Semper Geschichte/n

»Der Protagonist«

Vor 95 Jahren, am 27. März 1926, erlebte Kurt Weills erste Oper »Der Protagonist« in der Semperoper ihre Uraufführung.

»Es ist doch recht aufregend, über Nacht eine Weltberühmtheit zu werden.

Auch die paar schlechten Kritiken kommen mir sehr gelegen, weil bei einer einstimmig günstigen Presse die Ansprüche an mich ins Maßlose steigen würden.  Das Telefon bei mir kommt nicht zur Ruhe. Und immer die gleiche ehrliche Begeisterung. Wer hätte das gedacht!«, so beschreibt der 26-jährige Komponist Kurt Weill in einem Brief an seine Familie die Nachwellen seines Überraschungserfolgs »Der Protagonist«.

Neben einigen Verrissen, die u.a. erklärten, »die Sterbende des Abends sei einzig und allein die musikalische Muse gewesen«, lobten die meisten Kritiken Kurt Weill und sein Erstlingswerk: Er habe einen »theatralischen Instinkt« und hätte sogar den Meister (seinen Lehrer Ferruccio Busoni) übertroffen. Auch die Inszenierung von Josef Gielen, die musikalische Leitung von Generalmusikdirektor Fritz Busch sowie die sängerische Leistung von Curt Taucher in der Titelrolle und Elisa Stünzner in der weiblichen Hauptrolle bewerteten die Kritiker als herausragend.

Dass der Premierenabend allerdings nicht ohne Spannungen ablief, zeigen Berichte über einen »Kampf zwischen Anhängern der atonalen und tonalen Musik«, der in Beifallsstürme auf der einen und Johlen, Zischen und Pfeifen auf der anderen Seite mündete.

Den Auftrag für die Komposition erhielt Kurt Weill von Fritz Busch persönlich. Weill, dem einige Jahre später mit der Musik zu »Die Dreigroschenoper« der große Durchbruch gelingen sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch kaum bekannt und hatte vor allem Lieder, Chor- und Orchesterwerke sowie die Ballettpantomime »Zaubernacht« komponiert. Von seinem Lehrer Ferruccio Busoni empfohlen, erhielt er den Auftrag, ein Werk für die Semperoper zu komponieren, und machte sich gemeinsam mit dem Dramatiker Georg Kaiser zunächst an die Arbeit für eine an die »Zaubernacht« anknüpfende Pantomime. Nachdem dieser Versuch jedoch auf halber Strecke scheiterte, entdeckten die beiden Georg Kaisers »Der Protagonist«, den Kaiser bereits einige Jahre zuvor, in Gedanken an eine mögliche Adaption für die Opernbühne, verfasst hatte.

Im Mittelpunkt des Einakters steht ein Schauspieler, der mit seiner Theatertruppe für einen Auftritt vor dem Herzog probt. Kurz vor der Aufführung ändern sich jedoch die Pläne: Statt der bestellten pantomimisch dargestellten Komödie soll eine Tragödie aufgeführt werden. Ähnlich wie in Ruggero Leoncavallos »Pagliacci« verschwimmen im Laufe des Spiels die Grenzen zwischen Wirklichkeit, Fantasie und Wahnsinn und als der eifersüchtige Schauspieler von der Liebe seiner Schwester zu einem anderen Mann erfährt, ersticht er sie. Die Übergänge von tonaler und atonaler Musik gestaltete Weill dabei fließend und die von der Truppe dargebotenen Pantomimen werden sowohl von einem achtköpfigen Orchester auf der Bühne als auch vom Orchester im Graben begleitet.

Nach der erfolgreichen Uraufführung seiner ersten Oper in Dresden schien Kurt Weill auch in diesem musikalischen Genre angekommen zu sein. So verdeutlicht er im Programmheft: »Wir können nicht über Opern schreiben und zugleich über die Unzulänglichkeit dieser Gattung jammern. Wir können nicht in der Opernkomposition die Erfüllung einer rein äußerlichen Pflicht sehen, während wir unsere wahren Inhalte in anderen Formen erschöpfen. Wir müssen in den Gegebenheiten der Bühne unser Formideal erfüllt wissen, wir müssen überzeugt sein, dass das Bühnenwerk die wesentlichen Elemente unserer Musik widerzugeben vermag, wir müssen uns jubelnd zur Oper bekennen.«

Es sollten weitere Opernkompositionen und gemeinsame Projekte mit Georg Kaiser folgen, darunter zwei Jahre später die Opera buffa »Der Zar läßt sich photographieren« am Leipziger Neuen Theater. Nicht nur künstlerisch, sondern auch privat brachte die Zusammenarbeit mit Georg Kaiser für Kurt Weill große Veränderungen mit sich: Durch ihn lernte er seine spätere Frau Lotte Lenja kennen, der er seine erste Oper »Der Protagonist« widmete.

Die Semper Geschichte erschien am 27. März 2021. Autorin: Bianca Heitzer (Dramaturgieassistenz)