Gaudi. Rigoletto wählt den Grafen Ceprano zur Zielscheibe seines tödlichen Spotts und überspannt den Bogen. Der Herzog verwarnt ihn. Der Graf Ceprano stimmt die Höflinge auf Rache an Rigoletto ein. Doch zunächst wird weiter gefeiert. Mitten ins Treiben platzt der Graf von Monterone. Er klagt den Herzog der Entehrung seiner Tochter an und verflucht ihn samt Rigoletto, seinem skrupellosen Narren. Die Stimmung schlägt um, die Maskerade ist vorbei. Rigoletto befällt Todesangst.

Zweites Bild, Der Tag X – Das unterwanderte Paradies
Auch auf dem Heimweg lassen Rigoletto die Erinnerungen an den Fluch Monterones nicht los. Ein Mann folgt ihm und spricht ihn an. Es ist der Bravo Sparafucile, der seine Dienste anbietet. Durch Mord beseitigt er jeden Rivalen. Seine Schwester Maddalena hilft ihm bei der sauberen Erledigung der Aufträge. Vorerst hat Rigoletto keine Verwendung für Sparafucile. Er reflektiert die Gemeinsamkeit zwischen ihnen: das Töten. Er mit dem Wort, Sparafucile mit dem Degen. Rigoletto leidet an seiner Doppelexistenz. Nur bei seiner Tochter Gilda findet er das Glück. Er geht nachhause, zu Gilda, die er vor der Welt versteckt. Die Freude über das Wiedersehen zwischen Vater und Tochter trüben Gildas Fragen nach seinem Namen und ihrer Herkunft. Rigoletto gibt beides nicht preis, denn entscheidend sei seine Liebe zu ihr. Währenddessen schleust Giovanna, Gildas Gouvernante, den als Student verkleideten Herzog in Gildas Zimmer. Als Rigoletto zurück zum herzoglichen Palast gehen muss, schärft er beiden Frauen ein, das Haus ausschließlich zum Kirchgang zu verlassen. Allein gelassen, plagen Gilda Gewissensbisse, dass sie dem Vater die Begegnungen mit dem unbekannten jungen Mann in der Kirche und ihre Liebe zu ihm verschwieg. Ihr Liebesgeständnis treibt den Herzog aus seinem Versteck. Er erwidert es und nennt Gilda seinen – falschen – Namen: Gualtier Maldé. Ein Geräusch trennt sie. Gilda befürchtet die Heimkehr des Vaters und schickt den geliebten Mann fort. Doch zunächst sind es Marullo, Borsa, Ceprano und andere Höflinge, die Gildas Entführung vorbereiten. Als der von Unruhe getriebene Rigoletto tatsächlich noch einmal zurückkehrt, beteiligen sie ihn an dem Coup. Sie geben vor, die Nachbarin, Gräfin Ceprano, für den Herzog zu entführen. Rigoletto macht mit. Zu spät erkennt er, dass es um Gilda ging. Sein Paradies ist zerstört.

2. Akt
Drittes Bild, Gefangen in sich selbst
Der Herzog rast vor Zorn und Schmerz. Gilda wurde ihm entrissen. Rache schwört er demjenigen, der das wagte und ihr Leid zufügte. Die Höflinge stören seine Zurückgezogenheit in ihrer Begeisterung darüber, Rigoletto mit dem Raub seines Liebchens eins ausgewischt zu haben. Die frische Beute haben sie in den Palast gebracht. Der Herzog verfällt in sein übliches Jagdfieber und eilt zu ihr. Rigoletto sucht im Palast nach Spuren Gildas. Hinter der Fassade aus Spott und Ironie weint seine Seele aus Angst und Verzweiflung. Eine Genugtuung für die Entführer. Als sie dem Pagen den Zugang zum Zimmer des Herzogs verweigern, erkennt Rigoletto die Wahrheit. Mit Beschimpfungen der Höflinge richtet er nichts aus. Er verfällt ins Bitten, um Gilda herausholen zu können. Sein Jammer trifft auf verstummte Gegner. Gilda erzählt Rigoletto alles, was sie bisher verheimlichte. An ihrer Liebe zum Herzog hält sie fest. Die Höflinge ziehen sich zurück. Rigoletto führt Gilda aus dem Palast. Der gefolterte Monterone kreuzt ihren Weg. Rigoletto erklärt sich zum Vollstrecker seiner Rache. Gilda bittet um das Leben des Herzogs. Der Vater überhört sie.

3. Akt
Viertes Bild, Absturz und Apotheose
Am Ufer des Flusses. Rigoletto hat Sparafucile mit der Ermordung des Herzogs beauftragt, ohne dessen Identität preiszugeben. Um Gildas Liebe zum Herzog auszulöschen, zwingt er sie, dessen neuestes Liebesabenteuer zu beobachten. Sie muss erleben, wie der Herzog, diesmal als Soldat verkleidet, Maddalena mit denselben Worten umwirbt. Die Routine erkennt sie nicht. Rigoletto verlangt von Gilda, durch Männerkleidung getarnt, sofort nach Verona zu fliehen. Mit Sparafucile vereinbart er den Mordpreis. Die erste Hälfte gleich, die zweite nach Erledigung des Auftrags. Um Mitternacht will er die Leiche abholen und in den Fluss werfen. Gilda widersetzt sich den Anordnungen des Vaters und kehrt zurück. Sie hört mit an, wie Maddalena dem Bruder das Leben des jungen Mannes unter der Bedingung abringt, an dessen Stelle einen Fremden zu töten. Was nur gelingt, wenn sich vor Mitternacht jemand in ihr Haus verirrt. Gilda entscheidet sich, dieser Fremde zu sein. Rigoletto holt den Sack mit der Leiche ab. Auf dem Höhepunkt seines Triumphes über den Herzog hört er dessen Canzone. Er öffnet den Sack und findet die sterbende Gilda. Die Natur, die sich in einem Gewitter aufbäumte, versinkt in Dunkelheit und Stille. Im Angesicht des Todes finden Vater und Tochter zueinander. Rigoletto bleibt einsam zurück.

Werkeinführung

Giuseppe Verdis »Rigoletto« beginnt mit einem Fest und endet mit einem Mord. Der Regisseur Nikolaus Lehnhoff hat die Oper über die schicksalhaften Fall des Hofnarren Rigoletto, mit der Verdi 1851 der endgültige Durchbruch als führender italienischer Opernkomponist seiner Zeit gelang, an der Semperoper inszeniert. Dramaturg Kai Weßler berichtet über Hintergründe des Werkes und der Inszenierung.

Porträtzeichnung des Dramaturgen Kai Weßler
Kai Weßler, Dramaturg; Zeichnung Semperoper

Regiekonzept

Ein gigantisches Nachtstück über die Entzweiung des Menschen

Gedanken zu Giuseppe Verdis »Rigoletto« in der Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff

Ursprüngliche Intentionen

Zunächst sollte die Oper »La Maledizione« (»Der Fluch«) heißen. Das ließe sich leicht deuten als Verhängnis des Schicksals, dem kein Mensch entfliehen kann. So könnte man durchaus auch das Vorspiel der Oper hören, wären da nicht die verminderten Akkorde im dritten Takt. Sie wirken wie ein Nackenschlag, der einen Menschen von der einen auf die nächste Sekunde fällt, als wäre er ein Baum. Es wäre das größte Missverständnis, sähe man in »Rigoletto« nichts weiter als ein Schicksalsdrama, ein Bühnenspektakel. Das Gehörte als Unerhörtes geht vom Vorspiel an tiefer. Die Musik weissagt es: Es geht mitten hinein in den menschlichen Corpus. Spaltungskräfte und zugleich die Magie der Vervielfältigung sind am Werk. Die zentralen Figuren: König, Jungfrau, Narr – der Liebhaber, die Tochter, der Vater. Dieses »Dreiecksprogramm« genügt Verdi vollauf für ein Familien- wie ein Weltendrama, wie er es nie zuvor schrieb.

Hohe Opernkunst, tiefe Psychologie

Der Fluch, der Rigoletto trifft, ist Ausdruck einer Zwangsneurose, welche die Titelfigur zwischen zwei Existenzen unentwegt hin und her treibt. Der Narr des Königs im Palast der Lust ist der traurige Bürger im eigenen engen Haus. Giuseppe Verdi hat diesen Gegensatz immens verschärft, als er Victor Hugos pathetisches, für die Gattung Oper eigentlich ungeeignetes, da selbst schon Oper seiendes Schauspiel vom missgestalteten, seelenkranken Hofnarr Triboulet in Musik setzte. Verdi erkannte im Renaissancestück das Spiegelbild einer bürgerlichen Tragödie. »Oh, ›Le Roi s’amuse‹ ist das größte Sujet und vielleicht sogar das größte Drama der Moderne. Triboulet ist eine Schöpfung, die Shakespeares würdig ist! Der Stoff ist grandios, gewaltig, und er enthält eine Rolle, die eine der größten Schöpfungen ist, deren sich das Theater aller Länder und aller Zeiten rühmt.«

Wo hört das Reale auf? Wo beginnt das Surreale?

Alle müssen auf den Fluch reagieren. Nur komponiert Verdi weder große Schreckensreaktion noch dauerhaft beklemmende Stille. Er behält die Oberflächlichkeit des Ganzen, damit die Opernhaftigkeit des Ereignisses zunächst fest im Auge: Ensemble, Unisono, Finale. Wie auf einer Demarkationslinie stellt sich erst nach und nach ein Dialog auf Leben und Tod zwischen Herzog, Rigoletto und Monterone ein, nicht anders als zwischen Don Giovanni, Leporello und Komtur in Verdis Lieblingsoper »Don Giovanni«. Am Ende des ersten Bildes glaubt der Zuhörer sich inmitten eines gespenstischen Totentanzes zu befinden, in dem er hilflos hin und her geworfen wird wie sein nunmehr vertraut gewordenes zweites Ich, die Bühnenfigur Rigoletto. Dies geschieht so unmerklich, selbstverständlich, dass man sich kaum einmal des dahinter verborgenen Sinns als Wahn-Sinn bewusst wird. Dass man wenig später Mitleid mit der weinenden Kreatur, dann erst recht mit dem zerrissenen Vater Rigoletto bekommt, liegt womöglich in der Natur der Sache »Oper«, da Singen mehr an Emotion auslöst als Sprechen. Aber dass solche Anverwandlung schon beginnt, da man noch ganz in der Welt des gemeinen Menschenviehs steckt, das einem Rigoletto als zweite Natur im Herzogspalast vorspielt, ist schon ein Wunder an theatralischer Überzeugungskraft. Das hat damit zu tun, wie suggestiv Verdis Musik in die Grenz-, das heißt Spaltungsbereiche eines eigenen Ichs hineinführt: beim Blick in Rigolettos Gesicht auf Du und Du mit dem Betrachter, da unentwegt Identifikation erzwingend, gerade da, wo nicht das Edle und Gute, sondern das Dämonische und Animalische im Menschen gemeint ist.

Die Demaskierung des Narren zum Phantom der Rache

Was in der Abfolge des zweiten Aktes grell opernhaft wirkt, effektvoll gesteigert durch die einem harten Schnitt im Action-Film gleichende Horrorepisode, in welcher der geschändete Graf Monterone als Menetekel zur Steigerung von Rigolettos Rachelust vorbeigeschleift wird, erzwingt auf der Szene den Umbruch des schwarzen Kabinetts aus dem ersten Akt in eine Alptraumszenerie. Es müsste ja Tag werden in der Welt des Herzogs, Tag nach der Entführung, um dem Lüstling die nächste Beute vor die Füße zu legen. Stattdessen wird die Szene mehr und mehr zum dämonischen Schau- und Spielplatz des Menschennarren. Das höfische Bankett, das ansteht, gleicht – erneut mag »Macbeth« Verdi als überragendes Vorbild gedient haben – einem Hexensabbat mit geifernden, sich zur animalischen Meute zusammen rottenden Höflingen. Das ist, wie nicht anders am Ende des ersten Aktes, brillanter Mummenschanz, aber dieses Mal von tödlicher Konsequenz. Auf allen Ebenen des Schaustücks scheint sich um Rigolettos Hals die Schlinge immer fester zuzuziehen. Längst, längst absolviert Verdis Musik eine atemberaubend schlingernde Gratwanderung zwischen der Wirklichkeit und den einzig im Hirn des Narren sich abspielenden Phantasmagorien. Wie er überhaupt zu einem ganz anderen »Phantom der Oper« wird. Rigoletto zerrt sich Schmerz verzerrt die Maske vom Gesicht, mutiert zum Menschen, aber zu einem, der nur noch aus Rache, Verzweiflung, Verletzung, Hass, Neid und Schmerz besteht, eine Gallertmasse sozusagen mit aufgelöstem Körper, damit dem Betrachter die Sinnesorgane des gespaltenen Menschen wie bei einer Sezierung auf dem Tablett serviert werden. Rigoletto erhebt sich zum Rächer der Welt. Verdi macht hörbar, was er in Wahrheit ist: ein hilfloses Tier auf dem Weg zur Schlachtbank.

Die Bühne »macht« das Gewitter

Zum großen Showdown bedarf es erst einmal bühnenwirksamer Äußerlichkeit, die alles Innere ins Begriffliche wendet, ein Gewitter beispielsweise, ein Sturm, eine Apokalypse, befindet man sich doch mitten in Verdis Spiel mit den großen Szenen, Figuren und Situationen seines »Papas« Shakespeare. Der konnte dramatische Szenen wie Renaissancegemälde auf die Bühne werfen. An die hundert Mal musste Verdi vor der ersten Aufführung des »Rigoletto« in Venedig den Choristen die Effekte der Gewitterszene, in der Gilda ermordet wird, erklären. Das ist der höchste Triumph des Banalen. Alles ist musikalisch perfekt und überzeugend, weil alles an Naturlaut in Wahrheit gemacht, konstruiert, gewerkelt ist. Da triumphiert das Donnerblech des Inspizienten über die Schöpfung. Die Flöten sind die Blitze. Sturm und Wind kommen gesummt aus den geschlossenen Mündern der Choristen. Einer von ihnen – Giuseppe Giacosa berichtet darüber 1889 – habe das »erhabene Gesicht des missverstandenen und nicht geachteten Genies« gehabt und folgte nur höchst widerwillig Verdis Anweisungen. Nichts als summen sollte er. Das war ihm zu viel. Ein Sänger muss singen. Verdis Antwort mag gelautet haben: Nicht, wenn er buchstäblich Natur zu werden hat. Schließlich stellte sich der beleidigte venezianische Chorsänger unmittelbar vor dem Maestro in Positur und rief all seinen Unmut aus: »Sie meinen, ich solle der Wind sein!« Dabei macht Verdi nur wahr, was Victor Hugo 1869 in seiner die Handlung des Dramas »Le Roi s’amuse« spiegelnden Erzählung »L’Homme qui rit« (»Die lachende Maske«) forderte: »Die Seele des Menschen fürchtet die Begegnung mit der Seele der Natur.«

Der vollständige Text von Wolfgang Willaschek ist im Programmheft abgedruckt.

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