Bewegungs-Dialoge

Stephanie Lake ist Artist in Residence am Semperoper Ballett

Die gebürtige Kanadierin Stephanie Lake zählt zu den bedeutendsten Tanzpersönlichkeiten ihrer Wahlheimat Australien. Sie ist Hauschoreografin des Australian Ballet, Mitglied des Beirats des Victorian College of the Arts, Botschafterin der Jugendtanzgruppe Stompin in Tasmanien und wurde 2013 zur ersten Gastdirektorin von Lucy Guerin Inc. ernannt. 2014 gründete sie die Stephanie Lake Company in Melbourne, mit der sie mit zentralen Kreationen wie Manifesto, Colossus, Monsters, Skeleton TreeReplica oder Pile of Bones nicht nur durch ganz Australien, sondern weltweit tourt. Für ihre Arbeiten wurde sie u.a. mit dem Helpmann Award, zweimal mit dem Australian Dance Award, dem Green Room Award wie auch dem Melbourne Fringe Award für die „herausragendste Choreografie“ ausgezeichnet.

Sie sind ab der Spielzeit 2025/26 für drei Jahre Artist in Residence beim Semperoper Ballett. Können Sie eine kurze Einordnung Ihrer ästhetischkünstlerischen Arbeit geben? Worauf dürfen sich Publikum und Tänzer*innen freuen?

Stephanie Lake — Zuallererst, es ist eine unglaubliche Ehre für mich, diese wunderbare Aufgabe zu übernehmen – und ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit in Dresden! Bezüglich meines künstlerischen Profils: Es ist immer schwer, Tanz zu beschreiben, weil er kaum artikulierbar, dafür aber umso tiefer empfunden ist. Meine Arbeit zeichnet sich durch intensive Körperlichkeit und Komplexität aus.

Zudem entwickle ich Stücke immer kollaborativ mit den Tänzer*innen, womit ich eine reelle Verbindung mit ihnen, aber auch mit dem Publikum eingehe, dessen Reaktion mich auf visueller und emotionaler Ebene interessiert. Thematisch faszinieren mich viele Sujets, dabei komme ich auf gewiss Kernbereiche immer wieder zurück. Hierzu gehört eine Besessenheit vom Verhältnis des Individuums mit der Masse. Fragen, wie wir in der Gesellschaft agieren oder unsere eigene Individualität und Integrität bewahren, wenn wir Teil eines Kollektivs sind. Mich fasziniert das Spannungsfeld zwischen Kontrolle, Macht und Intimität, die Dynamik menschlicher Beziehungen. In meiner Arbeit existiert eine Dualität, die für Intimität und Humanismus steht und reflektiert, wie wir uns als Gesellschaft organisieren. Welche Konflikte beschäftigen uns alle und zu welchen Lösungen finden wir? Die Kunstform Tanz liebe ich dafür, dass wir uns hier auf einer so intimen Ebene über zentrale Themen der Menschheit austauschen können.

Sie haben einen zeitgenössischen Hintergrund, arbeiten aber auch wiederholt mit klassischen Kompanien wie mit dem Semperoper Ballett zusammen.

Die Begegnung mit klassischen Tänzer*innen ist für mich immer eine Offenbarung. Ich selbst war nicht besonders gut im Ballett, sträubte mich als junge Tänzerin dagegen und empfand es als einengend. Mir lagen Improvisation und zeitgenössische Techniken. Zugleich hatte ich immer größten Respekt vor Balletttänzer*innen, ihrer Disziplin und Technik. Heute liebe ich es, mit klassischen Tänzer*innen zu arbeiten und finde die gegenseitige Befruchtung spannend. Ich bewundere klassische Linien, die Ästhetik und betrachte die Fähigkeit, Bewegungen mit so viel Klarheit auszuführen als einzigartig. Meine Kooperationen mit Ballettkompanien haben mich in meiner Kreativität stets beflügelt. Es gilt, meine eigene Arbeitsweise immer wieder neu anzupassen und zu analysieren. Es fühlt sich nur richtig an, dass dieses neue Kapitel meiner künstlerischen Arbeit in Dresden aufgeschlagen wird.

Ihre Wahlheimat Australien befindet sich am anderen Ende des Erdballs. Worauf freuen Sie sich bei Ihrer neuen Aufgabe in Dresden am meisten?

Als Tänzerin hatte ich das Glück, für verschiedene Choreograf*innen und Kompanien tätig zu sein und an vielen Orten in Deutschland auf Tournee zu gehen. Mich beeindruckte hier seit jeher die so reiche Kultur, vor allem die komplexe Geschichte des modernen Tanzes. Es ist eine große Ehre, ein Teil davon zu werden! Als gebürtige Kanadierin mit Wahlheimat in Australien finde ich es zudem großartig, wie international das Semperoper Ballett ist. Wir alle sind doch Teil dieser Kunstform, die Sprachen und Kulturen nonverbal übersetzt und deren Talent darin besteht, Menschen über kulturelle Grenzen hinweg miteinander zu verbinden. Für mich bedeutet diese Art künstlerischer Arbeit einen optimistischen Blick in die Zukunft. Tanz empfinde ich auch auf diese Weise als so heilend und inspirierend – er kann Optimismus und Hoffnung vermitteln, und das brauchen wir mehr denn je.

Das Jahr 2025 beinhaltet zwei große Jubiläen für den Tanz in Dresden: 200 Jahre Semperoper Ballett und 100 Jahre Palucca Hochschule für Tanz Dresden. Mit Colossus werden beide Jahrestage der Institutionen gemeinsam geehrt. Was fasziniert Sie an der Konstellation großer Gruppen?

Es gibt zwei Arten von Werken für größere Gruppen, die typisch für meine Arbeit sind: Stücke wie Colossus oder Circle Electric, in Auftrag gegeben vom Australian Ballet, die für 50 oder mehr professionelle Tänzer*innen choreografiert wurden. Aber es gibt auch den anderen Fokus meines Schaffens: künstlerische Kreationen mit nicht-ausgebildeten Tänzer*innen der breiten Öffentlichkeit, die mir ebenfalls eine enorme Befriedigung verschaffen. MASS MOVEMENT versteht sich z.B. als inklusive Veranstaltung für Menschen von zwölf bis 100 Jahren – alle Altersgruppen, Körpertypen, Laien-Performer*innen mit Beeinträchtigungen oder ohne, die ganze menschliche Bandbreite ist willkommen. Solche Projekte repräsentieren die Demokratisierung von Performance, es hat etwas Kraftvolles, Teil einer so großen Gruppe zu sein. Mit fremden Menschen gemeinsam auf der Bühne verbunden zu sein, vermittelt dieses unnachahmliche Gefühl von Befreiung – das ist ein Geschenk, das ich so oft wie möglich anbieten möchte.

Auch in Dresden haben wir mit Colossus ähnliches vor, indem dieses Stück all die verschiedenen Facetten meiner künstlerischen Arbeit repräsentieren wird: Wir zeigen das originale Werk mit professionellen Tänzer*innen des Semperoper Ballett und Studierenden der Palucca Hochschule wie auch – im Rahmen von – YOUth Moves, eine adaptierte Education-Variante Kolossus Kids, die im Herbst in Semper Zwei auf die Bühne gelangt. Zudem machen wir Colossus anhand von inklusiven Tanz-Workshops für eine breite Zielgruppe erfahrbar. Ich hoffe, dass dieser Auftakt ein voller Erfolg wird und kann es kaum erwarten, dass es losgeht!


Die Sächsische Semperoper Stiftung unterstützt ab der Spielzeit 2025/26 Stepahnie Lake als Artist in Residence des Semperoper Ballett und damit auch die Premiere von Colossus.

Wings and Feathers

8. November 2025 (Premiere)
10., 14., 19., 20. & 23. November 2025

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