Nijinsky – Leben und Wirken
Am 24. Januar 2025 feiert John Neumeiers Meisterwerk Nijinsky seine Premiere beim Semperoper Ballett. Hiermit kehrt die Jahrhundertfigur anlässlich des 200. Geburtstags der Kompanie nach Dresden zurück, wo Vaslaw Nijinsky (1889-1950) mit den Ballets Russes in den Jahren 1912/13 gastierte.
Als Hommage an die Tanzikone stellen wir Nijinsky in seinem Leben und Wirken vor – einen komplexen Künstler, der bis heute Tanzschaffende weltweit prägt und inspiriert.

Nijinsky in Danse siamoise from the Orientales © John Neumeier Stiftung
„Zehn Jahre Wachsen, zehn Jahre Lernen, zehn Jahre Tanzen, dreißig Jahre Finsternis“
Biograf Richard Buckle

Theaterzettel vom ersten Gastspiel der Ballets Russes am 13.02.1912 in Dresden © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden
Im Jahr 1909 traten die von Impresario Serge Diaghilev und den beiden Kostüm- und Bühnenbildnern Alexandre Benois und Léon Bakst gegründeten Ballets Russes zum ersten Mal in Paris auf und eroberten von hieraus die westliche Welt.
Glück im Unglück – ein Feuer hatte in St. Petersburg das Theater zerstört, in dem die Ballets Russes nach ihrem Berliner Gastspiel aufführen sollten. Kurzfristig konnte das Dresdner Hoftheater der Company für wenigstens drei Aufführungstermine eine Heimstätte anbieten.
Am 13. Februar 1912 gastierte das Ballettensemble rund um Startänzer Vaslaw Nijinsky erstmals auch in Dresden – weitere Gastspiele an die Semperoper sollten folgen – und präsentierte die Erfolgsstücke Le Pavillon d’Armide, Carnaval und Scheherazade jeweils in der Choreografie Michel Fokines. Reminiszenzen an diese Werke lässt John Neumeier in seiner Inszenierung Nijinsky auf der Bühne in Erscheinung treten.
Hier wie dort lösten die Ballets Russes mit ihren sinnlich-expressiven Tanzschöpfungen eine Sensation aus – das hatte die Welt noch nicht gesehen!
Als Kinder von professionellen Tänzern wurde Vaslaw Nijinsky und seinen Geschwistern das Talent für den Tanz in die Wiege gelegt: Vaslaw und sein älterer Bruder Stanislav (1886-1917) traten bereits als Kinder in einer Opernproduktion in Odessa auf, Bronislava Nijinska (1891-1972) wurde später Mitglied des Mariinsky-Balletts in St. Petersburg sowie Tänzerin und Choreografin der Ballets Russes.
Sowohl seine Mutter Eleonora und sein Bruder Stanislav als auch Vaslaw selbst litten unter schweren Depressionen und psychischen Störungen, Stanislav wurde 1902 sogar in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Vaslaw Nijinsky, der 1919 zum letzten Mal in einem Hotel in St. Moritz öffentlich aufgetreten war, starb 1950 nach 30 Jahren Krankheit.
John Neumeiers Ballett Nijinsky beginnt mit diesem letzten legendären Auftritt in der Schweiz und nimmt das Publikum mit auf die berührend-verstörende Lebensreise des Jahrhunderttänzers.
Gemeinsam mit den beiden Star-Ballerinen Tamara Karsawina und Anna Pawlowa tanzte Vaslaw Nijinsky nicht nur bei den Ballets Russes und am Mariinsky Ballett, sondern absolvierte mit ihnen auch bereits die Ausbildung an der Kaiserlichen Ballettschule St. Petersburg.
Im Jahr 1907 beendete Nijinsky seine Ausbildung mit der Rolle des Sklaven in Michel Fokines Pavillon d’Armide, worin er an der Seite Anna Pawlowas tanzte. Mit demselben Ballett gastierte Vaslaw dann am 13. Januar 1912 auch erstmals an der Dresdner Semperoper – hier gemeinsam mit Tamara Karsawina.

© Semperoper Dresden | Serghei Gherciu; Pawlowa & Nijinsky in Der Pavillion der Armida (1907), Privatsammlung.

Vaslav Nijinsky in Petrushka, Elliott & Fry, London 1911 © John Neumeier Stiftung
Nijinsky als Harlequin in Carnaval, Geist der Rose in Le Spectre de la rose, Goldener Sklave in Scheherazade oder als Faun in L’après midi d’un faune – in all seinen künstlerischen Facetten löste der Startänzer Begeisterungsstürme aus.
Doch keine andere Rolle scheint so eng mit Vaslaw Nijinskys persönlichem Leben verbunden und so tief in seine Seele eingeschrieben, wie die Titelfigur in Petruschka.
All diesen legendären Bühnenpartien setzt John Neumeier in Nijinsky ein Denkmal und beweist einmal mehr, weshalb Nijinsky als Jahrhundertfigur und einmalige Erscheinung der Tanzgeschichte gilt.
Bei John Neumeiers zweiteiligem Ballett Nijinsky spielt wie für die Ballets Russes typisch auch das Kostüm- und Bühnenbild eine entscheidende Rolle.
Neben der Choreografie ist Neumeier unter teilweiser Verwendung der Originalentwürfe von Léon Bakst und Alexandre Benois auch für Bühnenbild und Kostüme der Produktion verantwortlich.
Wie die choreografische Probenarbeit mit den Tänzer*innen nehmen auch die Kostüme und das Bühnenbild in den Werkstätten der Semperoper von Tag zu Tag zunehmend ihre finale Gestalt an.

Vaslav Nijinsky als Faun, Zeichnung von Léon Bakst | John Neumeier Stiftung

Hellerau © Collections of the Bibliothèque de Genève
Im Jahr 1913 wurde es zu einem der größten Theaterskandale in der Geschichte des Tanzes, heute gilt es als Schlüsselwerk der Moderne: Vaslaw Nijinskys Choreografie Le Sacre du Printemps zu Igor Strawinskys gleichnamiger bahnbrechender Komposition.
Zu einem entscheidenden Ort künstlerischer Inspiration wurde Nijinsky Dresden-Hellerau. Hier besuchten Vaslaw Nijinsky und sein Mäzen Serge Diaghilew noch im Jahr der Uraufführung Marie Rambert, die als damalige Assistentin von Émile Jaques-Dalcroze – dem sogenannten Begründer rhythmischer Gymnastik – am renommierten Bildungsinstitut für Musik und Rhythmus lehrte.
Rambert nimmt fraglos choreografischen Einfluss auf die Entstehung dieses Gipfelwerks und ist bei allen 120 Sacre-Proben Nijinskys wie auch der skandalträchtigen Pariser Uraufführung zugegen.