Semper Geschichte/n

Turandot im Schnellzug

Zum 95-jährigen Jubiläum der Deutschen Erstaufführung von Giacomo Puccinis »Turandot« am 4. Juli 1926 in Dresden

Mit der Deutschen Erstaufführung von Giacomo Puccinis letzter Oper »Turandot« am 4. Juli 1926 war der Direktion der Dresdner Oper wieder ein besonderer Coup gelungen, hatten sich doch einige deutsche Opernhäuser um diese Aufführung bemüht. Gleichzeitig unterstrich die Dresdner Oper damit wieder ihre Bedeutung als Opernhaus der Uraufführungen und deutschen Erstaufführungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Der kurze Weg nach Dresden

Nur drei Monate nach der Uraufführung der »Turandot« an der Scala in Mailand hob sich in Dresden der Vorhang für die Deutsche Erstaufführung der Oper in der Übersetzung von Alfred Brüggemann und unter der musikalischen Leitung von Fritz Busch. Alles was Rang und Namen hatte war da, auch Puccinis Sohn Antonio war unter den Zuschauern. Die Übernahme musste ein lang gehegter Plan der Opernleitung sein. In der Presse wurde aufgrund der besonderen Umstände und der Knappheit der Zeit im Vorfeld bezweifelt, ob man dem Werk mit so kurzer Probenzeit künstlerisch wirklich gerecht werden könne. Es wurde dort von der »Turandot im Schnellzug« gesprochen. Generalmusikdirektor Fritz Busch höchstpersönlich sah sich gezwungen, eine Verlautbarung über den professionellen Umgang mit dem Werk abzugeben. Dass seine Auseinandersetzung mit der Oper äußerst intensiv und professionell war, zeigen nicht nur die Eintragungen in seiner Partitur, sondern auch sein Umgang mit der besonderen Schlusssituation des Stückes. Der Dirigent hielt sich nicht an die von Ricordi vorgegebene kurze Variante des Schlusses von Franco Alfano, sondern erarbeitete eine eigene Fassung aus dem Material der beiden von Alfano vorgelegten Finali! Der Zugriff und die dramaturgische Dynamik wurden später in der Presse einhellig gelobt. Das originale Orchestermaterial aus dem Jahr 1926, mittlerweile mit den Eintragungen der seit der Erstaufführung folgenden drei Neuproduktionen, wird von der Sächsischen Staatskapelle Dresden bis heute verwendet.

»Jetzt hat Fritz Busch, der Generalmusikdirektor der Dresdner Staatsoper, das Werk in einer prachtvollen Aufführung zum ersten Mal vor das deutsche Publikum gebracht, wobei er vor allem in der Schlussszene nicht unerhebliche Änderungen vornahm, die meiner Meinung nach aber der Wirkung des ganzen sehr zugute kommen.« (Walter Schrenk, Deutsche Allgemeine Zeitung Berlin, 04.07.1926)

Die Besetzung der großen Partien war ein Defilee der Größen der zeitgenössischen Opernszene. Die ungarisch-amerikanische Sopranistin Anne Roselle gab mit der Turandot ihr Debüt in Dresden. Sie wurde für ihre strahlende Interpretation von Kritik und Publikum gefeiert und für die kommenden zwei Jahre fest ans Haus in Dresden verpflichtet. Diese Partie bedeutete für sie ein Sprungbrett in die Opernhäuser der ganzen Welt.

»Die höchste Überraschung war Prinzessin Turandot selbst, durch die amerikanisierte Ungarin Anne Roselle, eine für Europa völlig neue Erscheinung, dargestellt. Wie sie diese überaus schwierige, weil hochliegende Partie in durchdringende, dabei samtweiche und reine Klänge übertrug, das ist ihr nicht vorgemacht worden und wird ihr kaum nachgemacht werden. Sie wird noch viel von sich reden machen.« (Adolf Weißmann, Berliner Zeitung am Mittag, 05.07.1926)

Den unbekannten Prinzen (Kalaf) sollte ursprünglich Curt Taucher singen, der aber kurz vor der Premiere erkrankte. Und so griff man auf den in Dresden wohlbekannten und in seiner Interpretation einmaligen Puccini-Tenor Richard Tauber zurück, der die Partie in nur drei Tagen gelernt haben soll.

Die Inszenierung besorgte der seit der Deutschen Erstaufführung von Mussorgskys Oper »Boris Godunow« (1923) in der Zusammenarbeit mit Busch bestens erprobte Regisseur und Dirigent Issai Dobrowen. Die Bühne stammte von Leonhard Fanto (auch Kostüm) und Max Hasait. Fanto, der bereits seit 1902 am Hoftheater angestellt war, erwarb sich seinen hervorragenden Ruf über die Grenzen Dresdens hinaus vor allem wegen seiner grandiosen, bis ins Detail ausgestalteten, historischen Bühnenbilder und Kostüme. Er stattete »Turandot« mit einem opulenten Kostümbild aus. Die »Wirkungsfähigkeit« und der Eindruck auf das Publikum in Bild und Musik verhalfen dieser »Turandot« zu begeistertem, nicht enden wollenden Applaus. Die Erstaufführungsproduktion wurde im gesamten ersten Jahr fast 30 Mal gespielt.

»Vor allem das dritte Bild wird unvergessliche bleiben: Der kaiserliche Palast, zwei Stockwerke hoch hinaufgeführt, die durch eine goldene Treppe verbunden waren, mit goldenen Säulen und Giebeln und grünen Dächern, ein Bild von unerhörter Pracht und Festlichkeit.« (Walter Schrenk, Deutsche Allgemeine Zeitung Berlin, 04.07.1926)

Fritz Busch lag diese Oper so am Herzen, dass er noch im selben Jahr eine Schallplattenaufnahme der gesamten Produktion plante. Die technischen Gegebenheiten steckten zu dieser Zeit aber noch in den Kinderschuhen und so sind lediglich das Minister-Terzett, eine Verwandlungsmusik und die beiden Arien der Turandot aus dem 2. und 3. Akt, gesungen von Anne Roselle, festgehalten worden.

Die Semper Geschichte erschien am 4. Juli 2021. Autorin: Juliane Schunke (Dramaturgin)