Regie
Es fehlen ihr die Worte
Gedanken des Regisseurs Christof Loy zu seiner Inszenierung von »Rusalka« (November 2020)
»Es ist durchaus nicht eindeutig in der Welt von Antonín Dvořák, Jaroslav Kvapil und auch Karel Jaromir Erben, den ich als Paten dieser Oper sehe, ob man die Naturwelt als unbeschädigtes, heiles Territorium sehen kann, und die Welt der sogenannten Menschen als verderbte, geschädigte Zivilisation. Alles scheint vielmehr von den verschiedenen Richtungen durchdrungen, das Reich des Wassermanns, der die mächtigste Gestalt in der Oper zu sein scheint, ist von Liebe und Zärtlichkeit, aber auch von Verlustangst und Drohmechanismen bestimmt. Ganz zu schweigen von den dunklen und gefährlichen Elementen, von denen die Rede ist, wenn es um den Grund des Sees geht, oder die destruktiven Seiten der Ježibaba.

Es ist aber auch ein Reich der Illusionen und der Fantasie. Ein Reich der Träume, in denen Liebe und Sinnlichkeit wie eine Chimäre erscheint – nicht greifbar und unerreichbar. Zugleich ist es für die Elterngeneration aber auch ein Reich der Desillusion. Für Ježibaba und ihren Lebensgefährten haben sich die geträumten Träume nicht erfüllt, wie für einen Theaterdirektor, der nicht das erreicht hat, was er wollte und gestrandet mit seiner Künstlerfamilie in einem leeren Theater hockt. Man weiß nicht, ob die Natur, das Felsgestein, sich schon über Jahrhunderte in die Architektur gefräst hat, oder ob es sich um Kulissenteile handelt, die der Theaterdirektor in die Eingangshalle gestellt hat, nun Wohnhalle und Spielort der Theaterkinder.
Hier kann seine Lieblingstochter Rusalka Meerjungfrau sein, und ihr körperliches Gebrechen, das sie am Laufen und Tanzen hindert, in melancholischen, wissend-traurigen Träumen vergessen. Die Waldnymphen sind noch arglos und können noch dem Moment leben, die Ježibaba, ihrem Partner entfremdet, zieht sich in ihre Welt zurück. Eine gealterte Soubrette ohne Glamour, Hausfrau und Prinzipalin, die mehr in der Vergangenheit hängt. Und vielleicht war die Vergangenheit auch nie besser als die Gegenwart. Der Wassermann, der Ehemann, leidet unter seinem Fluch, seine Kinder zu sehr zu lieben. Und auch wenn er vielleicht Rusalka noch nie angefasst hat, existiert zwischen den beiden ein starkes Band, das aber auch nicht gesund ist, denn er gönnt diese Tochter auch niemand anderem.
Daneben gibt es noch anderes Theater- oder Zirkusvolk, das darauf wartet, dass ein Wunder geschieht. Vielleicht ist es ein Wunder, dass Rusalka, die nicht laufen, nicht tanzen kann, wie geheilt scheint und sich für sie der Weg in eine Zukunft öffnet, der den anderen verwehrt war oder den sie versucht hatten, und von dort hoffnungslos wieder in ihre alte Welt zurückgekehrt sind.
Wie in einem Theaterwunder sieht sich Rusalka ihrem Märchenprinzen gegenüber. Spielt das Theatervolk nun mit ihr ein neues Leben durch? Oder ändert sich ihr Leben wirklich? Und man weiß es nicht, aber verwandelt sich der schäbige heruntergekommene Entreesaal des Theaters für sie zur Lebensbühne, ein glattes, blankes Parkett, auf dem sie wieder von neuem ausgleitet? Das Leben, das Rusalka mit ihrer Theaterfamilie führte, ließ sie ersticken und sie fand nicht die Liebe, die sie suchte und niemanden, der mit ihr die Hoffnung auf ein unsterbliches Leben nach dem Tod teilen konnte oder wollte. Zu enttäuscht waren dort alle, zu nihilistisch. Und nun erweist sich, so moderig ihr früheres Leben auch schien, das neue Leben als schnelllebig, oberflächlich, hohl und leer. Der Prinz erscheint ihr plötzlich wie ein Sexprotz, und sie weiß nicht, ob sie es ist, die sich ihm nicht geben kann oder ob sie verwirrt ist, die Gelüste des Vaters plötzlich in ihm wiederzuentdecken und sie deswegen erstarrt. Die schöne Bühne wird zum Albtraum, in dem sich ein feuriges Liebesduett zwischen ihrem Prinzen und der fremden Fürstin, einer Königin der Nacht und Sexbombe, abspielt.
Es fehlen ihr die Worte. Sie findet keinen Platz. Als Braut, ausgestellt wie eine Grace Kelly bei ihrer Hochzeit in Monaco fühlt sie sich, als wenn man sie verspottet. Das Weiss des Brautkleides wird ihr zum Sinnbild ihrer eisigen Kälte, ihrer Unfähigkeit, Gefühle zu erwidern, ihrer Unfähigkeit, sich zu artikulieren. Der Akt endet mit einem apokalyptischen Szenarium, in dem der Vater versucht, den Prinzen und die Hofgesellschaft niederzustrecken.
Im dritten Akt ist der Stein, der Fels wieder zurückgekehrt, ja hat noch mehr Besitz von der einstmals herrschaftlichen Architektur ergriffen. Als wenn der Wassermann Schutzwälle gegen die Welt von außen baut. Hier nun ziehen sich alle von Rusalka zurück, es ist auch nicht mehr der Ort, an dem Träume möglich sind. Aber sie bleibt sich selber treu und ihrer Liebe. Ihre Liebe verstört sogar die Natur, die unbarmherzig und grausam mit ihr ist. Umso großherziger verzeiht sie dem Prinzen, der zu ihr zurückkehrt. Ihr Kuss ist nicht ein Kuss, mit dem sie ihm den Tod gibt, sondern ewiges Leben. Nur sie selbst bleibt noch im irdischen Leben zurück und stellt sich weiter den Fragen, die die Welt ihr stellt. Sei diese Welt nun eine reale oder eine traumwandlerische, surreale.«