Konzertreihe

»Neue Musik Paul Aron«

Anlässlich des 100. Jubiläums der beeindruckenden Dresdner Konzertreihe und des 135. Geburtstages von Paul Aron (1886, Dresden – 1955, New York)

Als Paul Aron als 69-jähriger in New York starb, sendete der New Yorker Rundfunk anlässlich seines Todes einen Nachruf verfasst von Olin Downes, dem ersten Kritiker der Tageszeitung »New York Times«. Außerdem wurde in Gedenken an Paul Aron Verdis »Requiem« ausgestrahlt.

Das war eine große Anerkennung des 1886 in Dresden geborenen Pianisten, Dirigenten, Veranstalters, Bearbeiters, Lehrers, Übersetzers und des Komponisten Paul Aron. Dagegen ist seine Eingliederung in die Musikgeschichte bei uns eigentlich bis heute längst überfällig. Es ist verwunderlich, dass seine Verdienste mit Ausnahme von einigen Zeilen in der neuen Enzyklopädie »Die Musik in der Geschichte und Gegenwart«, bis Ende des 20. Jahrhundert keinen würdigen Platz in den Musiklexika fand, dass Paul Aron selbst 1998 in den Memoiren von Ernst Křenek »Im Atem der Zeit« im Namensregister noch als italienischer Dirigent und Pianist aufgeführt wurde. Dabei war sein Wirken – nicht nur in Dresden – revolutionär.

In Oktober 1921 sprach der damals 35-jährige Paul Aron eine Einladung an die interessierte Öffentlichkeit aus, welche bis heute eine Einmaligkeit im Konzertbetrieb in Dresden, Deutschland aber auch weltweit, reflektiert: »Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass in Dresden die Schar derer die sich mit neuer Kunst auseinandersetzen wollen, sehr klein ist – sie vermag keinen unserer üblichen Konzertsäle nur annähernd zu füllen. Es schwebte mir daher zunächst vor, für diese Wenigen einmal im Monat während des Winters bei mir im Hause Neues zu musizieren. Wenn ich von dieser Idee Abstand nehme und den intimen kleinen Saal des Logenhauses für meine Nachmittage wähle, so tue ich das nicht zuletzt aus dem Optimismus, es möchten schließlich doch mehr Hörer werden, als mein Heim zu fassen vermag. Ich bringe in meinen Programmen nicht nur Gewagtes und Problematisches – was mir den Pulsschlag lebendiger Kunst zu haben scheint, erachtete ich der Aufführung wert. Andere Künstler sind mir in uneigennütziger Weise Mithelfer – auf die übliche Reklame zu verzichten und zum Mittel der Subskription zu greifen, veranlasst mich der Wunsch, die Eintrittspreise so niedrig ansetzen zu können, dass lediglich meine Unkosten gedeckt werden.« 

Spätestens von diesem Moment an begann das einmalige Wirken von Paul Aron in der Dresdner, aber auch in der europäischen Musikgeschichte. Im Jahre 1925, nach fünfjähriger Existenz der Reihe »Neue Musik Paul Aron«, schrieb der in Dresden wirkende Musikhistoriker Richard Engländer in der Zeitschrift »Anbruch« über Arons Konzerte folgende Gedanken: »Die Bedeutung der bisherigen propagandistischen Wirksamkeit Paul Arons, die durch das völlige Hineinwachsen seines Pianistentums in Technik und Ausdruckformen der nachimpressionistischen Kammerkunst immer stärkeres Gewicht erhält, liegt für den reproduktiven und rezeptiven Teil der örtlichen Kunstpflege schon jetzt offen zutage. (...) Persönliche Initiative und Zielklarheit eines Einzelnen (...) haben hier in Dresden zuwege gebracht, was anderwärts mancher ‚Gesellschaft für neue Musik’ nicht recht gelingen will.«

Vermutlich ist es weltweit niemandem anderen gelungen, mehrere Jahre lang dutzende Konzerte ausschließlich mit Werken zeitgenössischer Komponisten zu organisieren, diese in einer eigenen Reihe zu präsentieren, selbst in fast jedem der über 50 Konzerte als Pianist oder Dirigent mitzuwirken und mit zahlreichen zeitgenössischen Komponisten schriftliche sowie persönliche Kontakte zu pflegen.

Konzerte der Reihe »Neue Musik Paul Aron« fanden von 1921 bis 1930 als private Veranstaltungen statt. Die ganzen Jahre kämpfte Aron als Organisator und Dramaturg mit Finanzierungsproblemen seiner Ideen. Er war mehr oder weniger auf die zugeteilten Subventionen der Stadt angewiesen und an die Bereitschaft von Interpreten, für minimale Gagen – die er mitunter auch aus eigener Tasche bezahlte – aufzutreten. Trotzdem gelang es ihm, viele wichtige Werke des 20. Jahrhunderts in Dresden als Ur- bzw. Erstaufführungen vorzustellen. Insgesamt stellte er etwa 200 Kompositionen der Neuen Musik vor. Er hat nach Dresden Kammermusik von Igor Strawinsky, Kurt Weill, Alban Berg, Anton Webern, Arnold Schönberg, Francis Poulenc, Ernst Krenek, Béla Bartók, Louis Gruenberg, Karol Szymanowski, Darius Milhaud, Eric Satie, Paul Hindemith und vielen anderen Komponisten gebracht.

Im Exil in den USA, wo Aron ab 1941 gezwungenermaßen lebte, fing er an, selbst kontinuierlich zu komponieren. Er schuf unter anderem sechs bemerkenswerte Liederzyklen und insgesamt 22 Liedern. Diese entstanden auf Texte von Hermann Hesse, William Butler Yeats, Federigo García Lorca, Christian Morgenstern und Carl Sandburg. Ihre Verse hat Aron in den Originalsprachen Spanisch, Englisch und Deutsch musikalisch umgesetzt. Die Kompositionen liegen bis heute als Manuskripte vor. Arons musikalisch recht differenzierte Lieder sind eine Art von Referenzen an die Komponisten, die er während seines aktiven Lebens aufführte und schätzte. Zum Leitmotiv aller ist eine fesselnde Expressivität geworden. 

Der Text basiert auf: Paul Aron. Ein bedeutender Protagonist der Neuen Musik. In: Agata Schindler. Dresdner Liste. Musikstadt Dresden und nationalsozialistische Judenverfolgung 1933-1945 in Wort und Bild. Ein Beitrag zur Dresdner Musikgeschichte. S. 17-37. Dresden 2003.