Slapstick

Sie dürfen jetzt lachen

Zur Ästhetik des Slapsticks

Ein Mann erleidet einen schweren Unfall: Er rutscht aus, verliert das Gleichgewicht und stürzt. Durch die Wucht des Sturzes wird eine ahnungslose Frau mitgerissen, die gegen einen Pfosten prallt. Aber keine Sorge: Der Slapstick fällt, Sie dürfen jetzt lachen.

So oder ähnlich mag das Szenario ausgesehen haben, welchem eine spezielle Komödienform ihren Namen verdankt: Der Souffleur gibt mit einem Stock den Einsatz für das Lachen des Publikums in einer Vorstellung. Der Slapstick zeigte dem Zuschauer, wann der Ernst des Lebens nur gespielt ist, wann Missgeschicke, Schmerz oder Tränen harmlos und lustig sein dürfen. Und er gab dem Darsteller die Möglichkeit, diese Missgeschicke und Unfälle zu simulieren, ohne sie wirklich am eigenen Leib zu erfahren. Als Slapstick wird auch die »Pritsche« des Narren bezeichnet, die bereits in der Commedia dell’arte verwendet wurde: Zwei miteinander verbundene Holzstöcke, die ein typisches Knall- oder Schlaggeräusch erzeugen und dem Spiel auf der Bühne zur Klangkulisse verhelfen, die rabiaten Körpereinsatz simuliert.

Kein anderes Genre hat den Slapstick so sehr verinnerlicht wie die Stummfilmkomödie. Die anfänglichen Beschränkungen des Mediums Film haben Komiker wie Charlie Chaplin oder Buster Keaton zum Prinzip einer Ästhetik erhoben – ihr clowneskes Spiel und die aus gewagten Stunts entstehende Situationskomik bedurften nicht vieler Worte. Statt großer Narration und Einfühlung bietet die Stummfilmkomödie eine Möglichkeit zur Distanzierung: Ihre Figuren sind so überdreht, so schablonenhaft überzeichnet, dass sie oft Marionettencharakter haben – in dieser »Mechanisierung des Lebens«, wie Henri Bergson die Komik umschreibt, steckt auch zumeist der Slapstick-Effekt. Und die Figuren sind so übertrieben ungeschickt, dass ihr Pech und ihre Pannen nicht ernst zu nehmen sind, dass eine Bedrohung ihres Schicksals unmöglich erscheint: »Die Stummfilm-Figuren kennen keinen Tod, keine Sexualität, kein Leiden«, konstatiert Psychoanalytiker Slavoj Žižek, »sie sind wie Cartoon-Figuren: Zerteilt man sie in Stücke, setzen sie sich von allein wieder zusammen – Endlichkeit oder Sterblichkeit existieren für sie nicht.« Die Logik des Slapstick besteht somit, ähnlich der Logik des Karnevals und der Maskerade, in der Aufhebung jeglicher Logik: Ein Spiel, bei dem alles erlaubt ist und nichts Konsequenzen hat, zumindest für eine Weile. Die Zeitlosigkeit des Slapsticks als Form rührt gerade daher, denn sie betrifft die wesentliche Funktion des Lachens: das Verkennen des Wissens um die Grenzen des Menschen. »In der Tat gibt derjenige, der lacht, sein Wissen nicht auf, sondern verweigert für eine gewisse, limitierte Zeit, dieses Wissen zu akzeptieren«, schreibt der Philosoph George Bataille.

Mit der Einführung des Tonfilms verschwand die Slapstick-Figur nicht von der Bildschirmfläche, aber sie stand vor einer neuen Herausforderung: Wie umgehen mit der Dimension der menschlichen Stimme, welche der stilisierten Stummfilm-Figur mehr Individualität und dem Zuschauer somit mehr Identifikationsmöglichkeit bietet? »Denn was mit dem Ton im Film einhergeht, ist ein Innenleben: Tiefe, Schuld, Gewissen«, so Slavoj Žižek – und damit das Eingestehen: Das Lachen hat ein Ende, irgendwann.

Swetlana Boos