Oper

Norma

Vincenzo Bellini

Melodramma in zwei Akten Libretto von Felice Romani

Premiere 2. Oktober 2021

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Stück-Info

Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Schon längst hätten die Gallier den Aufstand gegen die Besatzer gewagt, wenn nicht die Priesterin Norma im Namen des Kriegsgottes Irminsul immer wieder den Aufschub gefordert hätte. Norma will den Krieg verhindern, weil sie die heimliche Geliebte des römischen Prokonsuls Pollione ist und mit ihm bereits zwei Kinder hat. Doch die drohende Abberufung Polliones zwingt zum Handeln, und als Norma herausfindet, dass Pollione längst eine Zukunft mit der jüngeren Priesteranwärterin Adalgisa plant, ruft sie den Krieg gegen Rom aus. Und dann enthüllt sie den Galliern ihren eigenen Verrat. Was ist Normas Plan? – Die 1831 in Mailand uraufgeführte »Norma« ist die berühmteste Oper des italienischen Komponisten Vincenzo Bellini. Regisseur Peter Konwitschny legt in seiner Dresdner Inszenierung den politischen Kern dieses Stückes über eine Frau offen, die die Grundfesten ihres Staates erschüttert.

Handlung

1. Akt
Das Land der Gallier ist von den Römern besetzt. Längst schon hätten die Gallier unter ihrem Anführer Oroveso den Aufstand gewagt, doch die Priesterin des Irminsul, Orovesos Tochter Norma, hält die Krieger im Namen des Gottes zurück. Norma will den Krieg gegen die Römer aus einem persönlichen Grund verhindern: Sie liebt seit Jahren den römischen Feldherrn Pollione und hat mit ihm zwei Kinder. Pollione wird bald nach Rom zurückkehren, und Norma hofft, dass sie mit ihm gehen kann. Sie ahnt nicht, dass Pollione mittlerweile die Novizin Adalgisa liebt. Diese vertraut Norma an, dass sie in einen römischen Soldaten verliebt ist und bittet Norma, sie von ihrem Keuschheitsgelübte zu entbinden. Norma, die sich an ihre eigene Situation erinnert fühlt, reagiert verständnisvoll. Doch dann fragt sie nach dem Namen des Römers – und Adalgisa weist auf den gerade hinzukommenden Pollione. Norma rast vor Zorn, und während sie noch Pollione ihre Rache androht, wird sie zum Tempel gerufen. Wieder soll Norma über Krieg und Frieden entscheiden. 

2. Akt
Norma ist entschlossen, ihre Kinder zu töten, um Pollione für seinen Treuebruch zu strafen. Doch dann siegt Mutterliebe über Rachedurst, und Norma bittet Adalgisa, ihre Kinder zu beschützen und mit nach Rom zu nehmen. Adalgisa, die von Polliones Verrat an Norma tief getroffen ist, will Pollione überreden, zu Norma zurückzukehren. Die Frauen beteuern sich ihre tiefe Freundschaft. Aber trotz Adalgisas Bitten bleibt Pollione dabei, mit ihr statt mit Norma nach Rom zu gehen. Bitter enttäuscht und zu allem entschlossen, ruft Norma nun endlich zum Krieg gegen die Römer auf. Pollione, der versucht hat, Adalgisa aus dem Tempel zu entführen, wird als Gefangener herbeigeschleppt. Norma besteht darauf, mit dem Römer allein zu sprechen, und bietet ihm die Freiheit an, wenn er sie und die Kinder nach Rom mitnimmt. Als Pollione erneut ablehnt, droht sie ihm mit dem eigenen Tod, dem der Kinder und Adalgisas. Sie ruft die Gallier zusammen und berichtet von einer Priesterin, die ein Verhältnis mit dem Römer hatte. Doch statt Adalgisa anzuklagen, enthüllt sie öffentlich die eigene Schuld. Zutiefst beeindruckt, bittet Pollione Norma um Vergebung. Doch Normas letzte Sorge gilt ihren Kindern, die sie ihrem entsetzten Vater anvertraut. Dann geht sie unter den Verwünschungen der Gallier in den Tod. 

Werkeinführung

Vincenzo Bellinis »Norma« ist die tragische Geschichte einer Frau in einem hohen politischen Amt. Dramaturg Kai Weßler erläutert Hintergründe zum Werk und zur Inszenierung.

Porträtzeichnung des Dramaturgen Kai Weßler
Kai Weßler, Dramaturg; Zeichnung Semperoper

Interview

Norma, die Seherin, blind durch Liebe

Gespräch mit dem Regisseur Peter Konwitschny

Die Oper »Norma« von Vincenzo Bellini gilt als ein Werk des Belcanto, also ein Stück, das man wegen berühmten Sängern spielt. Was reizt sie als Regisseur an der Musik von Bellini, die zunächst so einfach zu sein scheint? 

Peter Konwitschny Es ist ein wenig wie bei Händel-Opern: Man denkt erst einmal, da passiert szenisch gar nichts oder höchst wenig. Aber das ist schlicht falsch! Diese scheinbar sehr einfache Musik blüht auf und gibt ihre Vielfalt wieder, wenn ein sinnvoller szenischer Vorgang dazu gesetzt wird, den sich ja auch der Komponist vorgestellt hat. 

Die berühmteste Arie in »Norma« ist die Auftrittsarie der Titelfigur, »Casta diva«. Die Arie ist so berühmt, dass man darüber vergisst, dass es nicht um eine Diva geht, sondern dass die Arie eine hochpolitische Ansprache an die Gallier ist. 

Peter Konwitschny Mit dem Auftritt der Norma wird sofort der Hauptkonflikt etabliert: Hass und Krieg gegen Liebe und Frieden. Norma zwingt am Anfang des Stückes die Gallier dazu, noch nicht mit dem Krieg zu beginnen. Die wollen ja losschlagen, sie wollen sich von der römischen Besatzung befreien. Und wir als Zuschauer werden erst im Nachhinein darüber informiert, warum sie mit ihrer Arie zum Frieden aufruft: Weil sie mit dem gegnerischen General liiert ist und sogar zwei Kinder mit ihm hat. Aber in dem Moment, da sie diese Arie singt, ist sie bereits hintergangen. Das macht die Tragik der Situation aus. Ich finde das trotzdem sehr lehrreich, weil wir alle oft nicht auf dem Laufenden sind, sondern einer Illusion aufsitzen. Wenn Norma erkennt, dass Pollione ihre Liebe verraten hat, kommt ihr die Kraft zum Friedenstiften abhanden und sie fällt mit ein in den rabiaten Vernichtungsgedanken. Das finde ich eine lehrreiche Botschaft dieses Theaterstückes, welche katastrophalen Auswirkungen eine verratene Liebe mit sich bringt, im Kleinen wie im Großen.

Norma begeht drei Vergehen: Sie bricht ihr Zölibat, erfindet einen unerwünschten Götterwillen und sie hat ein Liebesverhältnis mit dem Feind. Frauen, die sich auf ein Liebesverhältnis mit einem Feind eingelassen haben, man nennt das »horizontale Kollaboration«, wurden oft besonders streng bestraft, mit öffentlicher Demütigung u.a. Welches von Normas Vergehen wiegt am schwersten in dieser Oper? 

Peter Konwitschny Möglicherweise das körperliche Vergehen. Das ist natürlich ein Vertrauensbruch, deswegen heißt ein solcher Akt auch Hochverrat. Man muss das System bedenken, dem gegenüber dieser Verrat begangen wird. Dieses System ist an religiösen, politischen und menschlichen Missbrauch geknüpft. Mit anderen Worten: Das, was hier als Verrat bezeichnet wird, stellt sich als zutiefst menschlich heraus. Da stimmen wir vollkommen mit dem Komponisten überein, der dieser Frau die schönste Musik gegeben hat. Normas Musik ist doch nicht die Musik einer Verbrecherin.

In Ihrer Inszenierung gibt es einen deutlichen Bruch zwischen dem ersten und dem zweiten Akt. Wir befinden uns nach der Pause in einer anderen Welt und in einer ganz anderen Zeit. Warum? 

Peter Konwitschny Zunächst zeigt die Oper ja dieses erstaunliche politisch-militärische System, das eine Frau leitet. Es ist gar nicht wichtig, ob das Stück zur historischen »Echtzeit« spielt, also etwa 50 Jahre vor der Zeitenwende, oder im Matriarchat. Norma hat als Priesterin die volle Macht über Krieg und Frieden. Diese Stellung dauert bis zu dem fürchterlichen Moment, an dem Norma begreift, dass ihre Liebe und damit ihre ganze Existenz nicht mehr stimmt. Die Kraft, die sie braucht, um ihre politische Funktion auszuüben, hat sie nicht mehr, nachdem ihr der Lebensnerv durchgeschnitten wurde, die Liebe. Das betrifft uns ja alle: Wenn so etwas in unserem Leben passiert, sind wir nicht mehr bei uns, dann geht uns die Lust verloren, an der Welt teilzunehmen. Im zweiten Akt bricht Norma zusammen, aber da bricht auch das System zusammen. Die männliche Seinsweise hat global gesiegt. Um das deutlich zu zeigen, machen wir einen riesigen Sprung in die Moderne. Wir zeigen, in einer historisch größeren Dimension, wohin es führt, wenn in einem gesellschaftlichen System Liebe Stück für Stück über Bord geht und nur noch Destruktionswillen übrigbleibt. 

Am Ende der Oper soll Norma, so sagt es das Libretto, gemeinsam mit Pollione auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Ist dieses Ende ein Liebestod? 

Peter Konwitschny Ganz und gar nicht! Der Tenor will immer mit Norma zusammen sterben, aber sie spricht das gesamte Ende über kein Wort mehr mit ihm, sondern nur noch mit ihrem Vater. Ein Liebestod ist wieder eine versöhnlerische, verharmlosende Interpretation. Für einen Liebestod gibt es auch gar keinen Anlass, denn »Norma« zeigt, genau wie alle Opern Richard Wagners, wie Menschen religiös und politisch missbraucht werden. Sich töten bedeutet hier, aus dieser Welt herauszugehen, die unerträglich ist in ihrer Lieblosigkeit, in ihrer Brutalität.

Das Gespräch führte Dramaturg Kai Wessler für das Programmheft der Neuinszenierung »Norma«, in dem Sie die vollständige Version des Interviews lesen können. 

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