Oper

Götterdämmerung

Richard Wagner

Dritter Tag des Bühnenfestspiels »Der Ring des Nibelungen« Libretto vom Komponisten

Premiere 31. August 2003

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Stück-Info

Wenn zu Beginn von Richard Wagners »Götterdämmerung« die Nornen den Schicksalsfaden weben, steht bereits das Ende der Götterwelt fest. Der Held Siegfried fällt einer Intrige am Hof der Gibichungen zum Opfer, und Brünnhilde beschließt, den Ring den Rheintöchtern wiederzugeben. Das männliche Prinzip in seinem wahnwitzigen Streben nach Macht und Dominanz hat sich selbst zerstört. Nur das Weibliche kann sich der drohenden Apokalypse entgegenwerfen und die rettende Kraft für den Neubeginn entwickeln. Im letzten Teil von »Der Ring des Nibelungen« greift Richard Wagner die großen Fäden der Tetralogie noch einmal auf und verbindet sie zu einer Apotheose. In Willy Deckers Inszenierung von Richard Wagners Menschheitsdrama ist alles »Theater auf dem Theater«, und so lässt der abgedankte Gott Wotan am Ende den Vorhang fallen. 

Handlung

Vorspiel
Drei Nornen, Töchter der Erda, rekapitulieren noch einmal ihr Wissen: Wotan hat die verdorrte Weltesche, aus der er einst seinen Speer schnitt, gefällt und zu einem Brandstapel um Walhall aufrichten lassen. Dort erwartet er sein Ende, denn seine Macht hat ausgedient, weil Siegfried den Speer des Gottes zerschlagen hat. Doch das Seil, mit dem die Nornen alles zusammenhalten wollen, reißt. Ihr Wissen ist zu Ende. Siegfried und Brünnhilde scheinen vom drohenden Untergang unangefochten und genießen den Rausch ihrer Liebe. Brünnhilde entsendet ihren Helden zu neuen Taten. Als Pfand hinterlässt Siegfried ihr den Ring. So gerät auch Brünnhilde in den Bann des verfluchten Objektes.

1. Aufzug
Die Gibichungen Gunther und Gutrune erfahren von ihrem Halbbruder Hagen, dem Sohn Alberichs, vom herrlichsten Weib und vom stärksten Mann der Welt: Brünnhilde und Siegfried. Diese zur Frau bzw. zum Mann zu gewinnen, könnte den Ruhm der Geschwister erheblich vermehren, denn ihr Ansehen leidet darunter, dass sie nicht verheiratet sind. Siegfrieds Rheinfahrt führt ihn zur Gibichungenhalle. Er nur könnte die vom Feuer beschirmte Brünnhilde für Gunther gewinnen, doch um sich in Gutrune zu verlieben, muss er erst alle anderen Frauen vergessen, die er gekannt hat. Mit einem Vergessenstrank wird Siegfrieds Erinnerungsvermögen ausgeschaltet und er kann in heißer Liebe zu Gutrune entbrennen. Um deren Bruder zu einem würdigen Ehepartner zu verhelfen, erklärt er sich bereit, Brünnhilde für Gunther zu erobern. Nachdem man Blutsbrüderschaft geschworen hat, brechen Siegfried und Gunther zu Brünnhilde auf. Die erwartet sehnsüchtig die Rückkehr ihres Helden, als unerwartet ihre Schwester Waltraute bei ihr erscheint. Gegen das ausdrückliche Verbot Wotans hat sich Waltraute aufgemacht, um von ihrer Schwester die Rückgabe des Rings an die Rheintöchter zu fordern. Nur so könne der Untergang der Götter abgewendet werden. Brünnhilde aber weigert sich, sich von Siegfrieds Liebespfand zu trennen. Erneut wird sie in ihrer Einsamkeit gestört: Siegfried, durch den Tarnhelm in Gunthers Gestalt, entreißt Brünnhilde den Ring als Zeichen der Vermählung mit dem Gibichung. 

2. Aufzug
Hagen hält schlafend Wache, als ihm sein Vater Alberich erscheint. In Treue solle der Sohn ihm den Ring zurückgewinnen. Siegfried kehrt zur Gibichungenhalle zurück, wo Hagen seinen Mannen den Befehl gibt, alles zur Doppelhochzeit zu rüsten. In Begleitung Gunthers trifft Brünnhilde auf Gutrune und Siegfried. Verzweifelt wird sie gewahr, dass Siegfried sie nicht erkennt. Doch als sie den Ring an seiner Hand sieht, durchschaut sie den Betrug. Sie klagt Siegfried an, der seinerseits auf Hagens Speer den Meineid schwört, außer Gutrune niemals eine Frau geliebt zu haben. Brünnhildes Liebe ist in Hass umgeschlagen. Sie verlangt nach Rache. Gemeinsam beschließen Hagen, Gunther und Brünnhilde Siegfrieds Tod.

3. Aufzug
Das Spiel der Rheintöchter hat kein Ziel mehr. Erst als Siegfried zu ihnen gelangt, erfüllt sie neue Energie. Warnend verlangen sie von ihm den Ring zurück. Doch der Fluch, der auf dem Gold ruht, kann den Furchtlosen nicht schrecken. So können auch die Rheintöchter ihn nur mit der Vorhersage des Untergangs verlassen. Hagen und Gunther treffen mit ihrer Jagdgesellschaft auf den Zurückgebliebenen. Arglos lässt sich Siegfried von Hagen auffordern, von seiner Vergangenheit zu erzählen und plaudert so von Mime, dem Kampf mit Fafner, den Worten des Waldvogels und schließlich, durch einen von Hagen verabreichten Erinnerungstrank ausgelöst, auch von seiner Liebe zu Brünnhilde. Damit ist er des Meineides überführt und Hagen tötet ihn mit seinem Speer, auf den dieser Meineid geschworen war. Siegfrieds letzter Gruß gilt Brünnhilde. Als Siegfrieds Leiche zu Gutrune gebracht wird, klagt diese ihren Bruder des Mordes an, doch Hagen bekennt sich zu der Tat. Im Streit um den Ring tötet er Gunther. Brünnhilde aber erkennt nun, welches Spiel man mit ihr gespielt hat. Sie allein kann sich den Ring Siegfrieds aneignen. Im gemeinsamen Tod will sie seine Ehre wahren und wird damit auch zur Vollenderin von Wotans letztem Plan. Sie gibt den Rheintöchtern den Ring zurück und entfacht einen Brand, dem schließlich auch Walhall und die Götter zum Opfer fallen. Hagens letzter Versuch, sich doch noch des Ringes zu bemächtigen, scheitert. Die Erde scheint vom Fluch des Goldes befreit.

Werkeinführung

Richard Wagners Musikdrama »Götterdämmerung«, der Dritte Tag des Bühnenfestspiels »Der Ring des Nibelungen«, zeigt auf, dass es am Ende eine Frau ist, die sich der drohenden Apokalypse entgegenwirft und zur rettenden befriedende Kraft wird: Der Ring kehrt in die reine Natur zurück. Dramaturg Benedikt Stampfli erzählt von wichtigen Aspekten des Werks und der Inszenierung von Willy Decker.

Porträtzeichnung des Dramaturgen Benedikt Stampfli
Benedikt Stampfli, Dramaturg; Zeichnung Semperoper

Pausengespräch

Der Abschluss des Dresdner »Ring des Nibelungen« jährt sich 2023 zum 20. Mal. Regisseur Willy Decker blickt im Pausengespräch auf die Zeit der Inszenierungen der vier Opern 2002/03 und seine Konzeption von Wagners vielgestaltigem Werk zurück. Ein allumfassendes Welttheater nennt der renommierte, international arbeitende Regisseur die bekannteste Tetralogie der Operngeschichte, und berichtet von seiner Grundidee der Theater-auf-dem-Theater-Situation samt Theaterstuhlreihen und Guckkastenbühne und der unverminderten Aktualität der verhandelten Themen im »Ring«.

Das Gespräch fand am 5. Januar 2023 statt.

Portraitzeichnung des Regisseurs Willy Decker
Willy Decker, Regisseur; Zeichnung Semperoper nach einem Foto von Kirsten Neumann

Regiekonzept

»Apokalypse einer männlichen Welt«

Regisseur Willy Decker zur Inszenierungskonzeption

Der »Ring« hatte begonnen in der ungestörten Ruhe von Erdas Träumen, der unzerstörten Harmonie einer urweiblichen Ewigkeit. Das Männliche ist in dieses jungfräuliche Paradies eingedrungen und hat es zerstört, indem Alberich den Rheintöchtern ihr Lebenszentrum, das Rheingold, entrissen hat. Aus dieser Ur-Sünde der Vergewaltigung des Weiblichen hat sich eine Wirklichkeit entfaltet, die zunehmend vom Männlichen dominiert und beherrscht wird. Am Ende der »Walküre« hat Wotan Brünnhilde als die Verkörperung des weiblichen Widerstandes gegen männliches Wüten in einen Feuerring eingeschlossen und damit die Verstoßung und Verdrängung weiblichen Einflusses im »Ring« als deutlichen Bruch vollzogen. »Siegfried« ist dann konsequenterweise ein reines Männerstück. Die Frauen scheinen endgültig aus dem »Ring« verbannt. Nur Erda wird aus ihrem Schlaf heraufgezerrt. Sie ist lediglich noch ein verlöschender Abglanz ehemaliger Größe und ewiger Macht. Wirr, verstört, von »Männertaten umdämmert«, schickt Wotan sie endgültig hinab zu ewigem Schlaf. Siegfrieds Befreiung Brünnhildes aus ihrem Flammengefängnis ist nur scheinbar eine Rehabilitierung des Weiblichen. Die Wotan-Tochter gibt all ihr Wissen, ihre göttliche Freiheit, ihre weibliche Macht an Siegfried ab und nimmt die konventionelle Rolle der Frau an, indem sie sich dem »teuren Helden« ganz unterordnet. Nur er zieht in die Welt, nur er vollbringt die Taten, die Brünnhilde sich vielleicht gewünscht hätte. Schon im Vorspiel der »Götterdämmerung« setzt sich mit den drei Nornen die Entmachtung und Verbannung weiblichen Wissens und Wirkens in seiner ganzen Tragweite fort. Auch diese Seherinnen können den Knoten männlicher Taten nicht mehr entwirren und kehren auf ewig zurück, hinab zu ihrer Mutter Erda, in tiefer und endgültiger Resignation. Eine aggressive männliche Welt überlassen sie damit sich selbst. Ihr ewiges Wissen geht zu Ende, »der Welt melden Weise nichts mehr«.

Die unabwendbare Katastrophe

Die Sorge der Nornen im Vorspiel kann als tragische Umkehrung der Sorglosigkeit der Rheintöchter aus dem »Rheingold« angesehen werden. Das Reißen des Seiles ist die Zerstörung ihrer Verbindung zum Urgrund und gleichzeitig eine Vorwegnahme von Siegfrieds Gedächtnisverlust. Hagen zerschneidet Siegfrieds Verbindung zu Brünnhilde und damit dessen Verbindung zum Göttlichen. Wotans Welt geht nun zu Ende – ein männlich dominierter Kosmos endet in der Katastrophe der Selbstzerstörung. Götterdämmerung heißt auch Dämmerung des Männlichen, Bankrott einer männlichen Welt. Wotans Wille, seine Motivation und Sinngebung, ist nur noch partiell in Brünnhilde und Siegfried enthalten, als Erinnerung, als Unbewusstes. Das Paar taucht in eine »gewöhnliche« Menschen- oder Alltagswelt hinein, in die das Göttliche mit seinem Wissen, nur noch als Traum oder verlorene Erinnerung hineinragt. Mit dem Eintritt in die Gibichungenhalle betreten wir zum zweiten Mal im »Ring« solch eine profane Alltagsebene.

Die Lieblosen zerstören die Welt – die Liebende könnten sie retten

Mit Hagen tritt eine Figur hinzu, die im letzten »Ring«-Teil das negative Element noch einmal potenziert. Er ist der Sohn Alberichs, den dieser mit einer Menschenfrau gezeugt hat. Er soll den Willen seines Vaters vollenden, so wie dies von Wotan auch einmal für Siegmund, später für Brünnhilde und als Konsequenz daraus auch für Siegfried gedacht war. In einer alptraumhaften Szene tritt Alberich noch einmal auf, um seinen Sohn einzustimmen, ihn an die Treue gemahnend, die er als Sohn dem Vater gegenüber erweisen soll. Hagens Plan soll ihm schließlich selbst den Weg gänzlich freimachen. Er stoppt Siegfrieds und Brünnhildes Siegesfahrt und verführt Gunther zu einem Betrug, mit dem er ihn immer erpressen bzw. vernichten kann. Gutrune stößt er in ein scheinbares Glück, an dem sie zugrunde gehen muss. Das Böse in Hagen ist immer noch Auswirkung der Liebesverweigerung vom Anfang des »Rings«. Seine Machtgier ist die Sehnsucht nach Rache desjenigen, der zu kurz gekommen ist – der Bastard, der Unreine, der Unfrohe, der Ungeliebte. Dafür steht er selbst, aber auch sein Vater Alberich. Die Lieblosen zerstören die Welt, Liebende könnten sie retten. Brünnhilde findet am Schluss zu dieser allumfassenden, grenzenlosen, das eigene Ich überwindenden Liebe, deren tiefster Kern Selbstlosigkeit ist. Der schlimmste Augenblick ihres Daseins ist der Moment der Erkenntnis, dass sie Siegfried zu Unrecht an Hagen verraten hat. Auch sie konnte Hagens Intrige nicht durchschauen und stürzt in Verwirrung, in die Abgründe menschlicher Leidenschaften: »Wo ist nun mein Wissen gegen dies Wirrsal? Wo sind meine Runen gegen dies Rätsel?« Gutrunes Geständnis, Siegfried mit einem Vergessenstrank getäuscht zu haben, löst diese Rätsel auf. Der Schleier, der sie umgab, wird zerrissen und Brünnhilde findet zu einer radikalen Konsequenz von Sühne und Selbstopfer: »... mich musste der Reinste verraten, dass wissend würde ein Weib«. Sie hat schreckliche Situationen durchlebt. Doch sie hat daraus gelernt und kann für sich den Schluss ziehen: »Alles weiß ich, alles ward mir nun frei.« Am Ende hat das männliche Prinzip in seinem wahnwitzigen Streben nach Macht und Dominanz sich selbst zerstört und droht eine ganze Welt ins Nichts zu reißen. Doch Wagner kehrt zur Wellenbewegung des »Rheingold« zurück, zum ewigen Ausgleich von Wachstum und Vergehen, Aufstieg und Niedergang, von männlich und weiblich. Nur das Weibliche kann sich der drohenden Apokalypse entgegenwerfen und wird in der Abwärtsbewegung zu einer ausgleichenden und rettenden Kraft. So gibt am Ende Brünnhilde den Weg in die Zukunft frei. Erdas Traum kann neu beginnen.

Das ungekürzte Essay finden Sie im Programmheft der Produktion

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