Entstehung
Erich Wolfgang Korngold über seine Oper »Die tote Stadt«
Eines Tages, im Sommer 1916, machte mich Siegfried Trebitsch auf das Schauspiel »Das Trugbild« aufmerksam, das Georges Rodenbach nach seinem berühmten Roman »Bruges-la-Morte« gedichtet und Trebitsch für die deutsche Bühne bearbeitet hatte. Ich las das Stück und entwarf noch an demselben Abend das Szenarium einer Oper. Bei diesem, meinem Szenarium ist es natürlich in der Folge nicht geblieben, wohl aber an meinem Interesse für den Stoff. Die eigentümliche Brügge-Stimmung, der schwermütige Grundton, die beiden Hauptgestalten mit ihren fesselnden seelischen Konflikten, der Kampf der erotischen Macht der lebenden Frau gegen die nachwirkende seelische Macht der Toten, die tiefere Grundidee des Kampfes zwischen Leben und Tod überhaupt, insbesondere der schöne Gedanke notwendiger Eindämmung der Trauer um teure Tote durch die Rechte des Lebens, dabei überall eine Fülle musikalischer Gestaltungsmöglichkeiten, all das zog mich an. Und dies erst recht, als die letzte Umgestaltung des Stoffes durch Paul Schott alles Geschehen nur Ausfluss einer Vision des aus dem seelischen Gleichgewicht gebrachten Helden werden ließ, eine poetische Ausdeutung, zu der durch Rodenbach, den Dichter, der Anstoß gegeben war, indem er schon die tote Frau den erregten Sinnen des trauernden Gatten erscheinen lässt. Die traumhafte fantastische Sphäre, in die der Stoff damit gerückt war, schien dessen eminente Musikfähigkeit zu vollenden. Von der Musik möchte ich in geziemender Zurückhaltung nur so viel sagen dürfen, dass ich gerade des traumhaft-fantastischen Charakters der Handlung wegen das Streben auf äußerste dramatische Knappheit richtete. Und noch mehr als zuvor war ich bei aller Wahrung der dramatischen Funktionen eines im Dienste von Stimmung, Schilderung und psychologisch-dramatischer Charakteristik farbig und thematisch geführten Orchesters auf Hervortreten des singenden Menschen, auf Gefühl und Affekt widerspiegelnde dramatische Gesangsmelodie bedacht. Dies alles unbeschadet moderner Diktion, in der ich höre und fühle.