Semper Geschichte/n

»Musik berührt den Menschen im Zentrum seiner Existenz«

Am 22. Oktober 2021 verstarb der Komponist Udo Zimmermann im Alter von 78 Jahren. Udo Zimmermann, der sich Zeit seines Lebens für Neue Musik und zeitgenössisches Musiktheater einsetzte, war der Stadt Dresden und der Semperoper eng verbunden. Sein Erstlingswerk »Weiße Rose« sowie die Opern »Levins Mühle« und »Der Schuhu und die fliegende Prinzessin« erlebten in Dresden ihre Uraufführung.

»Musiktheater ist Unterhaltung im besten Sinne des Wortes, das heißt ein Gespräch über Wesentliches, das uns hier und jetzt beschäftigt.«, so beschrieb Udo Zimmermann in einem Interview aus dem Jahr 2001 seinen Blick auf die Möglichkeiten des Musiktheaters. Der 1943 in Dresden geborene Komponist und spätere Opernintendant studierte zunächst Komposition, Dirigieren und Gesang an der Dresdner Musikhochschule, bevor er ab 1970 als Dramaturg, später dann als Chefdramaturg, an der Dresdner Staatsoper tätig war. 1978 folgte der Ruf als Professor für Komposition an die Dresdner Musikhochschule, wo er rund zehn Jahre zuvor im Opernstudio bereits seine erste Opernkomposition »Weiße Rose«, eine Oper in acht Bildern und sieben Rückblenden auf ein Libretto seines Bruders Ingo Zimmermann zur Uraufführung gebracht hatte: »Ich habe in meiner ersten Oper, einer Oper über den christlichen Widerstandskampf der Geschwister Sophie und Hans Scholl, München 1943, versucht, für mich psychisch und physisch erfahrbar zu machen, was es heißt, Nein zu sagen. Ich habe mit Mitteln der Musik nachzuempfinden versucht, was Angst, Verzweiflung in einem Menschen auszulösen vermögen, was es aber auch bedeuten kann, sich dem zu widersetzen.«, so Zimmermann.

»Levins Mühle«

Nach zahlreichen Orchester- und Vokalkompositionen und der Realisierung der Oper »Die zweite Entscheidung« entwickelten Udo und Ingo Zimmermann in einer weiteren Zusammenarbeit die Opernadaption des Romans »Levins Mühle« von Johannes Bobrowski. »Wer den Roman kennt, mag sich fragen, wie es bei der ganz eigenen Erzählweise des Dichters möglich sein soll, ein Opernbuch daraus zu gewinnen.«, schrieb die Leipziger Volkszeitung. Aber Komponist und Librettist schienen einen Weg gefunden zu haben und so wurde »Levins Mühle« am 27. März 1973 in der Inszenierung von Harry Kupfer und unter der musikalischen Leitung von Siegfried Kurz an der Staatsoper Dresden erstmals gezeigt. Die Zeitung »Union« bezeichnete die Uraufführung des Werks als »eine der bedeutendsten Dresdner Premieren der letzten Jahre« und lobte Chor und Solist*innen (u.a. Wolfgang Hellmich als Leo Levin und Helga Termer in der Rolle der Marie), die die außerordentliche Belastung der extremen Lagen, der ungewöhnlichen Sprünge und der fixierten Sprechtonhöhen bewundernswert bewältigt haben.

»Der Schuhu und die fliegende Prinzessin«

Drei Jahre später folgte mit der Märchenoper »Der Schuhu und die fliegende Prinzessin« eine weitere Uraufführung Udo Zimmermanns in Dresden. Basierend auf dem gleichnamigen Märchen von Peter Hacks, hatten er und der Dramaturg Eberhard Schmidt zusammen das Libretto für das Auftragswerk, das am 30. Dezember 1976 an der Staatsoper Dresden uraufgeführt wurde, entwickelt. Zwei Instrumentalensembles auf einander gegenüberliegenden Ebenen spielten Zimmermanns Musik und repräsentierten dabei die beiden sich bekriegende Welten, durch die der Schuhu wandern muss. »Nach der vergleichsweise harten Poesie von ›Levins Mühle‹, die dem jungen Komponisten Udo Zimmermann so viel Zuspruch einbrachte, empfindet man Haltung und Struktur der ›Schuhu‹-Musik um einige Grade zarter, süßer, lyrischer«, so die Zeitung »Der Sonntag«. Auch die Leistung der Sängerdarsteller*innen (insbesondere Jürgen Freier und Helga Termer in den Titelpartien) sowie die fantasievolle Inszenierung von Harry Kupfer wurden herausgestellt, denn »um sich in Askese zu üben, war und ist gerade dies poetisch wundersame Theatergebilde kaum geeignet«. Udo Zimmermann selbst erklärte, ihm sei bei der Arbeit an diesem Stück einmal mehr deutlich geworden, welche Möglichkeiten die Oper mit all ihrer Konvention besitzt: »Dort, wo es gilt, das innere Leben von Figuren und Situationen mit Musik zu enthüllen, wo Spannungen auf der Bühne sich so verdichten, dass sie notwendig Klang auslösen, Momente des Schweigens Musik werden, ja selbst die Stille ›musikalisch atmet‹, empfinde ich die schönsten Momente meiner Arbeit mit Tönen.«

»Weiße Rose«

In den 1980er Jahren entwickelte Udo Zimmermann gemeinsam mit dem Librettisten Wolfgang Willaschek für die Hamburgische Staatsoper eine konzentrierte und aktualisierte Fassung der »Weißen Rose«, die Zimmermanns berühmtestes Opernwerk werden sollte. In dieser intimen Kammerfassung, bestehend aus 16 assoziativ auseinander hervorgehenden Szenen, wird auf historische Verweise komplett verzichtet und stattdessen das Innenleben von Hans und Sophie Scholl herausgestellt, die als einzige Figuren, stellvertretend für die weiteren Mitglieder der Gruppe Weißen Rose, im Stück agieren. »Ich war der Ansicht, wir müssten von dem historischen Fall der Scholls abstrahieren. Es geht um eine Geschichte mit zwei jungen Menschen, die vor einer Hinrichtung stehen, die eine psychisch-physische Grenzsituation erleben«, so Udo Zimmermann. Das Stück solle »unsere Haltungen und Überzeugungen in Frage stellen, Vergangenheit als Parabel der Gegenwart sein.« Nach der Dresdner Erstaufführung 1987 wird das Stück als szenische Neuproduktion im März 2022 in der Regie von Stephan Grögler und unter der musikalischen Leitung von Johannes Wulff-Woesten in Semper Zwei erstmals wieder zu erleben sein.

In dankbarer Erinnerung an Udo Zimmermann.

Die Semper Geschichte erschien am 12. November 2021. Autorin: Bianca Heitzer (Dramaturgin)