Interview
Essenz der Oper und augenzwinkernde Satire
Dirigent Johannes Wulff-Woesten und Regisseur Manfred Weiss über »Il tutore«
Für den südafrikanischen Theatermacher William Kentridge bietet das Intermezzo die Möglichkeit, den Blick weg von den ausgetretenen Pfaden hin zum Wegesrand zu wenden. Was finden Sie dort?
Manfred Weiß Mich fasziniert an der Gattung des Intermezzos, dass es sozusagen die Essenz der Oper ist. Es gibt in der Regel drei Personen, davon zwei Sänger: Ein älterer Mann und eine junge Frau. Bei der dritten Figur handelt es sich um eine stumme Rolle, meist einen Diener. Zwischen diesen entwickelt sich eine klassische Dreiecksgeschichte. Alle Themen, die für den Menschen – und damit für die Oper – interessant sind, werden hier bereits angelegt. Für mich als Regisseur bedeutet die Arbeit an dieser »kleinen Oper«, dass ich mich vollständig auf die Darsteller konzentrieren kann. So entstehen andere Fragen, eine andere Dynamik. Zudem findet die Produktion bei uns auf der Vorbühne statt. Die kleine Form und die Platzierung im Raum ermöglichen eine ganz neuartige Intimität für den Zuschauer in der Semperoper.
Johannes Wulff-Woesten Mir gefällt die kreative und künstlerische Freiheit, auch in musikalischer Hinsicht, da die Stücke in gewisser Weise unfertig sind. Dies impliziert die Möglichkeit zur Improvisation und zur Bereicherung, gerade was die musikalische Aussetzung und Auszierung angeht oder das Spiel mit (auch instrumentalen) Klangfarben – in ihrer Zeit wurden Intermezzi mehrfach umgearbeitet bzw. an örtliche Gegebenheiten angepasst. Inhaltlich finde ich die Satire und den Realismus spannend, gerade im Kontext der jeweiligen Zeit.
Das Intermezzo entstand aus der Opposition heraus, als Einlage zwischen den drei Akten der sogenannten »Barockoper«, der Opera seria. Es richtete sich gegen deren als steif und artifiziell empfundene Form. Statt Göttern und Helden standen nun Bürgerliche auf der Bühne, der Einfluss des Volkstheaters ist unverkennbar. Was bleibt von dieser kritischen Haltung ohne die Folie der Opera seria?
Manfred Weiß An die Stelle der Opera seria haben wir eine Rahmenhandlung gesetzt, eine Theater-Probensituation. Das Bühnenbild greift Elemente der Semperoper auf, das Orchester sitzt mit auf der Bühne. Diese Rahmenhandlung variiert »Il tutore« und verdeutlicht so die Hierarchien zwischen den Figuren. Unsere Folie ist quasi die große Semperoper.
Eine weitere Ebene ist Ionescos »Automobilsalon« zwischen den beiden Teilen des Intermezzos.
Manfred Weiß Wir hatten uns in der Vorbereitung zu dieser Produktion mit zahlreichen anderen Texten beschäftigt, die ebenfalls Abhängigkeitsverhältnisse zwischen einer jungen Frau und einem älteren Mann thematisieren. Eines der bekanntesten Theaterstücke zu dem Thema ist die »Unterrichtsstunde« von Eugène Ionesco, in der der Lehrer am Ende die Schülerin ermordet. Interessanter erschien uns aber Ionescos »Automobilsalon«, weil hier noch eine weitere Facette des »tutore« angesprochen wird: Menschliche Beziehungen sind immer auch Machtbeziehungen. Im »Automobilsalon“ geht es nicht nur um den Verkauf von Autos, von Waren, sondern um Verkäuflichkeit in jeder Beziehung.
Johannes Wulff-Woesten Der »Automobilsalon« wird ein- und ausgeleitet von Musik aus der Sinfonia zu Hasses »Ezio«, der Opera seria, inmitten derer »Il tutore« gespielt wurde. Ionesco hat Geräusche, bestehend aus Tierlauten, Klingeln, Trompeten, Motorengeräuschen, Eisengeklirr und Jazz-Takten vorgeschrieben. Um einen assoziativen Kontext zum Intermezzo zu schaffen, kam mir die Idee, Hasse-Motive, auch aus »Ezio«, mit verfremdenden Geräuschen zu kombinieren, die quasi als kleine Bühnenmusik fungieren.
Wie würden Sie Hasses Musik beschreiben und welchen Kriterien sind Sie bei der Einrichtung gefolgt?
Johannes Wulff-Woesten Ich schätze an der Musik Hasses, dass sie es versteht, tänzerische, schmissige Impulse mit sehr verinnerlichten, gefühlvollen Cantilenen zu verbinden. Die für ihn typischen Synkopen und umgekehrten Punktierungen bringen einen erstaunlich modernen »Drive« und erinnern zuweilen an Jazz-Rhythmen. »Historisch informierte Aufführungspraxis« verstehe ich unter dem Gesichtspunkt, dass Musik eine spontane Kunst ist und lebendig bleiben muss, aber den Reichtum der Farben und Stilistik vergangener Jahrhunderte nutzen und einbeziehen sollte. Darauf bezugnehmend haben wir uns aus verschiedenen Gründen dazu entschieden, auf modernen Instrumenten zu spielen, jedoch in Valotti-Stimmung und mit Einsatz ausgesuchter barocker Instrumente wie Krummhorn, Sopranino-Blockflöte und Barockfagott. Es macht großen Spaß, in das Geschehen auf der Bühne direkter mit- eingebunden zu sein. Schließlich soll zuweilen auch eine augenzwinkernde Satire auf das Leben im Opernhaus, unter den Künstlern auf der Bühne, im Orchester, den vielen treuen und emsigen Geistern hinter den Kulissen und deren Befindlichkeiten entstehen.