Diese strahlende Stimme
Sie kommt aus Kairo, hat in Neuseeland, Cardiff und San Francisco Operngesang gelernt und startet von Paris aus ihre Weltkarriere. Ein Treffen mit der fantastischen Sopranistin Amina Edris.

Amina Edris © Capucine de Chocqueuse
Reinhard J. Brembeck
Das „Café Absinthe“ nahe der Opéra-Comique in Paris öffnet erst in drei Stunden. Doch da kommt sie auch schon, Amina Edris, Sängerin und einer der neuen Stars der Klassikszene. Dass das „Absinthe“ geschlossen hat, ist kein Problem. Schließlich wohnt Amina Edris gleich um die Ecke, dort geht es nun hin. Seit zwei Jahren lebt sie mit ihrem Mann Pene Pati in Paris, auch er ist Sänger, Tenor und ebenfalls auf dem Weg zu Weltruhm. Auf Patis neuem Album „Nessun Dorma“ (Warner Classics) ist Amina Edris zu hören, leicht, flamboyant, strahlend. Das macht unbedingt Lust, sie live zu hören und mit ihr zu sprechen.
Amina Edris beginnt zu erzählen. 1991 ist sie in Kairo geboren und dort aufgewachsen, die Großmutter mütterlicherseits stammt aus Südägypten. Sie sagt mit einem dunklen Lachen: „As far as I know!“ Wichtig wurde für sie vor allem ihr Onkel, der Bruder ihres Vaters. Er spielt die arabische Laute Oud, Gitarre, die Trommel Tabla, Klavier, alles nach Gehör. Dieser Onkel brachte ihr „old-school-songs“ von den nach wie vor hymnisch verehrten arabischen Meistersängerinnen Umm Kulthum und Fairuz bei, auch Nummern von Abdel Wahab. Jedes Wochenende war sie bei ihrer Großmutter, schaute alte arabische Schwarz-Weiß-Filme und Filmmusicals. Dann nahm ihr Onkel die Oud – „I really loved it“ – und ließ sie auf dem Klavier die Melodien nachspielen. Als sie sechs oder sieben war, legten alle zusammen und kauften ihr zum Geburtstag ein Klavier.
Ihre Eltern arbeiteten im Tourismus, die Mutter als Tourguide für französische Gruppen, der Vater betrieb eine Boutique in Luxor, sie selbst ging auf die französische Schule. Dann gab es 1997 das Attentat auf einen Touristenbus vor dem Hatschepsut-Tempel, der Tourismus brach ein, genauso das Einkommen der Eltern. Zufällig sah die Mutter in einer Zeitung eine Anzeige für Einwanderung nach Neuseeland. So fand sich Amina Edris als Zehnjährige in Christchurch wieder, sang im Schulchor und in einem Barbershop-Quartett, diesem typisch amerikanischen Gesangsstil, und spielte Posaune im Orchester, in einer Jazzband. Das habe sehr seltsam ausgesehen, weil sie ein „very girlie girl“ war, klein und zierlich ist sie heute noch, aber voller Kraft.
Der Umzug nach Neuseeland sei für sie sehr hart gewesen. „Kairo ist immer so quirlig, voller Menschen, sehr laut, lebendig, ich war immer von der Familie umgeben. Christchurch ist sehr friedlich und ruhig, man kann die Vögel am Morgen singen hören.“ So konnte sie anfangs nicht schlafen, weil sie die Ruhe nicht gewohnt war.
Die Eltern duldeten Musik damals nur als Hobby, wichtig war ihnen Biologie, Chemie, Physik, Mathematik. Aminas kleiner Hund, der bis dahin ruhig unter dem Tisch saß, springt an dieser Stelle des Gesprächs auf, wird aber gleich harsch zurechtgewiesen: „Miles, no jumping!“ Musik gilt für wenige Eltern auf der Welt als karrieretauglich. Das gelte aber, meint sie, noch mehr in einer arabischen Familie. Man muss dort Arzt werden, Ingenieur. Als das Studium anstand, fragte sie ihre Eltern nach ihren Möglichkeiten, die waren: Maschinenbau, Medizin, Ökonomie. Sie wählte Maschinenbau: „Ich hasste es.“
Nach einem halben Jahr Maschinenbau exmatrikulierte sie sich, ohne es den Eltern zu sagen, ging zur Musikschule, sang vor. Die nahmen sie und erwähnten nebenbei, dass sie nur klassische Musik, Oper unterrichten würden. Kein Jazz, nichts Zeitgenössisches, kein Musical. „Ich sagte okay.“ Sie bat ihren Onkel, den Eltern via Skype beizubringen, dass die Tochter Musik studieren würde. „Mein Vater konnte damit leben. Meine Mutter eher nicht, sie war sauer.“ Ihre Mutter sprach vier Monate lang nicht mehr mit ihr. Vielleicht, mutmaßt sie, weil in der arabischen Welt Mädchen überbehütet würden. Mittlerweile unterstützen ihre Eltern sie, sagt sie, sie seien stolz auf sie und glücklich.
Sie solle etwas Einmaliges in ihrer Stimme finden, sagte man ihr einmal. Das tat sie
Während ihr Singen und Musikalität natürlich zuflossen, fehlten ihr anfangs die hohen wie die tiefen Töne, nur die Mittellage war da. Das zu lernen, war schwer für sie. Die natürlich dahinfließende arabische Musik zu singen fiel ihr genauso leicht wie Beweglichkeit, Verzierungen und Schnelligkeit, das musste sie nicht lernen. Den Rest konnte sie erst, als sie 2013 nach einem Umweg über Cardiff nach San Francisco kam und ihren Gesangslehrer fand, bei dem sie noch immer ist. Ein Sänger unterrichtet eine Sängerin? Das sei kein Problem, jeder Sänger könne jeden Sänger unterrichten, ganz egal welche Stimmlage. Ihr Mann Pene Pati, den sie 2011 in Neuseeland kennengelernt und 2016 geheiratet hat, hatte bei einer Frau Unterricht. Ein Lehrer muss, das sei zentral, aber für jeden Schüler die richtige Sprache für seine Erklärungen finden, damit die dem Schüler einleuchten, für ihn Sinn ergeben.
Das Konzept hat im Fall Amina Edris bestens funktioniert. Ihr Stimmklang ist von der Höhe über die Mittellage bis in die Tiefe einheitlich homogen, da sind keine Brüche zu hören. Das ist selten und kündet von viel Arbeit. Jetzt steht mit Mozarts Fiordiligi eine Partie an, bei der diese so schwer herzustellende Homogenität ganz besonders wichtig ist. „He is evil, very evil, Mozart“, konstatiert sie. Mochte dieser Bösling keine Sopranistinnen, obwohl mit einer verheiratet?
Mit Anfang 20 war nicht klar, in welche Richtung sich ihre Stimme entwickeln würde. Sie hatte eine warme Färbung und keine superhohen Töne. Und jeder habe ihre Stimme anders eingeschätzt, es wurde versucht, sie in die verschiedenen Stimmgattungen einzusortieren. Was Schwachsinn sei, „weil sich die Stimme erst bis 28, 29, 30 Jahre richtig entwickelt. Dann erst weiß man, wo die Stimme sitzt, was man singen kann, in welches Fach man hineinwächst.“
„Es ist sehr schwer, eine lyrische Sopranistin zu sein unter sooo vielen Sopranistinnen da draußen.“ Ein Casting-Direktor sagte Amina Edris einmal, sie solle etwas „Einmaliges“ finden und das zu ihrem „Selling Point“ machen. In Ihrem Fall war das dann: französische Musik.
Sie würde gern mehr Liederabende geben, kleine Geschichten erzählen
Sie hat Jules Massenets „Ariane“ und Giacomo Meyerbeers „Robert le diable“ aufgenommen, dessen „Prophète“ auf der Bühne gesungen. Mit Massenets „Manon“ feierte sie 2019 in Bordeaux ihren ersten großen Operntriumph. Dass sie nicht nur das Standardrepertoire singt, was auf Dauer langweilig sei, sondern auch selten aufgeführte Stücke, habe ihr viele Türen geöffnet. Schon singt sie Manons koloraturgesättigte Gavotte an, darin gibt es ein hohes D, die höchste Note, die sie auf Bühnen singt. „Wenn ich Verdis Traviata singe, dann ohne das hohe Es. Ich kann es daheim singen, aber nicht in der Öffentlichkeit. Manchmal kommt es, manchmal nicht, und ich möchte das Risiko nicht eingehen.“
Wie viele Opernsänger würde auch sie mehr Liederabende geben, bekommt aber nur wenig Angebote. „Recitals sind zehnmal schwerer als eine Oper, weil so intim und weil so viele kleine Geschichten zu erzählen sind statt einer großen wie in der Oper. Das macht unglaublich viel Arbeit. Es ist aber erfüllend, ein schönes Programm zusammenzustellen.“ Auch Barockmusik macht sie selten, ihr verrücktestes Experiment war Jean-Philippe Rameaus Komödie „Platée“, die schräge Geschichte einer kreuzhässlichen Sumpfnymphe, die sich für erotisch unwiderstehlich hält. Komödie würde sie liebend gern wieder machen, die meisten Opern aber sind zutiefst tragisch und ernst.
Stattdessen wurde sie ein paarmal für moderne Stücke gebucht, von Jonathan Dove, Thomas Adès und für die Uraufführung von John Adams „Antony and Cleopatra“ in San Francisco. Die Geschichte über die ägyptische Königin hat die Sängerin aus Ägypten natürlich interessiert. Die Musik zu lernen aber war eine riesige Herausforderung, weil Adams sehr rhythmisch schreibt und ihre Partie voll großer Sprünge in die Extremregionen ist. Trotzdem: „Ich habe das Stück lieben gelernt.“ Ihre Stärke aber liege wohl eher nicht in zeitgenössischer Musik.
Mit Dirigenten und Regisseuren hat sie keine allzu großen Probleme. Es sei für sie zentral, mit eigenen Ideen zur Rolle auf die Probe zu gehen. Genauso wichtig aber sei Flexibilität, da es verschiedene Zugänge gäbe. „Das ist manchmal sehr schwierig, wenn die sehr weit von der eigenen Idee entfernt sind. Dann muss man verhandeln, das geht. It’s politics.“ Und wenn die gesungenen Worte so gar nicht zur Inszenierung passen? „Ich musste lernen, wie ich das anders singe, damit die Inszenierung Sinn ergibt. Man muss die Worte musikalisch so interpretieren, dass sie zur Aktion passen, szenisch und dramatisch. Das ist vielleicht das Härteste an diesem Job.“
Süddeutsche Zeitung, 9. Januar 2025