»Ins Dornengehege der Straussschen Koloratur mutig eingedrungen«

Gelobt und hoch geschätzt wurde die Leistung des Ensembles bei der Dresdner Erstaufführung der »Ariadne auf Naxos« im November 1912. Die Kritik war sich einig: »Die Aufführung war wieder eine Glanzleistung des Dresdner Hoftheaters. Ernst von Schuch versteht Strauß zu interpretieren wie kein anderer«. Dem Hofkapellmeister standen mit Eva Plaschke-von der Osten als Ariadne, Fritz Vogelstrom als Bacchus und Margarethe Siems als Zerbinetta großartige Interpreten zur Seite. Mit Minnie Nast als Echo war sogar das berühmte »Rosenkavalier-Terzett« wieder auf der Bühne vereint. Doch selbst sie konnten dem neuesten Werk von Strauss und Hofmannsthal nicht zum erhofften Erfolg verhelfen. »Fehlte schon der Stuttgarter Uraufführung die unbedingte, laute Zustimmung, so war die Stimmung des gestrigen, bei dreifachen Preisen nicht ausverkauften Hauses im ganzen ziemlich lau«, war nach der Premiere in den Dresdner Nachrichten zu lesen.

Bereits zur Uraufführung in Stuttgart sang Margarethe Siems die Partie der Zerbinetta. Eine höchst interessante Besetzung, wenn man bedenkt, dass sie zuvor im »Rosenkavalier« die Marschallin verkörperte, die Aida in Verdis gleichnamiger Oper oder die Venus im »Tannhäuser«. Allesamt Partien, die eher im dramatischen Fach angelegt sind als die Koloraturen der Zerbinetta. Die erste Wahl von Richard Strauss war sie vermutlich nicht. Ihm schwebte eigentlich die damals an der New Yorker Metropolitan Opera engagierte Frieda Hempel vor. Nach deren Unpässlichkeit empfahl sich Margarethe Siems für die Uraufführung sicher dadurch, dass sie bereits für die Dresdner Erstaufführung drei  Wochen später vorgesehen war. Nach einer Probe mit ihr zeigte sich der Komponist aber äußerst zufrieden und telegrafierte an Schuch in Dresden: »Fräulein Siems hat auf heutiger Probe durch unerhört vollendete Wiedergabe der stimmlich und technisch gleich sieghaft vorgetragenen Zerbinetta-Arie bei dem anwesenden Kunstpersonal des Hoftheaters einen rauschenden Triumph errungen«. Die Presse sah das nach der Premiere allerdings etwas weniger euphorisch. »Margarethe Siems’ Koloratur entbehrt zwar der Meisterlichkeit, aber sie vermag doch mit der Stimme so ziemlich überall hinzukommen, freilich nicht zu den vorgeschriebenen höchsten Tönen. Aber über das hohe Dis sollt eigentlich auch kein Komponist hinausschreiben«. 

Der umfangreichen Kritik an der »Ariadne« nahmen sich Strauss und Hofmannsthal nur zögerlich an. Vor allem Strauss hielt zunächst an Molières Schauspiel vor der Oper fest. Erst nach langem Ringen entstand bis 1917 eine zweite Fassung ohne Schauspiel, aber mit musikalischem Vorspiel, welches die Rahmenhandlung zur ursprünglichen Oper bildet. An der Oper selbst hat Strauss nur wenig verändert. Was er allerdings bearbeitete, betraf die Partie der Zerbinetta. Die halsbrecherisch virtuose Arie mit ihrer umfangreichen Kadenz entschärfte der Komponist, indem er die Kadenz kürzte und die gesamte Arie nach D-Dur um einen Ton nach unten transponierte. Die zweite Arie strich er komplett. War Margarethe Siems in der Uraufführung die Anstrengung noch anzuhören, wirkte die Partie in der neuen Bearbeitung, interpretiert durch die Dresdner Sopranistin Liesel von Schuch, leicht und unbeschwert. Dies war »die allerliebste Zerbinetta, die so hübsch sang, wie sich dies tolle Zeug eben ungefähr singen läßt«, urteilte 1917 der Kritiker Eugen Schmitz über die Tochter Ernst von Schuchs. Die Koloratur-Naturstimme war ihr bereits in die Wiege gelegt worden. Mit 22 Jahren an das Königlich Sächsische Hoftheater verpflichtet, bot sie dem Publikum ein umfangreiches Repertoire, das sowohl Partien aus dem Koloratur-, als auch aus dem lyrischen Stimmfach enthielt. Bei ihrem Dresdner Debüt 1914 sang die Künstlerin noch unter dem Dirigat ihres Vaters, kurz vor dessen Tod, dreimal die Violetta in »La Traviata« und zweimal die Rosina in »Der Barbier von Sevilla«. Schon damals war die Presse voll des Lobes: »Die musikalische Leistung mußte jeden Zuhörer mit Freude erfüllen. Die Stimme der jungen Sängerin ist von großem Reiz, ihr sind zarte, edle Klangfarben zu eigen«, wie Georg Irrgang 1914 anerkennend schrieb. Die Rolle der Zerbinetta verkörperte sie nach der Dresdner Erstaufführung der zweiten Fassung von »Ariadne« auch bei der Premiere in der ersten Neuinszenierung 1926. Eugen Schmitz schrieb 1917 in den Dresdner Nachrichten: » … nicht zu vergessen, der graziösen und in das Dornengehege der Straußschen Koloratur mutig eindringenden Zerbinetta Liesel von Schuchs, die nach ihrer Arie freundlichen Sonderbeifall fand«.

Text von Elisabeth Telle. Der vollständige Text ist im Programmheft zur aktuellen »Ariadne auf Naxos«-Produktion nachzulesen.