Semper Geschichte/n

»Die tote Stadt« in Dresden

Am 10. Dezember 2021 jährt sich zum 100. Mal die Dresdner Erstaufführung der Oper »Die tote Stadt« von Erich Wolfgang Korngold

Als Erich Wolfgang Korngold für die Erstaufführung seiner dritten Oper »Die tote Stadt« im Dezember 1921 nach Dresden kam, war dies bereits sein zweiter Besuch in der Musikstadt an der Elbe, und der gerade mal 24-jährige Wiener Komponist bereits eine Berühmtheit in der Musikwelt seiner Zeit.

Der in Brünn geborene Korngold wuchs in Wien als Sohn des berühmten Musikkritikers Julius Korngold auf und galt bereits mit 11 Jahren als kompositorisches Wunderkind. Seine erste Komposition, das pantomimische Ballett »Der Schneemann«, kam an der Wiener Hofoper unter der musikalischen Leitung von Franz Schalk, Erster Kapellmeister und späterer Direktor der Wiener Staatsoper, zur Uraufführung. Protegiert von seinem Vater verkehrte der junge Erich Wolfgang schon früh eng mit der musikalischen und gesellschaftlichen Elite Wiens und wurde u.a. von Komponisten wie Alexander von Zemlinsky, dessen Schüler er später wurde, und Richard Strauss gefördert. Seine ersten beiden Opern, die Einakter »Der Ring des Polykrates« und »Violanta«, wurden 1916 in Wien uraufgeführt, seine wohl berühmteste Oper »Die tote Stadt« folgte dann 1920 gleichzeitig in den Opernhäusern von Köln und Hamburg. In der Hansestadt kam 1927 auch seine vierte Oper, »Das Wunder der Heliane«, zur Uraufführung und schließlich 1939 in Stockholm »Die Kathrin« mit Fritz Busch am Pult. Mit »Die tote Stadt« wurde Korngold neben Richard Strauss zum meistgespielten Opernkomponisten in Deutschland und Österreich in den 1920er Jahren.

Das Hoftheater in Dresden hatte neben der Pflege der Traditionen in dieser Zeit viele neue Werke aus der Taufe gehoben und zahlreiche Erstaufführungen an die Elbe geholt. Und so waren Korngolds Einakter »Der Ring des Polykrates« und »Violanta« bereits ein halbes Jahr nach ihrer Wiener Uraufführung am 17. Oktober 1916 als Doppelabend in Dresden zu erleben. 

Die Presse war überaus beeindruckt vom Schaffen des »komponierenden Wunderkindes« und sagte ihm eine große Zukunft voraus. In Anwesenheit des Komponisten dirigierte Hermann Kutzschbach die Königlich musikalische Kapelle, und Richard Tauber gab »eine glänzende Vorstellung« als Wilhelm in der Komödie »Der Ring des Polykrates« (Dresdner Nachrichten, 18.10.1916). 

Man schrieb das »noch Unreife in der Musik« Korngolds Jugend zu: »Für Korngold brachte das Streben zu Unterhalten noch eine Gefahr: Es verleitete ihn zum Zuviel. Das ist (wiederum) zu erklären aus seiner Jugend. Wo soll ein 16-jähriger auch das Stilgefühl schon herhaben, das ihm gebietet, die Fülle der Geschichte zu dämmen, sie in wenige aber kräftig klare Linien zu bannen? … Das kann nur ein reifer Meister.« (Dresdner Anzeiger, 19.10.1916) Gleichzeitig bescheinigt ihm der Rezensent große Entwicklungsfähigkeit: »Doch so mancher Erwachsene bringt es in seinem ganzen Leben nicht zu einer solchen Vollkommenheit in der Anwendung neuzeitlicher Tonmittel, wie der junge Korngold schon vor zwei oder drei Jahren… aber noch fehlen ihm die seelischen Fähigkeiten.«

Fünf Jahre später brachte die Staatsoper in Dresden am 10. Dezember 1921 in Anwesenheit Korngolds und wieder unter der musikalischen Leitung von Hermann Kutzschbach mit großem Erfolg »Die tote Stadt« heraus. Bereits ein Jahr nach ihrer Uraufführung 1920 war sie an vielen europäischen Opernhäusern und sogar an der Metropolitan Opera in New York gespielt worden. 

Besetzt mit den ersten Kräften des Hauses: Richard Tauber als Paul, Helena Forti als Marie/Marietta und in der Ausstattung des bewährten Teams Max Hasait (Bühne) und Leonhard Fanto (Kostüme) wurde der Abend zu einem musikalischen Ereignis. Der Farbenreichtum von Korngolds Partitur und das geschickte musikalische Netz der zu zwei Dritteln als Traum konzipierten Geschichte brachten die Zuschauer in bis dahin nie geahnte Nähe zum Geschehen und in direkte Verbindung zu Leid und Verzweiflung der Hauptfigur. Darüber hinaus war dem Publikum Stil und Reichtum der Musik von den Werken Puccinis und Strauss’ bekannt, die beide das Werk des jungen Komponisten sehr lobten und förderten.

Doch auch mit der Geschichte seiner Oper über einen traumatisierten Mann, der sich in die Vergangenheit zurücksehnt und sich im Hier und Jetzt verloren und orientierungslos fühlt, traf der Komponist sehr genau den Nerv einer Zeit, die vom gesellschaftlichen Umbruch geprägt war. Er bediente Sehnsüchte einer vom Krieg gezeichneten Generation, in der sich Trauer um Verlorenes mit dem Wunsch nach Bewältigung der Vergangenheit mischten. 

Die Reaktion der Presse der Musikstadt Dresden, die Strauss und Wagner zum Maßstab aller Dinge erhob, war dagegen zwiegespalten. Das musikalische Urteil reichte von der euphorischen Inthronisierung als »zweifellos bedeutendste musikdramatische Schöpfung der jüngsten Vergangenheit« (Sächsische Staatszeitung, 21.9.1922) über freundliche Bemerkungen, die vor allem die Leistung der Sänger*innen hervorhoben: »Man steht im Banne einer fesselnden Künstlerleistung und achtet erst in zweiter Linie auf den Boden, auf dem sie erwachsen ist.« (Dresdner Nachrichten, 24.2.1922) bis hin zu der unverhohlenen Feststellung, Korngold sei ein Epigone von Richard Strauss und Giacomo Puccini, ahme deren Stil nach, ohne selbst schöpferisch, stilbildend zu sein.

Die Begeisterung des Publikums für »Die tote Stadt« sollte entgegen der Vorhersage der Kritik ungebrochen bleiben und das Stück bei seiner Wiederaufnahme 1922 mit Curt Taucher in der Rolle des Paul wieder ein großer Erfolg werden: »Sie scheint ein wirklich erfreulicher Dauererfolg zu werden.« (Dresdner Nachrichten, 24.2.1922)

»Die tote Stadt« erlebte ihre letzte Vorstellung 1923. Seine noch folgenden zwei Opern »Das Wunder der Heliane« (1927) und »Die Kathrin« (1939) wurden in Dresden nicht aufgeführt, und Korngolds Schaffen geriet in Europa mit seiner endgültigen Emigration 1938 in die USA und dem Aufführungsverbot seiner Werke in der NS-Zeit in Deutschland bis in die 1970er Jahre in Vergessenheit. Seine beispiellose Karriere als Filmmusikkomponist in Hollywood in den 1930er und 40er Jahren wurde in Europa zwar wahrgenommen, verhalf ihm aber bei seiner Rückkehr nach Europa Ende der 1940er Jahre nicht zu der von ihm so erhofften Möglichkeit an seine früheren Erfolge anzuknüpfen. Erst nach einer Neuauflage seiner Werke in den USA ab 1972 erlebten Korngolds Kompositionen, und »Die tote Stadt« im Besonderen, international eine Renaissance.

In Dresden kam die insgesamt erst zweite Produktion von »Die tote Stadt« 2017 in der Regie von David Bösch auf die Bühne. Die zum 100-jährigen Jubiläum 2021 geplante Wiederaufnahme dieser anrührend inszenierten und opulent ausgestatteten Produktion musste aufgrund der Corona-Pandemie leider entfallen.

Die Semper Geschichte erschien am 10. Dezember 2021. Autorin: Juliane Schunke (Dramaturgin)