Entstehung
Entstehungsgeschichte
Grundlage von Kurt Weills Oper »Street Scene« ist das gleichnamige, 1929 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete und 1931 verfilmte Schauspiel von Elmer Rice, der auch das Libretto schrieb und in seiner Sozialkritik Bertolt Brecht nahe steht. Langston Hughes, einer der bedeutendsten schwarzen Dichter der USA, steuerte einige der Liedtexte bei. Ähnlichkeiten in der Aussage zwischen »Street Scene« und manchen von Weills früheren europäischen Werken sind nicht zu übersehen. Weill selbst, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft Deutschland im März 1933 verließ, nachdem er gewarnt worden war, dass die Nazis ihn zu verhaften planten, verwirklichte mit »Street Scene« einen großen Wunsch: die Verbindung von Musik und Drama zu Musiktheater im besten Sinne und eine daraus resultierende amerikanische Oper. Vor der Premiere am 8. Januar 1947 im Adelphi Theater in New York hängte Weill am Schwarzen Brett einen Brief an das Ensemble aus: »Liebe Freunde, die Premiere heute Abend bringt mir die Erfüllung eines alten Traumes – des Traumes von einem ernsten, dramatischen musikalischen Werk für die Bühne des Broadway, das ein neues Feld für Sänger, Musiker und Komponisten eröffnen könnte. Dieser Traum wird heute Wirklichkeit … Nun liegt alles an Ihnen, und ich wünsche Ihnen, dass Sie heute Abend auf die Bühne gehen mit dem Bewusstsein, eine wichtige Schlacht zu schlagen.«
Das Konzept ging auf, das Premierenpublikum war begeistert, und auch die Reaktionen in der Presse bescheinigten Weills neuem Ansatz Erfolg: »Broadways erste richtige Oper« titelten die Zeitungen nach der gelungenen Uraufführung. Am Broadway herrschten damals relativ günstige Voraussetzungen für innovative Arbeit, und da die amerikanischen Opernhäuser zeitgenössischen Werken kaum eine Chance gaben, war es natürlich, dass Weill und andere ihre künstlerischen Ziele in kommerziellen Theatern zu erreichen versuchten. Was »Street Scene« betrifft, so setzte Weill im Dramatischen auf den fließenden Übergang vom Lied zum gesprochenen Wort und verband verschiedene musikalische Ausdrucksformen zu einem zusammenhängenden Ganzen: »Sobald ich über die Musik zu ›Street Scene‹ nachzudenken begann, entdeckte ich, dass das Stück selbst nach einer großen Vielfalt von Musik verlangte, so wie die Straßen von New York ihrerseits die Musik vieler Länder und Völker aufnehmen. Hier hatte ich eine Gelegenheit, unterschiedliche musikalische Ausdrucksformen zu verwenden, vom populären Song bis zu Opernarien und Ensembles; Stimmungsmusik und dramatische Musik, Musik einer jungen Liebe, Musik der Leidenschaft und des Todes – und über allem die Musik eines heißen Sommerabends in New York.«
Leitungsteam
Die Musikalische Leitung dieser Neuproduktion hat der englische Dirigent Jonathan Darlington inne. Er ist Music Director der Vancouver Opera und war zudem von 2002 bis 2011 Generalmusikdirektor der Duisburger Philharmoniker. An der Semperoper war er bereits 2008 mit der Uraufführung von Manfred Trojahns »La Grande Magia« zu Gast.
Mit »Street Scene« gibt die junge Regisseurin Bettina Bruinier, ihrerseits Hausregisseurin am Schauspiel Frankfurt, ihren Einstand an der Semperoper: »Weill entfaltet in ›Street Scene‹ eine Welt, in der sich Alltagsszenen und klaustrophobische Enge der realen Welt mit Sehnsuchtsräumen und Wunschbildern abwechseln. Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen entsteht dabei ein großes Tableau, in dem der menschliche Kreislauf von Geburt, Leben und Tod genauso verhandelt wird, wie politische und gesellschaftliche Fragen.« So werden in dem groß angelegten Ensemblestück mit über 30 Rollen im Verlauf der Oper unterschiedlichste Haltungen zum »amerikanischen Traum« gezeigt: Enttäuschte, Verhärtete, Überforderte, Gescheiterte, Hoffende und Träumer; jene, die sich abgefunden haben, und jene, die an der Situation zugrunde gehen. »Bei dem liebevoll bis bitteren Blick auf die verschiedenen Figuren, ihre Verständigungsschwierigkeiten und Unterschiedlichkeiten verliert Weill auch nie einen gewissen Grundhumor. Das macht das Stück u.a auch für uns heute noch so reizvoll und fassbar«, ergänzt Bettina Bruinier.
Weill selbst sprach »Street Scene« nicht nur besondere Qualitäten zu, sondern sagte voraus, dass das Werk lange nach seinem Tod wieder auf Interesse stoßen werde. Nun, 64 Jahre nach der Uraufführung, ist »Street Scene« erstmals in Dresden zu erleben. In der Stadt, wo Weill 1926 mit »Der Protagonist« einst seine Karriere als Musiktheaterkomponist begann. Fritz Busch persönlich dirigierte damals die Uraufführung. Das Publikum applaudierte zwanzig Minuten, es gab über vierzig Vorhänge; auch Weill musste sich wieder und wieder verbeugen. Sieben Jahre und zahlreiche Erfolge später hieß es »aus!« für Weills Musik in Deutschland. Wäre die Geschichte anders verlaufen, hätte Weill dann neben vielen, die verstummten, Deutschland womöglich nicht verlassen? Auch die Musikgeschichte wäre anders verlaufen, und vielleicht wären das Wahre und das Schöne keine unüberbrückbaren Gegensätze in der Gegenwartsmusik geworden.