Semper Geschichte/n

Die ersten Töne im neuen Opernhaus

Wie Clementine von Schuch-Proska König Albert von der Akustik des zweiten Semperbaus überzeugte

Das am 12. April 1841 eröffnete Königliche Hoftheater Dresden, von Gottfried Semper entworfen, galt Mitte des 19. Jahrhunderts als einer der schönsten Theaterbauten Europas mit einer hervorragenden Akustik. Am 21. September 1869 brannte das Opernhaus vollständig ab. Obwohl es mit der in nur wenigen Wochen errichteten Spielstätte am Zwingerwall, genannt »Bretterbude«, schon im Dezember des gleichen Jahres einen akustisch hervorragenden Ersatz gab, war diese nur als Interimslösung gedacht. Schon knapp zwei Jahre später begann man mit dem Bau eines neuen Opernhauses an gleicher Stelle, ebenfalls nach einem Entwurf Sempers.

Eine Probe auf die Akustik

Kurz vor der Eröffnung dieses neuen, zweiten Semperbaus am 2. Februar 1878 musste der sich allerdings erst noch bezüglich der vielleicht wichtigsten Eigenschaft eines Opernhauses bewähren – in einer offiziellen, eigens dafür anberaumten Probe wollte sich König Albert I. von Sachsen davon überzeugen, dass es hinsichtlich der Akustik seinen Vorgängerbauten in nichts nachstehe. Und so fand er sich am 28. Januar 1878 um 11 Uhr morgens im Opernhaus ein. Er saß mittig in der »großen Amphitheaterloge« (heute die Mittelloge), Publikum sowie Vertreter der Presse waren nur im Parkett und dem vierten Rang erlaubt, die übrigen Ränge blieben frei. Dadurch war es dem König und seinen Begleitern, dem Hausminister Dr. v. Falkenstein und dem Generalintendanten Graf Platen-Hallermund, möglich »die Klangwirkung von den beiden entgegengesetzt gelegenen, und darum für die Bildung des Urtheils am besten geeigneten Partien des Hauses zu studieren«.

Das Programm der Akustikprobe sollte die unterschiedlichen Klangfacetten eines Opernhauses abbilden. So begann diese mit der Präsentation des Orchesterklangs durch die Sächsische Staatskapelle. Es erklang Carl Maria von Webers »Oberon«-Ouvertüre. Am Pult stand der damalige Königliche Kapellmeister Ernst von Schuch, der später als Generalmusikdirektor die Geschichte der Semperoper über vierzig Jahre prägte. Der dabei sich entfaltende Klang wurde von der Presse mit Begeisterung aufgenommen: »In entzückender Klarheit kamen alle Einzelheiten dieses reich durchgearbeiteten Musikstückes zur Geltung; keine Nuance ging verloren.«

Dieser erste Eindruck bestätigte sich für die Anwesenden bei der darauffolgenden Präsentation der Orgel. Staatskapelle, Knaben- und Opernchor, die Altistin Lina Beck und eine neu von der Dresdner Orgelmanufaktur Jehmlich gebaute Orgel brachten zusammen den Eingang zur Kirchenszene aus Meyerbeers Oper »Le prophète« zur Aufführung. Die Ehre, die Akustik des Sologesangs im neuen Haus zu demonstrieren, kam abschließend Clementine von Schuch-Proska zu.

Dresdens Königliche Kammersängerin

Schuch-Proska war zu dieser Zeit die vielleicht beliebteste Sängerin der Dresdner Hofoper. Am 12. Februar 1850 als Clementine Proska in Wien geboren, studierte sie Gesang am dortigen Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde bei der berühmten Gesangspädagogin Mathilde Marchesi. Als sie im Rahmen ihres Studiums bei einem Schülerkonzert mitwirkte, wurde der dort anwesende Dresdner Generalintendant Graf Platen-Hallermund auf sie aufmerksam. Begeistert von ihrem Gesangs- und Schauspieltalent, lud er sie sogleich für ein Gastspiel in Dresden ein. So debütierte sie am 5. September 1873 als Lucia in Donizettis »Lucia di Lammermoor« in der besagten »Bretterbude«.

Diese spontane Verpflichtung einer eher unerfahrenen Sängerin sorgte bei den damaligen Mitarbeiter*innen des Opernhauses für einiges Kopfschütteln, und so begegnete Schuch-Proska zu ihrem Debüt einige Skepsis. Doch konnte sie mit ihrer Stimme und ihrem charakterstarken Spiel auf der Stelle von sich überzeugen, und nach weiteren umjubelten Auftritten bekam sie einen mehrjährigen Vertrag an der Dresdner Hofoper, der ihre steile Karriere an ebendieser begründete. Einer der Höhepunkte ihrer noch jungen Karriere war ihre Darbietung der Violetta in der Dresdner Erstaufführung der »La traviata« am Königlichen Hoftheater am 11. November 1875. Ein Kritiker der Dresdner Nachrichten schrieb: »Beweglich, geistreich, wahrhaft fein hat Fräulein Proska die Titelrolle gegeben. Ihr Spiel war graziös, elegant, ihr Aussehen tadellos, ihre Stimmtechnik in sauberster Ordnung, der Vortrag geschmackvoll und so innig beseelt – wie es Fräulein Proska eben möglich ist.« Schnell wurde sie zum Liebling von Kritikern und Publikum und wurde 1878 zur Königlichen Kammersängerin ernannt.

Die erste Arie im neuen Haus

Kein Wunder also, dass 1878 auf sie die Wahl fiel, den ersten Sologesang im neuen Haus erklingen zu lassen. Sie sang die Arie »Deh vieni, non tardar« aus Mozarts Oper »Le nozze di Figaro«, und mit ihrem Auftritt sah die Presse den vorzüglichen Eindruck der Akustik der neuen Semperoper bestätigt. Die »Dresdner Nachrichten« schrieben: 

»Wäre noch ein Zweifel übrig geblieben, so hätte ihn die Kraft, Fülle und Tonschönheit zerstört, mit welcher die Stimme der Frau Kammersängerin Schuch durch die weiten Räume hallte (…). In gehobener Stimmung, in dem Bewusstsein, dass die Hauptfrage der Akustik glänzend gelöst ist, sowie in der berechtigten Erwartung, dass ein ganz gefülltes Haus diesen Beweis in Zukunft zu aller Freude und Kunstgenuss erhärten wird, trennte sich das eingeladen gewesene Auditorium.« 

Dresdens vielleicht bekanntestes Künstlerpaar

Doch nicht nur Publikum, Presse und den König konnte sie mit ihrer Stimme beeindrucken. Auch Ernst von Schuch war früh auf die junge Sängerin aufmerksam geworden – und konnte sie mit seinen musikalischen Fähigkeiten für sich einnehmen. Er warb um sie – auf einer Festrede sprach er später einmal davon, Clementine »mit dem Taktstock erobert zu haben« – und die beiden heirateten am 23. November 1875 (etwas mehr als zwei Jahre nach ihrem ersten Engagement an der Oper).

Das Künstlerehepaar bekam fünf Kinder und zog 1895 in eine Villa vor die Tore Dresdens, nach Kötzschenbroda, heute ein Stadtteil von Radebeul. Diese bekam den Beinamen »Villa Favorita« und wurde schnell zu einem beliebten Treffpunkt für Künstler*innen und Intellektuelle. So waren u.a. der Komponist Richard Strauss sowie der in der in Nachbarschaft wohnende Schriftsteller Karl May bei bis in die Morgenstunden andauernden Kegelabenden auf der hauseigenen Kegelbahn zu Gast. Damit das Ehepaar aber trotz des weiten Wegs in die Innenstadt von Dresden rechtzeitig zu allen Proben und Vorstellungen kommen konnte, wurden die Fahrzeiten der damaligen Sächsischen Staatseisenbahnen zwischen Kötzschenbroda und Dresden an den Zeiten der Oper ausgerichtet. 

Frau Schuch-Proska profitierte von diesem Luxus allerdings nur noch wenige Jahre, denn sie beendete ihre Karriere 1898 – drei Jahre nach dem Umzug – als eine der angesehensten Sängerinnen der Dresdener Oper mit der Darbietung der Norina in Donizettis »Don Pasquale«. Zur Würdigung dieser Karriere wurde ihr eine besondere Ehre zuteil: König Albert I. von Sachsen ernannte sie zum Abschied zum Ehrenmitglied des Königlichen Hoftheaters

Die Semper Geschichte erschien am 28. Oktober 2022. Autor: Christopher Werner