Semper Geschichte/n

»Tanz ist Ausdruck von Lebensfreude!«

Am 8. Januar 2022 wäre die Tänzerin, Pädagogin und Gründerin der nach ihrer benannten, weltbekannten Tanzschule, Gret Palucca, 120 Jahre alt geworden

»Wie vertanzt man den Wind? Welche Bewegungen assoziiert ihr mit den Farben Grün und Rot?« Diese und viele weitere Fragen stellte Gret Palucca ihren Schüler*innen im Laufe der Ausbildung an der Palucca Schule immer wieder. Ihr Ziel: Raum für Improvisation und Authentizität zu schaffen, um die Fantasie und das eigenständige Denken anzuregen. Am 8. Januar 2022 wäre die Tänzerin und Pädagogin, die am 22. März 1993 verstarb, 120 Jahre alt geworden. Gret Paluccas Wirken und ihr ungebrochener Gestaltungswille sind bis heute mit der Stadt Dresden und der Palucca Hochschule für Tanz eng verbunden und die Semperoper gedenkt dieser außergewöhnlichen Künstlerin mit der aktuellen Semper Geschichte, in der ehemalige Schüler*innen zu Wort kommen und zum Teil bisher unveröffentlichte Materialien aus dem Historischen Archiv der Sächsischen Staatstheater gezeigt werden.

Gret Palucca, 1902 in München geboren, begann ihre Tanzausbildung zunächst bei Heinrich Kröller, dem Ballettmeister der Dresdner Oper, bevor sie Schülerin einer weiteren Wegbereiterin des modernen Tanzes, der Ausdruckstänzerin Mary Wigman, wurde. Ab 1924 trat sie regelmäßig als freischaffende Solotänzerin in Deutschland und Europa auf und gab dem Ausdruckstanz mit ihrer Leichtigkeit und überbordenden Freude an der Bewegung eine neue Farbe. Bereits ein Jahr später gründete sie in Dresden ihre eigene Schule, die heutige Palucca Hochschule für Tanz Dresden, um ihre Vorstellungen von Tanz und Bewegung umzusetzen und an die nächste Generation weiterzugeben: »Ich möchte gerne, dass die Schüler eigene Ideen verwirklichen können, dass sie Persönlichkeiten werden, dass sie nicht nur einfach Interpreten sind, die nur nachmachen, was der Ballettmeister oder Choreograf sagt.« Durch die Zusammenarbeit mit Künstler*innen aus den Bereichen Musik und bildender Kunst schuf sie eine Atmosphäre, die die Neugier anregte und ihre Schüler*innen zu eigenen Künstler-Persönlichkeiten formte. 

»Wenn es für den Unterricht wichtig war und wir Tiere tanzen sollten, ging sie mit uns in den Zoo«, erzählen ihre ehemaligen Schülerinnen Sabine Bohlig und Carola Schwab, die nach ihren erfolgreichen Tanzkarrieren als Inspizientin des Semperoper Ballett, bzw. als Theaterpädagogin für Tanz an der Semperoper tätig sind. »Außerdem war es Palucca wichtig, dass wir regelmäßig ins Theater und in die Oper gingen.«

Dabei gingen viele ihrer Schüler*innen auch eigene künstlerische Wege, darunter die spätere Theater- und Opernregisseurin Ruth Berghaus. »Palucca hat mich nie aufgegeben, auch wenn ich andere Gangarten und Disziplinen versucht habe. Ich vergesse nicht, dass sie, als ich zur Intendantin des BE (Berliner Ensemble) berufen wurde, mich vor den Schwierigkeiten warnte und hinzufügte: Du schaffst das. Tanz ist ein Spiel mit der Gravitation, Kampf gegen die Trägheit. Palucca hat Materie: und damit Widerspruch gegen alle Trägheit.«, so Berghaus.

Mit der Inszenierung von Siegfried Matthusʼ Uraufführung zur Wiedereröffnung der Semperoper »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke«, stellte sich Ruth Berghaus 1985 an der Semperoper erstmals vor. Bei den Proben dieser Produktion war auch Gret Palucca anwesend, die die künstlerische Entwicklung ihrer Schüler*innen über deren Ausbildung hinaus mit großem Interesse verfolgte und Ruth Berghaus bei dieser Produktion beratend zur Seite stand. Der Tanz spielte in Berghausʼ Inszenierung eine zentrale Rolle und sie bezog Schüler*innen ihrer ehemaligen Ausbildungsstätte mit ein, die im Stück immer wieder auftraten und eine kommentierende Funktion innehatten. Im Bühnenbild von Hans Joachim Schlieker bewegten sich die jungen Tänzer*innen – choreografiert von keiner Geringeren als Hanne Wandtke, mit improvisierten Elementen – wie Traumgeister durch das Geschehen und machten sinnlich konkret, was in Musik und Text an einigen Stellen nur angedeutet wurde. »In dieser Produktion mussten wir uns in jedem Moment zu 100 Prozent konzentrieren und alle Emotionen zeigen, die in uns stecken«, erinnert sich die ehemalige Palucca-Schülerin und heutige choreografische Assistentin der Semperoper, Katrin Wolfram. Bis heute besteht zwischen der Palucca Hochschule für Tanz Dresden und dem Semperoper Ballett eine enge Zusammenarbeit. Insbesondere das 2006 von Rektor Jason Beechey und Ballettdirektor Aaron S. Watkin ins Leben gerufene Elevenprogramm bietet jungen Tänzer*innen die Möglichkeit, mit dem Semperoper Ballett erste praktische Erfahrungen zu sammeln – eine Form der Nachwuchsförderung, die sicher auch Gret Palucca gefallen hätte.

Die Semper Geschichte erschien am 8. Januar 2022. Autorin: Bianca Heitzer (Dramaturgin)