Kontrastreich schön

Es gibt kaum eine andere Liebesgeschichte, die so sehr in unserer Kulturgeschichte verankert ist, wie die von Romeo und Julia. Die Schauspielerin und Regisseurin Barbara Wysocka und der Dirigent Robert Jindra im Gespräch zu Charles Gounods Adaption Roméo et Juliette.

Robert Jindra, Sie wurden in Prag geboren, sind seit 2022 Musikdirektor am dortigen Nationaltheater, wie kommt man da in Verbindung mit französischen Opern und welche Beziehung haben Sie zu Roméo et Juliette?

Robert Jindra — Ich versuche, französische Musik in meiner Heimat Tschechien zu fördern und andere Künstler*innen davon zu überzeugen, sie so häufig zu spielen, wie sie es verdient. Als ich Musikdirektor an der Oper Ostrava war, habe ich zu meinem Einstand Werther von Massenet gespielt. In Prag planen wir in der Zukunft Debussys Pelléas et Mélisande oder Massenets Cendrillon. Es gelang mir auch, Chaussons Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 20, Magnards Sinfonie Nr. 3 b-moll op. 11 Bukolische und Orchesterlieder von Henri Duparc in der Slowakei und Tschechien aufzuführen. Aber es gibt noch so viele schöne Werke, die wir spielen sollten. Aus dem französischen Repertoire liebe ich besonders die Romantik und den Präimpressionismus, also Komponisten wie Vincent d’Indy, Ernest Chausson, Jules Massenet, Édouard Lalo und Albéric Magnard. Einer meiner bisher unerfüllten Wünsche wird nun endlich in Erfüllung gehen: Roméo et Juliette von Charles Gounod.

„Love is heavy and light, bright and dark, hot and cold, sick and healthy, asleep and awakeits everything except what it is!“ (Act 1, scene 1)
William Shakespeare Romeo and Juliet

Welche Unterschiede finden Sie, Barbara Wysocka, zwischen der Vorlage von William Shakespeare und der Fassung von Charles Gounod?

Barbara Wysocka — Charles Gounods Roméo et Juliette sticht durch die Abweichung von der traditionellen Lösung zwischen den beiden verfeindeten Familien am Ende der Oper hervor. Im Gegensatz zu anderen Adaptionen verzichtet Gounod darauf, eine echte Versöhnung zu präsentieren, und bewahrt so eine Atmosphäre ungelöster Spannung, die in der Luft liegt. Die Musik der Oper, gekennzeichnet durch ihre traumhaft schönen Melodien, bildet einen Kontrast zu den dunklen Themen von Tod und Selbstmord, die in Shakespeares Stück dominant sind. Somit ist die dunkle und ungelöste Geschichte der schönen Musik gegenübergestellt. Shakespeares Geschichte, voller schräger Themen – zum Beispiel dem Apotheker, der am Ende Romeo das Gift illegal verkauft – ist in Gounods Fassung noch stärker durch Gegensätze gezeichnet.

Charles Gounod war ein tiefgläubiger Mensch; er komponierte nicht nur Opernwerke, sondern verdiente sein Geld auch als Kirchenkapellmeister, Chorleiter und Organist. Inwiefern hört man die „Kirche“ in der Partitur von Roméo et Juliette?

Robert Jindra — Der Einfluss der Kirchenmusik ist in Gounods Musik sehr deutlich und beeinflusste maßgeblich Kompositionstechniken von ihm. So gehört beispielsweise seine Cäcilienmesse zu den schönsten Kompositionen dieser Art – übrigens auch einer meiner großen musikalischen Wünsche. In seiner Oper Faust und schließlich auch in Roméo et Juliette erscheint die Orgel als Teil der Geschichte. Die Klangfarbe und das harmonische und formale Verständnis sind nicht nur eine „not- wendige“ Ergänzung der Musikdramaturgie, sondern ein wesentlicher Bestandteil.

Juliette will selbst über sich entscheiden. Ein revolutionärer Gedanke in Zeiten von Shakespeare – wie sehen Sie Juliette aus heutiger Perspektive?

Barbara Wysocka — Die Herausforderung in zeitgenössischen Inszenierungen besteht darin, Juliette, die in Shakespeares und Gounods Versionen oft wenig Handlungsspielraum hat, durch die Zuschreibung einer Biografie und eines Hintergrunds zu einer handlungsfähigen, selbstbewussten und facettenreichen Figur zu machen.