Ein Interview mit Evelyn Herlitzius
In Poulencs zutiefst ergreifender Oper Dialogues des Carmélites verkörpert Evelyn Herlitzius eine sterbenskranke Ordensfrau und geistliche Führungsfigur, deren Glaubensgewissheit im Angesicht des Todes ins Wanken gerät. Zwischen spiritueller Strenge, radikaler Verletzlichkeit und der berührenden Beziehung zur jungen Blanche entfaltet sich ein Porträt von großer psychologischer Tiefe und Menschlichkeit. Herlitzius’ Interpretation der Priorin bildet dabei eines der starken emotionalen Zentren dieses zeitlosen Werks über Angst, Hoffnung und die Suche nach innerer Erlösung. Anlässlich der bevorstehenden Premiere von Dialogues des Carmélites an der Semperoper sprach Dramaturgin Dorothee Harpain mit der Künstlerin.
Sie verkörpern die Priorin als eine Frau, die an einem extremen inneren wie äußeren Wendepunkt steht. Wie würden Sie aus Ihrer Sicht diesen Zustand beschreiben?
— Die Priorin ist eine Frau, die am Ende ihres Lebens vor den Trümmern ihrer geistigen Existenz steht. Alles, wofür sie gekämpft hat im Leben, nämlich ihre Angst vor dem Tod mit Hilfe ihres Glaubens an Gott, ihrer Religiosität, ihrer Strenge gegen sich selbst zu überwinden, bricht im Moment ihrer Krankheit zusammen. Da ist nichts mehr außer der bitteren Erkenntnis, dass sie ihre Angst vor dem Tod unterdrückt hat, jedoch nicht er-löst.

Dialogues des Carmélites © Opernhaus Zürich/Herwig Prammer

Dialogues des Carmélites © Opernhaus Zürich/Herwig Prammer
Sie sprechen von Schlüsselmomenten, die den inneren Zustand dieser Figur besonders sichtbar machen. Welche sind das?
— Zwei Sätze sind meines Dafürhaltens nach von zentraler Bedeutung: „Ich bin einsam, vollkommen einsam, ohne irgendeine Art von Trost.“ Und: „Die Angst klebt an meiner Haut wie eine Maske aus Wachs.“ Während ihres Todeskampfes ist diese im Leben starke, diese sonst so disziplinierte Ordensfrau, nur noch ein wimmerndes, schreiendes Bündel Mensch.
In der Oper und Ihrer Interpretation der Partie spielt die Beziehung zwischen der Priorin und Blanche eine wichtige Rolle. Wie sehen Sie diese Verbindung?
— In Blanche erblickt sie eine Art Wiedergängerin ihrer selbst. Auch Blanche geht ins Kloster, um ihrer Angst Herr zu werden – jedoch nicht ihrer Angst vor dem Tod, sondern ihrer Angst vor dem Leben, dem Dasein. Blanche wählt für sich den Namen „Schwester Blanche von der Todesangst Christi“, welchen die Priorin als Novizin zunächst auch für sich wählte. Es fehlte ihr aber der Mut, sich dann tatsächlich so zu nennen. Und dann erscheint dort so ein verängstigtes, hochgefährdetes Mädchen. Es ist eine Art geistige Liebe auf den ersten Blick; als hätte die Priorin am Ende ihrer Tage eine Tochter bekommen.
Was reizt Sie daran, diese Rolle zu gestalten?
— Der Reiz für mich, diese Partie zu singen und darzustellen, liegt in der ungeheuren psychologischen Komplexität dieses Charakters. Und natürlich in der Beschäftigung mit dem Thema Leben und Tod: Was macht ein gelungenes Leben aus? Wie gehen wir aus diesem Leben? Wie überwinden wir unsere Ängste? Inwiefern ist das überhaupt möglich?

Dialogues des Carmélites © Opernhaus Zürich/Herwig Prammer
Die mehrfach ausgezeichnete Sopranistin Evelyn Herlitzius ist seit vielen Jahren eng mit Dresden verbunden und zählt zu den prägendsten Stimmen an der Semperoper. Die Sächsische Kammersängerin ist weltweit und am Dresdner Opernhaus in zentralen Partien der großen Opernwerke zu erleben, in Dresden zuletzt 2024 mit ihren umjubelten Interpretationen der Amme in Die Frau ohne Schatten und der Herodias in Salome. Als Hexe in Humperdincks Hänsel und Gretel begeistert sie regelmäßig zur Weihnachtszeit das junge wie erwachsene Semperoper-Publikum mit ungebrochener künstlerischer Intensität und geradezu atemberaubender Bühnenpräsenz.
Premiere am 31. Januar 2026
Vorstellungen: 8., 12., 15., 20. & 23. Februar 2026