Impressionen von Luxus
Ausschnitt aus dem Roman „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas, dem Jüngeren (1848)
Am folgenden Tag begab ich mich in die Rue d’Antin Nr. 9. Es war noch früh, und dennoch fand ich die Wohnung schon voller Besucher, darunter auch Damen, und obgleich sie in Samt gekleidet und in Kaschmirschals gehüllt waren und vor der Tür ihre eleganten Coupés stehen hatten, betrachteten sie doch mit Erstaunen und sogar Bewunderung den Luxus, der sich dort ihren Blicken darbot.
Gleich darauf verstand ich diese Bewunderung und dieses Erstaunen, denn als ich ebenfalls daranging, die Dinge in Augenschein zu nehmen, konnte ich unschwer erkennen, dass ich mich im Hause einer ausgehaltenen Frau befand. Und wenn es etwas gibt, was Damen von Welt zu sehen begehren – und dies waren Damen von Welt –, so sind das die Wohnungen jener Frauen, deren vorbeifahrende Equipagen täglich die ihren in den Schatten stellen, die wie sie selbst, und noch dazu gleich nebenan, ihre Loge in der Oper und im Théâtre des Italiens haben und in Paris schamlos und verschwenderisch ihre Schönheit, ihren Schmuck und ihre Skandale vor aller Augen ausbreiten.
Diese hier war tot: Die tugendhaftesten Frauen durften sich also bis in ihr Schlafzimmer vorwagen. Der Tod hatte die Luft dieses prachtvollen Sündenpfuhls gereinigt, und schließlich hatten sie – falls es nötig war – die Entschuldigung, dass sie gar nicht gewusst hatten, zu wem sie gingen. Anschläge hatten sie gelesen, und nun wollten sie sich betrachten, was diese versprachen und im Voraus ihre Entscheidung treffen; nichts einfacher als das. Was sie nicht hinderte, inmitten all dieser Herrlichkeiten nach den Spuren des Kurtisanenlebens auszuspähen, über das man ihnen zweifellos die seltsamsten Dinge berichtet hatte.
Aber leider hatte die Göttin ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen, und obgleich die Damen sich die beste Mühe gaben, konnten sie nur noch das aufspüren, was nach dem Tod der Bewohnerin zu veräußern war, und nichts von alledem, was sie zu Lebzeiten anzubieten hatte.
Doch auch sonst gab es übergenug Dinge, die man gern erstanden hätte. Die Einrichtung war stattlich. Rosenholzmöbel aus der Werkstatt des berühmten Boulle, Vasen aus Sèvres und China, Meißener Porzellanfigürchen, Satin, Samt und Spitzen – es fehlte an nichts.
Ich schlenderte durch die Wohnung und folgte den vornehmen Damen, die mir in ihrer Neugier zuvorgekommen waren. Sie betraten ein Zimmer, das ganz mit persischem Soff ausgekleidet war, und ich wollte gerade ebenfalls hineingehen, als sie es auch schon wieder verließen, mit einem Lächeln und Gebaren, als seien sie über diese weitere Kuriosität recht beschämt. Da verlangte mich nur um so lebhafter danach, dieses Zimmer zu betreten. Es war das vollständig erhaltene Ankleidezimmer der Verstorbenen und zeugte bis in die winzigsten Einzelheiten von ihrer unstillbaren Verschwendungssucht.
Auf einem großen Tisch an der Wand, der wohl drei Fuß hoch und sechs Fuß lang war, glänzten all die Schätze von Aucoc und 0diot. Es handelte sich dabei um eine ganz herrliche Sammlung, und nicht einer dieser tausend Toilettengegenstände, deren eine Frau wie diese hier bedurfte, war aus einem anderen Metall als Silber oder Gold. Dennoch durfte diese Sammlung wohl erst nach und nach zusammengetragen worden sein, und es war nicht ein und dieselbe Liebschaft, die sie vervollständigt hatte.
Mich konnte der Anblick des Ankleidezimmers einer Kurtisane nicht schrecken, und so machte ich mir ein Vergnügen daraus, jedes einzelne Ding, was auch immer es sein mochte, in Augenschein zu nehmen, wobei ich bemerkte, dass all diese herrlich ziselierten Utensilien unterschiedliche Initialen und verschiedene Kronen trugen.
Während ich mir so all die Sachen betrachtete, deren jede mir die Prostitution des armen Mädchens vor Augen führet, musste ich mir sagen, dass Gott ihr gnädig gewesen war, da er sie vor der üblichen Buße bewahrt und sie hatte sterben lassen, solange sie noch Luxus und Schönheit besaß, noch bevor das Alter nahte, dieser erste Tod, den Kurtisanen sterben.