Semper Geschichte/n

Wie Ernst von Schuch »Parsifal« nach Dresden holte

Eine Semper Geschichte anlässlich des 175. Geburtstages von Generalmusikdirektor Ernst von Schuch

Der eine nannte ihn seinen »Leibdirigenten«, der wiederum revanchierte sich mit der Anrede »Leibkomponist«. Der Dirigent Ernst von Schuch (1846-1914), von dem hier die Rede ist, wirkte mehr als 40 Jahre lang an der Dresdener Hofoper, doch die Uraufführungen von vier Opern seines »Leibkomponisten« Richard Strauss (»Feuersnot«, 1901; »Salome«,1905; »Elektra«, 1909; »Der Rosenkavalier«, 1911) ragen aus dieser Ära besonders hervor. So groß war die Vertrautheit der beiden Musiker, dass Schuchs Sohn Friedrich viele Jahre nach dem Tod seines Vaters eine fast »unheimliche« Beobachtung« machen sollte: Richard Strauss, nun selbst im Alter des früheren »Leibdirigenten«, wurde diesem nicht nur in Dirigiergesten, sondern auch in alltäglicher Mimik und Gestik immer ähnlicher.

Ernst von Schuch gastierte 1872 als Dirigent der Pollinischen italienischen Operngesellschaft in Dresden, als er vom Fleck weg als Zweiter Kapellmeister an die Hofoper engagiert wurde. Bald schon übernahm Schuch die Leitung der Abonnementskonzerte der Königlichen musikalischen Kapelle (der heutigen Sächsischen Staatskapelle Dresden) und wurde ein Jahr später zum Königlichen Kapellmeister ernannt, was eine lebenslange Anstellung bedeutete. 1879 wurde er Erster Kapellmeister, ein Jahr später alleiniger musikalischer Leiter der Hofoper und 1882 deren Direktor. Die Möglichkeit zur Sesshaftigkeit nutzte Schuch und verzichtete – im Gegensatz zu seinerzeit bekannten Dirigenten wie Hans von Bülow oder Gustav Mahler – größtenteils auf Gastspiele. Ab 1889 trug Schuch den Titel des Generalmusikdirektors. 

Schuchs Repertoire war vielfältig und groß und es umfasste – anders als noch bei seinen Vorgängern – stets sowohl das italienische als auch das deutsche und französische Opernrepertoire. In seinen Anfangsjahren dirigiert er die Erstaufführungen von Verdis »Rigoletto«, »La traviata« und der »Messa da Requiem«. 1880 leitete er die Erstaufführung von »Carmen«, vier Jahre später dann die von Wagners »Tristan und Isolde«, gefolgt von »Der Ring des Nibelungen«. Gustav Mahler, der 1884 auf eine Stelle als Dirigent in Dresden gehofft hatte, beschrieb Schuch später als »außerordentlichen Theatermenschen« und »Förderer der dramatischen Kunst und ihrer modernen Autoren«. Modern waren damals viele Opern, die heute zu den Klassikern zählen, so z.B. Puccinis »Tosca«, deren deutsche Erstaufführung Schuch 1902 dirigierte. Auch im Konzertsaal förderte Schuch moderne Komponisten und setzte etwa die Konzertouvertüre op. 80 des erst 20-jährigen Richard Strauss auf das Programm. Der junge Komponist versicherte dem Dirigenten, er werde »Zeit seines Lebens nie vergessen, was Sie so gütig für mich getan haben.« Der Rest ist Theatergeschichte … 

Eine ganz andere Art der Erstaufführung an der Hofoper war 1899 »Die Fledermaus« von Johann Strauß. Operetten wurden zu dieser Zeit eigentlich ausschließlich von bürgerlichen und kommerziellen Theatern gespielt, doch »Die Fledermaus« war bereits 1894 von der Wiener Hofoper geadelt worden. Und so griff auch Ernst von Schuch für Johann Strauß zum Taktstock. Auf der Bühne standen die ersten Kräfte der Hofoper, darunter Marie Wittich, die sechs Jahre später die hochdramatische Titelpartie in der »Salome«-Uraufführung singen sollte. 

Wettrennen um die Erstaufführung »Parsifal«

Die Ära Schuch ist auch die Zeit, in der die Begeisterung für Richard Wagner in Deutschland ihren Höhepunkt erlebte. Im Jahr 1900 dirigierte Schuch allein 57 Vorstellungen von Werken dieses Komponisten. Kein Wunder also, dass er, der alle anderen großen Wagner-Opern bereits an der Hofoper dirigiert hatte, auch Wagners letztes Werk in Dresden aufführen wollte: »Parsifal«. Doch einzig und allein im Bayreuther Festspielhaus, so Richard Wagners persönliche Anordnung, durfte sein Bühnenweihfestspiel gespielt werden. Als der Urheberschutz nach Wagners Tod auszulaufen drohte, bemühte sich Wagners Witwe Cosima, die 30 Jahre gültige Schutzfrist zu verlängern. Als ihr dies nicht gelang, legte sie dem Reichstag sogar eine Petition vor, um das alleinige Aufführungsrecht für Bayreuth zu sichern. Doch auch diese Bemühung blieb erfolglos und wurde als »Lex Cosima« lediglich verspottet. Kaum waren die Rechte an »Parsifal« mit Beginn des Jahres 1914 erloschen, rissen sich die Opernhäuser weltweit um eine möglichst zeitige Erstaufführung. Das »Rennen« machte Barcelona, wo pünktlich um 00:00 Uhr des 1. Januars 1914 die erste Aufführung außerhalb Bayreuths stattfand. 

In Dresden wartete Ernst von Schuch das tumultartige Konkurrieren um eine Erstaufführung zunächst ab. Zwei Wochen vor Ostern, am 24. März 1914, dirigierte er dann die Erstaufführung des »Parsifal« mit prominenter Besetzung: Als Kundry debütierte Publikumsliebling Eva Platschke-von der Osten, ihr Gatte Friedrich Platschke, der an mehreren Strauss-Uraufführungen beteiligt war, sang den Amfortas. Kein geringerer als Richard Tauber, der damals in Dresden engagiert war, wirkte als Gralsritter mit, und Schuchs jüngste Tochter Liesel war eines der Blumenmädchen.

Das Publikum, zu dem unter anderem die sächsischen Prinzen wie auch die Dresdner Kammersängerin Therese Malten (die Kundry der Bayreuther Uraufführung) zählten, war hingerissen. Die Dresdener Erstaufführung übernahm nicht einfach die Bayreuther Modellaufführung, sondern wurde vom Hausregisseur Ernst Toller neu inszeniert. Begeistert schrieb die Presse über die Premiere: »Die legendär-symbolisch-dramatischen Vorgänge kamen in Tollers Regie und Schuchs Orchesterleitung mit feierlicher Wirkung zur Geltung.« (Dresdner Nachrichten, 26. März 1914). Dass die Premiere über ihre Bedeutung als Erstaufführung hinaus auch ein musikalisches Ereignis war, lag vor allem an Schuchs penibler Erarbeitung des Opernwerks. Der Tenor Alfred von Bary bemerkte damals, dass »keine andere deutsche Bühne (...) die Dresdner Oper an Exaktheit und Disziplin in der musikalischen Arbeit (übertrifft)«. »Parsifal« sollte auch Schuchs Vermächtnis werden. Wenige Wochen nach der Erstaufführung verstarb er am 10. Mai 1914 im Alter von 68 Jahren. Doch die Früchte seiner Arbeit sollten lange fortwirken. Drei Jahre nach Schuchs Tod schrieb sein einstiger »Leibkomponist« Strauss an Hugo von Hofmannsthal über die Königliche Kapelle: »Da steckt immer noch der prächtige alte Schuch drin.«

Die Semper Geschichte erschien am 23. November 2021. Autor*innen: Uma Tholen, Kai Weßler