Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein

Axel Ranisch trifft Alexander Strauss zum Gespräch über seine Urgroßeltern Pauline de Ahna und Richard Strauss

Lieber Herr Strauss, Intermezzo ist doch die speziellste Oper Ihres Urgroßvaters?

Allerdings! Mir ist auch kein Werk von jemand anderem bekannt, der es gewagt hätte, sich in dieser Form selbst zum Thema eines Stücks zu machen. Wobei es ja noch mehr um meine Urgroßmutter geht. Eine Oper über die eigene Ehe auf dem Siedepunkt, weil ein falsch zugestellter Brief den Verdacht auf außereheliche Aktivitäten nahelegt, das ist allerdings sehr speziell.

Ja, und der ganze banale Alltag mit all seinen Hohen und Tiefen drumherum … Richard – ich nenne Ihren verehrten Urgroßvater jetzt einfach mal so beim Vornamen – hat ja nicht nur diese ganz besondere Musik komponiert, sondern auch gleich das Libretto selbst verfasst.

Das mutet schon außergewöhnlich an, auch wenn man auf die Stoffe der anderen Opern schaut. Die überlieferte Sentenz „Ich komponiere mich eigentlich immer selbst“ ist vielleicht der Schlüssel zum Verständnis. Uns ist ja nicht wirklich etwas zum Schaffensprozess überliefert. Wir wissen nicht, wie bei ihm die kompositorische Imagination vonstattenging. Der Urgroßvater hat halt einfach gearbeitet.

Und das ganz wunderbar! Gemeinsam mit Saskia Wunsch und Falko Herold, die mit mir an Intermezzo arbeiten, habe ich einen Ausflug zur Inspiration nach Garmisch in die Villa Ihrer Urgroßeltern gemacht. Man wandelt förmlich durch die Kulissen von Intermezzo! Wenn ich nur an die Skat-Ecke denke. Wir waren ganz schön beeindruckt!

Das glaube ich gern. Wir sind schon auch ein wenig stolz, dass der komplette Nachlass im Familienbesitz ist und es an uns ist, diesen unverändert zu erhalten. Garmisch stand ja quasi eins zu eins auf der Bühne bei der Uraufführung von Intermezzo 1924 in Dresden. Und z.B. auch die Figur der Anna, die Hausangestellte, die tapfer das emotionale Auf und Ab zu ertragen versteht, ist ja nach einem realen Vorbild modelliert. Sicher gibt es im Stück die eine oder andere historische Unschärfe: Der Urgroßvater war 60 Jahre alt, als er die Arbeit an Intermezzo abschloss. Er war 40 Jahre, als seine Ehe für kurze Zeit auf dem Kopf stand. Es bleibt ja ein ganz besonderes Kunstwerk und eben keine Dokumentation. Aber grummelige Nachmittage, Ärger mit dem Personal, wie wir sie im Stück erleben, die gab es schon.

Ihre Urgroßmutter soll ja, wenn ich es richtig weiß, bis zum Abschluss der Komposition, nicht wirklich geahnt haben, was für eine Art von Hommage an das gemeinsame Eheleben da auf sie zukommt.

Ja, so scheint es gewesen zu sein. Der Urgroßvater hat ja über einige Jahre an dem Werk gesessen. Erst kurz vor der Premiere drangen erste Gerüchte an sie durch. Er hat es offenbar ganz auf die Überraschung angelegt.

Glauben Sie, er hatte keine Sorge, dass sie bei der Uraufführung explodieren könnte? Schließlich kommt Ihre Urgroßmutter ja als Charakter mit Ecken und Kanten auf die Bühne.

Sagen wir es so: Ihm war sicher klar, dass sie ihrem Naturell entsprechend reagieren würde, wenn all diese Enthüllungen des Alltags so auf der Bühne präsentiert werden. Aber er hatte sicher genügend Menschenkenntnis und Einfühlung in Pauline, um auf ihren Humor zu setzen. Es wurde zu Hause auch viel gelacht. Schon rasch nach der Uraufführung wurde sie zur Verteidigerin des Werks. Er hat sein Bauxerl gut genug gekannt, dass er mittelfristig keine Sorgen haben musste. Und ein bisschen geschmeichelt wird sie schon auch gewesen sein. Welche Komponistengattin fällt Ihnen ein, der eine ganze Oper gewidmet ist?  

Eben! Man merkt in Intermezzo schon, was sie ihm bedeutet, dass die beiden sich auf ihre Art gebraucht haben. Das rührt mich und erinnert mich in manchem an meine Großeltern.

So ist es. Heute würde man sagen, die beiden waren ein gutes Team. Ihre Ehe kann man in mancherlei Hinsicht nicht vergleichen mit anderen Künstlerehen. Sie war Sängerin, hatte bei ihm Unterricht, so fing ja alles an. Ihre Stringenz – sie war eine bayerische Generalstochter – hat ihn sehr angesprochen. Sie haben sich bewusst miteinander für dieses lange gemeinsame Leben entschieden. Die Urgroßmutter ist ja dann auch recht kurz nach ihm gestorben. Ohne ihren Richard machte das Leben keinen Sinn mehr. Sie ist wie eine Kerze verlöscht.

Sie haben es erwähnt: Ihre Urgroßmutter war Opernsängerin. Sie stand u. a. auch in Bayreuth auf der Bühne und ihr Mann hat ihr die schönsten Lieder in die Kehle komponiert. Ich könnte grad drauflos schwärmen. Warum hat sie so früh aufgehört?

Als sie aufhörte, war sie eigentlich im besten Sängerinnenalter. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Aus der Erkenntnis, dass sein Potential größer ist als ihres? Dem Kind zuliebe? Jedenfalls war das Geburtserlebnis einschneidend für die Familie. Sie war 1,57 Meter groß, wog nicht mal 50 Kilo und brachte 1897 einen Jungen, meinen Großvater Franz, auf die Welt, der an die fünf Kilo wog. Die Geburt zog sich über vier Tage hin und ihr Leben stand auf Messers Schneide. Man hat ihr von weiteren Schwangerschaften abgeraten. Das hat die kleine Familie eng zusammengeschweißt.

Zurück zur Ehe der beiden. Dieser Vorfall rund um den falsch zugestellten Brief ist ja so theatral, da muss man eine Oper draus machen. Dabei spielt Eifersucht eine große Rolle.

Nun, er stand halt im Rampenlicht, war spätestens seit der Salome eine Berühmtheit. Ich würde es so formulieren: Sie hatte eine natürliche Eifersucht, aber zu ihrem Glück nie einen echten Grund dafür.

Ich hatte die beiden gerne als Paar erlebt. Hatten sie Rituale?

Der Alltag war ritualisiert. Der Urgroßvater hat ja zu Hause gearbeitet. Der Tag folgte einem strukturierten Ablauf, aber starr war es nicht. So was wie „Ruhe, das Genie komponiert“ gab es nicht.

Glauben Sie, hat sich Ihre Urgroßmutter auch in anderen Werken wiedergefunden?

Ganz bestimmt. Frauen stehen ja in allen Stücken auch musikalisch im Zentrum des Geschehens. Da spürt man gleich, wo sein Inneres hintendiert hat. Ich gehe davon aus, dass bei vielen Frauenfiguren der Erfahrungshintergrund mit Pauline eine große Rolle spielte. 

Wie waren die beiden als Paar?

Die Rollenverteilung war früh klar. Sie hat sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, und er hat zu manchem lächelnd geschwiegen. Dennoch hat vor allem er seine Interessen mit einer gewissen patriarchalen Machtfülle in der Partnerschaft durchgesetzt. Sie gingen auf einem parallel geführten Lebensweg und doch jeder auf seinem Gleis. Beide wussten um ihre Kompetenzen im Miteinander und kannten ihre Grenzen, die sie sich auch gegenseitig aufzeigten. Ich bin mir sicher, sie wollte ihr Leben nicht anders als sie es hatte.

Sie kommen zur Premiere?

Aber sicher, wir freuen uns schon sehr. Intermezzo ist immer wieder besonders und es in Dresden erleben zu können, erfüllt mich mit großer Vorfreude.


Axel Ranisch war ganz schön überrascht, als er in der Garmischer Villa all die Engelchen, Kreuze und Madonnen sah. Das hatte er vom Komponisten der Salome nicht erwartet. Der Grund: Der Architekt Emanuel von Seidl hat, wie damals üblich, auch die Inneneinrichtung im Stil der Zeit gestaltet.

Alexander Strauss hat einen ganz anderen Lebensweg eingeschlagen als sein Urgroßvater. Der Gynäkologe ist Professor an der Universität Kiel. Sein Verhältnis zur Musik beschreibt er als „von großer Begeisterung und Talentlosigkeit“ geprägt.