Semper Geschichte/n

»In der DDR war es die erste derartige Aufführung«

Die doppelte »Così fan tutte« an der Sächsischen Staatsoper. Eine Semper Geschichte zum 100. Geburtstag von Otmar Suitner.

»Es war meine glücklichste Zeit.« Das sagte Otmar Suitner über seine Zeit als Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatsoper. Der 1922 geborene Österreicher, der seit 1957 das Pfalzorchester in Ludwigshafen leitete, kam 1960 in die Deutsche Demokratische Republik, zur Staatskapelle Dresden. Ihre kreative Zusammenarbeit dauerte auch nach seinem Weggang 1964 an; die bis in die siebziger Jahre hinein entstandenen Schallplatteneinspielungen legen davon Zeugnis ab. Sie spielten unter anderem die »Metamorphosen« von Richard Strauss ein, die erste Symphonie von Carl Maria von Weber und vor allem Wolfgang Amadeus Mozart. Neben vielen Symphonien finden sich da auch Gesamtaufnahmen von »Die Entführung aus dem Serail«, »Die Zauberflöte« und »Die Hochzeit des Figaro« mit legendären Sänger*innen wie Peter Schreier, Theo Adam aus der DDR oder Hermann Prey und Anneliese Rothenberger als Gäste aus der Bundesrepublik, ein Zeichen für das internationale Renommee der Staatskapelle und Suitners.

Mozartliebe und »Così fan tutte«

Anlässlich seines Todes im Jahr 2010 schrieb die Sächsische Zeitung: »Für Furore bis heute sorgte jedoch die damals neuartige Interpretation von Mozart in Konzert, Oper und bei Aufnahmen. Obwohl man den Begriff der historisierenden Musizierweise noch nicht kannte, prägt ihr Geist Gesamtaufnahmen wie ›Entführung‹ und ›Figaro‹ – eine ursprüngliche, transparente Gestaltung, fern von Romantik und Pathos.« Überhaupt galt Mozart seine große Leidenschaft. In Holger Hettingers Nachruf wird Otmar Suitner, gewohnt lakonisch, zitiert: »Ich liebe natürlich Mozart, ich habe am Mozarteum studiert und bin Mozart sehr verbunden.« 

Deswegen setzte er sich zudem dafür ein, die Opern, die Mozart gemeinsam mit seinem Librettisten Lorenzo Da Ponte geschrieben hatte, in ihrer originalen Sprache, nämlich Italienisch, aufzuführen. Und das in einer Zeit, in der deutschsprachige Aufführungen noch an der Tagesordnung waren. Als Übertitel noch nicht existierten, wurden Opern meist nicht in der Originalsprache, sondern in der jeweiligen Landessprache aufgeführt. Das Publikum sollte schließlich mitverfolgen können, was auf der Bühne gesungen wurde. In der DDR wurde daraus dann Kulturpolitik, denn Kunst sollte auf keinen Fall zu einem Selbstzweck werden, sondern der Förderung des Sozialismus dienen. Die deutschsprachige Aufführung war ein Garant, den »humanistischen Kern« der Stücke verständlich zu machen. Und trotzdem sang das Ensemble der Dresdner »Così fan tutte« im Sommer 1963 auf Italienisch. Hans Böhm hob in seiner Rezension in der »Union« das Außergewöhnliche gleich zu Beginn hervor: »In der DDR war es die erste derartige Aufführung.« Wie konnte Otmar Suitner eine solche Aufführung durchsetzen?

Italienisch als Bereicherung

Im »Theater der Zeit« wurde neben der Aufführung auch ihr Zustandekommen diskutiert, der Vorschlag Suitners wurde nämlich von der Leitung und dem Besucherrat besprochen. (Dabei handelte es sich um den Zusammenschluss verschiedener Stammgäste eines Opernhauses, die das Interesse des Publikums bei Spielplanentscheidungen vertreten konnten.) Am Ende der Gespräche stand als Lösung eine doppelte »Così«. Das Publikum konnte sich zunächst im März 1963 in der Inszenierung von Erich Geiger mit der deutschsprachigen Fassung des Stückes vertraut machen, und dann in der gleichen Inszenierung das italienische Original dieser Oper erleben. So ließ sich im »Theater der Zeit«, einer der führenden Theaterzeitschriften, das Italienische dann von Leo Berg folgendermaßen rechtfertigen: »Vielmehr bedeutete der Besuch der italienischen Aufführung nach dem einer deutschsprachigen eine Ergänzung, Abrundung des Gesamtbilds, einen Gewinn.« Und das nicht zuletzt auch für die Sänger*innen und das Orchester unter der Leitung von Otmar Suitner.

Der »erziehungs- und bewußtseinsbildende Prozeß«, den Theater und Oper in der DDR aktiv zu befördern hatten, fand in diesem Falle bei allen Beteiligten statt: »Die intensive Arbeit unter der Leitung Otmar Suitners, der mit der italienischen Gesangspraxis durch langjährige Tätigkeit in Italien gut vertraut ist und von einer in Italien ausgebildeten Musikpädagogin unterstützt wurde, bereitete allen Sängern große Freude und erschloß ihrer stimmlichen Weiterbildung neue Möglichkeiten, die dankbar aufgenommen wurden. Die beteiligten Solisten erhielten durch diese Aufführung zum erstenmal die Gelegenheit, ihre auf unseren Hochschulen erworbenen Kenntnisse der Gestaltung italienischer Gesangstexte auch einmal in der Praxis anzuwenden«, schreibt Winfried Höntsch. Eva-Maria Straussová und Annelies Burmeister als die Schwestern Fiordiligi und Dorabella, Peter Schreier und Günther Leib als deren Liebhaber Ferrando und Guglielmo und Elisabeth Reichelt und Siegfried Vogel als die Intriganten Despina und Don Alfonso legten, gemeinsam mit der Gesangspädagogin Isolde Ranft und Suitner, großen Wert auf den inhaltlichen Ausdruck: »Es war erstaunlich, in wie hohem Maß die reiche Gefühlsskala des Werks bis in ihre feinsten Nuancen ausgeschöpft wurde. Die Solisten bewegten sich in der italienischen Landschaft der Handlung wie Einheimische – und nicht wie zugereiste Rampensänger.« Diese Polemik richtete sich gegen Aufführungen im Ausland, die als »kostümierte Konzerte« nur die Gesangskunst, nicht den Inhalt auf die Bühne brächten. 

Mozarts Original

»Die entscheidenden Eindrücke gingen vom Musikalischen aus. Suitner ist ein berufener, ja begnadeter Mozart-Dirigent«, schrieb Hans Böhm in der »Union«. Auf das Musikalische, nämlich die Partitur Mozarts, berief sich Suitner auch, als er den Vorschlag der italienischsprachigen »Così fan tutte« machte. Winfried Höntsch nennt ein aus heutiger Sicht nahezu simples Argument für diese Aufführungen, das auf Suitner zurückgeht: Die italienische »Così« entspricht dem Original des Komponisten und sei seine Intention. Der »von Mozart angestrebten und erreichten Einheit von sprachlicher Diktion und musikalischer Gestaltung« komme man so am nächsten. Die kulturpolitischen Implikationen sind in diesem Argument ausgeklammert. Dass sich das in der Umsetzung schwieriger gestaltete, zeigte der Kompromiss der doppelten »Così«, denn in der DDR konnte eine fremdsprachige Aufführung nur als Experiment, als Ergänzung zu deutschsprachigen Fassungen, auf der Bühne geduldet werden. Aber ein Anfang war gemacht, und in seiner Zeit an der Staatsoper Unter den Linden setzte Otmar Suitner als Generalmusikdirektor ebenfalls »Così fan tutte« auf Italienisch an, spielte sie auch ein. Den Grundstein dafür hatte er in Dresden gelegt. Am 16. Mai 2022 hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert.

Die Semper Geschichte erschien am 16. Mai 2022. Autor: Martin Lühr