Oper

Carmen

Georges Bizet

Oper in drei Akten Text von Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach der Novelle von Prosper Mérimée

Premiere 28. September 2013

In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Stück-Info

Der brave Soldat Don José verfällt der exotisch-schönen Carmen, die in der berüchtigten Zigarettenfabrik in Sevilla arbeitet. Für Carmen riskiert Don José seinen Rang, desertiert und schließt sich mit ihr einer Schmugglerbande an. Doch Carmens Freiheitsdrang und ihre Lust auf Leben und Liebe sind zu viel für den Soldaten aus Nordspanien. Schon bald verlässt Carmen ihn, um sich mit dem umjubelten Torero Escamillo zu vergnügen. Doch während Escamillo in der Stierkampfarena ein Tier zu Tode bringt, tötet José die Frau die er liebt. Georges Bizets 1875 uraufgeführte »Carmen« gehört zu den beliebtesten Opern überhaupt. Das liegt nicht zuletzt an Bizets Musik, die mit Carmens »Habanera« oder dem Torerolied die Vorstellung von spanischer Musik wesentlich geprägt hat. An der Semperoper hat Regisseur Axel Köhler »Carmen« in einem strengen Raum inszeniert, in dem die harte Welt der Zigarettenarbeiterinnen ebenso ihren Platz hat wie das farbenfrohe Fest des Stierkampfes. 

Handlung

Erster Akt
Gelangweilt vertreiben sich Sergeant Moralès und seine Kompanie vor der Zigarettenfabrik die Zeit. Micaëla, die auf der Suche nach ihrem Jugendfreund Don José zu den Soldaten kommt, bietet ein willkommenes Ziel für ihre anzüglichen Scherze. Für Abwechslung sorgt auch die Schar Kinder, die sich zur Wachablösung übermütig unter die Soldaten mischt. Kaum ist die neue Wache unter dem Befehl des Leutnants Zuniga und Don Josés aufgezogen, öffnet sich der Eingang der Fabrik zur Pause der Zigarettenarbeiterinnen, darunter die von den Männern sehnsüchtig erwartete Carmen, die mit ihrer aufreizenden Habanera jedem den Kopf verdreht – schließlich auch José, dem Carmen eine Blume zuwirft. Noch berauscht von der verführerischen Frau, wird José von Micaëla überrascht, die ihm eine Nachricht seiner Mutter überbringt und einen Kuss. Aufgeregtes Geschrei reißt José aus den Erinnerungen an seine Heimat. Carmen hat in der Fabrik einen Streit begonnen und eine Kollegin mit einem Messer verletzt. José soll sie abführen. Als beide allein sind, nutzt Carmen die Gelegenheit, ihn vollends in ihren Bann zu ziehen. In Aussicht auf eine gemeinsame Nacht mit ihr lässt José Carmen laufen und wird dafür selbst verhaftet.

Zweiter Akt
In der Taverne des Lillas Pastia genießen Zuniga und seine Soldaten den Tanz und Gesang von Carmen und ihren Freundinnen Frasquita und Mercédès. Aufsehen erregt das Erscheinen Escamillos, des von den Frauen umschwärmten und von den Männern bewunderten Toreros. Auch auf ihn wirkt Carmens Anziehungskraft. Nachdem die Soldaten verschwunden sind, tauchen die Schmuggler mit ihren Anführern Dancaïro und Remendado auf. Sie versuchen, die drei Frauen für ihren nächsten Coup zu gewinnen, Carmen jedoch weigert sich, mit ihnen zu gehen. Sie wartet auf José, der am selben Tag aus dem Gefängnis entlassen wurde. Ganz allein für ihn tanzt Carmen, bis der Zapfenstreich ertönt und José zu Carmens völligem Unverständnis aufbrechen möchte. In dem Moment kehrt Zuniga in die Taverne zurück, in der Hoffnung, Carmen allein zu treffen. Als er José erkennt und angreift, wird er von den Schmugglern festgehalten. José ist gezwungen, sich ihnen anzuschließen.

Dritter Akt
Carmen, Frasquita und Mercédès kehren mit Dancaïro und Remendado ins Schmugglerlager zurück, in dem José wartet. Carmen ist seiner längst überdrüssig und weist ihn trotz seiner Drohungen grob zurück. Um sie aufzumuntern, lesen Frasquita und Mercédès aus den Karten. Während beide eine rosige Zukunft in Liebe und Reichtum voraussehen, verkünden Carmens Karten immer wieder ihren und Josés Tod. Dem Schicksal folgend akzeptiert Carmen dieses Los und wendet sich ihrer nächsten Aufgabe zu, der »Ablenkung« von drei Zöllnern. Kurz darauf erscheint Micaëla, die José gefolgt ist, und spricht sich selbst Mut zu. Sie versteckt sich, als sie Escamillo hört. Er wird von José empfangen und offenbart ihm seine Liebe zu Carmen. Es kommt zum Kampf, den Carmen und die Schmuggler beenden. Im Verabschieden lädt Escamillo alle zu seinem nächsten Stierkampf nach Sevilla ein. Micaëla wird entdeckt und bittet José, mit ihr zu kommen und noch einmal seine sterbenskranke Mutter zu sehen. Carmen drängt José ebenfalls, sie zu verlassen, und obgleich er sich dagegen sträubt, folgt er Micaëla.
Ganz Sevilla verfolgt den feierlichen Einmarsch der Cuadrillas in die Stierkampfarena. Zum Schluss zieht Escamillo vorbei und wird frenetisch gefeiert. Frasquita und Mercédès haben in der Menge José entdeckt und warnen Carmen vor ihm. Sie jedoch will ihm und ihrem Schicksal nicht ausweichen. Während des Stierkampfes treffen José und Carmen ein letztes Mal aufeinander. Er fleht sie an, mit ihm zu kommen, sie jedoch bleibt standhaft. Im Moment von Escamillos Sieg über den Stier tötet José Carmen.
 

Werkeinführung

»Carmen«, 1875 uraufgeführt, ist eine Oper mit Ohrwurmgarantie, seien es die Habanera der Hauptfigur oder die Couplets des Toreros Escamillo. Aber immer stehen diese Melodien im Dienst der spannenden und psychologisch genau gearbeiteten Geschichte um die rätselhafte Carmen und den Sergeanten Don José. Dramaturgie-Mitarbeiter Martin Lühr informiert im Opernführer-Online über die Handlung, ihre Quelle und die Entstehung dieser Oper sowie die Inszenierung von Axel Köhler aus dem Jahr 2013.

Porträtzeichnung des Dramaturgieassistenten Martin Lühr
Martin Lühr, Dramaturg; Zeichnung Semperoper

Regiekonzept

Die Magie der Abstraktion

Regisseur Axel Köhler im Gespräch

Georges Bizets Oper »Carmen« ist mit vielen Erwartungen und Klischees beladen. Wie gehen Sie damit um? 

Axel Köhler Mein Ansatz war ein Spagat zwischen Klischeevermeidung und ganz bewusstem Spiel mit dem Klischee, um es unter Umständen wiederum zu brechen. Die größte Gefahr an diesem Stück ist aus meiner Sicht, in die Gefälligkeitsfalle zu tappen. Dabei ist »Carmen« ein äußerst brisanter Stoff. Im Text und den Regieanweisungen geht es um Blut, Gewalt, Leidenschaft in allen Facetten. Das Stück ist überhaupt nicht niedlich oder beschaulich, sondern ziemlich brachial. Das habe ich versucht herauszuarbeiten. 

Carmen selbst erscheint in unterschiedlichen Facetten. Sie ist Zigeunerin, Zigarettenarbeiterin, Schmugglerin, Wahrsagerin, Sängerin, Tänzerin, leidenschaftlich Liebende, aber auch Verachtende. Wer ist Carmen für Sie?

Axel Köhler Carmen ist für mich eine genauso geheimnisumwobene Frau, wie es im Grunde jede Frau in unterschiedlichem Maße ist. In Carmen sind alle Eigenschaften, die eine Frau besitzen kann, vereint und zugespitzt. Sie ist besonders leidenschaftlich, kann besonders verachten, lebt alle emotionalen Situationen bis zum Eichstrich aus und daher sind die Fallhöhen ihres Charakters so groß, wie man sie im realen Leben wahrscheinlich kaum findet. Ich bin der Meinung, dass es keiner Inszenierung gelingen wird und es vielleicht auch keine anstreben sollte, das Wesen dieser Frau erschöpfend zeigen zu wollen. Als Regisseur muss ich sehen, wie ich mit meiner subjektiven Perspektive auf diese Frauenfigur umgehe in Interaktion mit den Sängern, die ihre Sicht ebenfalls einbringen. Daraus entsteht dieses interessante Wesen, das wiederum Assoziationsfläche für das Publikum lassen muss.

Der Gegenpol zu Carmen ist Micaëla.

Axel Köhler Micaëla ist eine würdige Gegenspielerin, sie ist nur anders sozialisiert. Carmen ist in ihr Milieu eingepasst, in dem andere ethische und Verhaltensnormen herrschen als in Micaëlas Umfeld. Im Katholizismus zum Beispiel gibt es zahlreiche Regeln, in denen es heißt: »Das macht man nicht, das tut man nicht, das sagt man nicht«, und Kinder, die das in der Prägezeit oft genug erfahren, lernen diese Regeln zu beachten. Bei Carmen gibt es genau das nicht. Dort tut, sagt und bekommt man alles, was man will. Es fehlt die Begrenzung. Das unterscheidet die beiden Frauen. Wäre Micaëla in einer anderen Sozialisierung aufgewachsen, wäre sie unter Umständen genauso eine Carmen.

Die Gegensätzlichkeit spiegelt sich auch bei den Männern mit Don José auf der einen und Escamillo auf der anderen Seite. Was reizt Carmen an den beiden?

Axel Köhler An José interessiert sie, dass er nicht sofort ihren Reizen verfällt und ihre weiblichen Waffen anscheinend versagen. Das kann sie nicht zulassen und so geht es ihr im ersten Moment nicht um Liebe, sondern darum, ihn zu brechen. Das ist sie sich selbst schuldig. Dass von ihrer Seite dann etwas hinzukommt, das man Gefühl nennen könnte, steht auf einem anderen Blatt. Durch Escamillo fühlt sie sich aufgewertet, da er in einer sozial höheren Schicht steht und ihr etwas bietet, das sie noch nie hatte, nämlich ein öffentliches Liebesbekenntnis. Das macht sie trunken. Was nicht bedeutet, dass es ewig so bleiben würde. Was man hat und als Glück empfindet, ist irgendwann Standard und unter Umständen dadurch wieder wertlos. Aber im Moment ist sie ihm verfallen. Escamillo ist der einzige Mann, zu dem Carmen aufschaut. Insofern hat Carmens Beziehung zu beiden Männern in erster Linie etwas mit ihrem eigenen Charakter zu tun, nicht mit Hingabe an die Männer.

Wenn man »Carmen« auf die Bühne bringt, stellt sich schnell die Frage nach der Fassung: Die ursprüngliche Dialogfassung oder doch lieber die Rezitativ-Fassung?

Axel Köhler Das Gefährliche für mich sind die langen Dialoge, die gewissermaßen selbst zu Musik werden müssen, damit keine Spannungslöcher entstehen. Die Musik, die uns verführt, fasziniert und elektrisiert, soll nie abreißen. Die Rezitative sind, wenn auch nicht von Bizet selbst, zum Teil sehr szenisch und theatral komponiert. Jeder Ton hat eine Bedeutung. Und da Bizet selbst schon melodramatisch und rezitativisch gearbeitet hat, haben wir uns für die Mischfassung entschieden, in der alle notwendigen Informationen so knapp wie möglich an das Publikum gegeben werden. (…)

Das Stück fordert verschiedene Spielorte: an der Fabrik, in der Kneipe, im Gebirge, vor der Stierkampfarena. Wie konkret möchten Sie dabei werden?

Axel Köhler Die Formel von Arne Walther und mir ist: So konkret wie nötig und so abstrakt wie möglich, damit man auch im Bühnenbild zeigt, dass wir Theater spielen und keinen Film drehen, keinen Naturalismus abbilden. Wir fordern dem Publikum Fantasie ab, indem wir eine Folie vorlegen, die dies oder das darstellen könnte. Das Publikum soll sich dann mit uns in eine Situation hineinbegeben, ohne fertige Bilder serviert zu bekommen. Es soll eine Verbindung von Sinnlichkeit und der Magie der Abstraktion entstehen.

Immer wieder formiert sich der Raum neu, entsteht ein Außen und ein Innen. Was ist dieser Raum? Stierkampfarena? Opferstätte? Lusttempel? Vom Schweiß durchsetzter Arbeitsraum? Ein Ort der Verheißung?

Axel Köhler All das kann jeder, der in der Vorstellung sitzt, selbst entscheiden. Was wir bauen wollen, ist Atmosphäre, die der Musik kongruent ist, dem Text entgegenkommt und eine Fläche für all diese Assoziationen bietet.

Auch die Kostüme von Henrike Bromber lassen Raum für Assoziationen …

Axel Köhler Wir wollten uns auch dabei nicht auf eine bestimmte Zeit festlegen. Die Soldaten wirken zeitlos gefährlich, die Frauen eher verschwitzt und gerade dadurch sexy. Hier werden also vielmehr die animalischen, archaischen Elemente bedient statt des schönen Klischees. Bildlich konkret wird es allein am Ende beim Einzug der Cuadrillas in die Arena, der auch im heutigen Spanien noch wie ein inszeniertes und durchchoreografiertes Kostümfest aussieht. Hier schließt sich eine große Klammer, denn Gebaren und Kleidung der Toreros sehen im 21. Jahrhundert genauso aus wie zur Entstehungs- und Handlungszeit der Oper.

Das Gespräch führte Nora Schmid. Das vollständige Interview ist im Programmheft zu »Carmen« abgedruckt.

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