Semper Geschichte/n

Sängerin, Darstellerin, Managerin

Vor 275 Jahren wurde Regina Mingotti an die Dresdner Hofoper engagiert.

Ein Brief an die Semperoper setzte vor einem halben Jahr eine Recherche in Gang: Er sei, so der Schreiber des Briefes, ein Nachkomme der Sängerin Regina Mingotti, deren 300. Geburtstag man in Kürze begehen könne. Wer war Regina Mingotti? Wir haben uns auf eine Spurensuche begeben und erinnern nun an die Sängerin – zum 275. Jubiläum ihres Dresdner Engagements

Regina Mingotti sang in Dresden bei einer der großen Fürstenhochzeiten, für die der Sächsische Hof im 18. Jahrhundert berühmt war: 1747 heiratete die sächsische Kurprinzessin Maria Anna den bayrischen Kurfürsten Maximilian III. und gleichzeitig nahm der sächsische Thronfolger Friedrich Christian die bayrische Prinzessin Maria Antonia Walburga zur Frau. Zur Feier dieser Doppelhochzeit hatte Christoph Willibald Gluck die Oper »Le nozze d’Ercole e d’Ebe« komponiert, bei deren festlicher Uraufführung am 29. Juni 1747 im Garten von Schloss Pillnitz Regina Mingotti die männliche Hauptrolle des Herkules sang. Nicht nur die Hochzeitsoper gefiel bei Hof, sondern auch die Primadonna fand Anklang: Am 22. Juli 1747, rückwirkend auf den 1. Juli 1747 datiert, erhielt Regina Mingotti ein Engagement am Sächsischen Hof mit einem Jahresgehalt von 2000 Talern. 

Dieses Engagement war nicht ohne Brisanz: Regina Mingotti war 1743 unter ihrem Mädchennamen Valentini in die reisende Operntruppe von Pietro Mingotti eingetreten und hatte den Prinzipal 1747 geheiratet. Mit dem 20 Jahre älteren Mingotti gastierte die 1722 als Tochter eines österreichischen Hufschmieds in Neapel geborene Regina in Hamburg, Prag, Leipzig, Frankfurt und Lübeck – und eben in Dresden. Mit ihrer Anstellung am Dresdner Hof verließ sie die reisende Operntruppe und ihren Ehemann. 

Aufstieg zur Primadonna in Dresden

Dass die junge Sängerin ihrer Karriere in Dresden den Vorzug vor Mingottis Wandertruppe gab, ist nicht erstaunlich. Erstens war Dresden ein Zentrum der europäischen Oper des 18. Jahrhunderts und zweitens war der Hof bereit, in den aufstrebenden Star zu investieren: Auf Kosten des Königs erhielt Regina Mingotti Unterricht bei Nicola Porpora, dem bedeutendsten Gesangspädagogen dieser Zeit, dessen bekanntester Schüler der Kastrat Farinelli gewesen war. Aus den Arien, die für sie komponiert wurden, kann man ersehen, dass Regina Mingotti, die über einen Stimmumfang von zwei Oktaven verfügte, nach dem Unterricht bei Porpora lange und rasche Koloraturen, rhythmisch komplexe Figuren und lange Trillerketten singen konnte. 

Ziel dieser Investition war es, Regina Mingotti als Nachfolgerin der Primadonna Faustina Bordoni aufzubauen. Die Bordoni, heute vor allem wegen ihres Engagements in der Londoner Operntruppe von Georg Friedrich Händel bekannt, war eine der berühmtesten Sängerinnen des 18. Jahrhunderts. Sie war seit 1730 mit dem Königlich Polnischen und Kurfürstlich Sächsischen Kapellmeister Johann Adolf Hasse verheiratet, mit dem sie europaweit Erfolge feierte. Obwohl sie fast 20 Jahre später den Zenit ihrer Karriere bereits überschritten hatte, galt sie immer noch als die beste Sängerin ihrer Zeit. Als 1750 Hasses »Attilio Regolo« aufgeführt wurde, sang die Bordoni die weibliche Hauptrolle der Attilia, während Regina Mingotti in der weniger großen Hosenrolle des Publio besetzt war. Offenbar war die 27-jährige junge Sängerin in Männerrollen besonders überzeugend. So berichtet ein Augenzeuge von der Aufführung: »Man zweifelt, ob sie mehr als Mannsperson oder als Frauenzimmer gefällt. Sie ist wohlgewachsen und gebildet. Ihr Verstand ist fein, ihr Witz lebhaft, und ihr Geist aufgeweckt. Ihre Aussprache ist deutlich und männlich. Ihr Gesicht ist rund, die Augen sind blau, die Stirne, die Nase, der Mund sind völlig regulär, die Haare blond, der Hals ist sehr schön, doch die tonerfüllte Kehle ist noch bewundernswürdiger. Die Brust ist füllig, die Füße einer Mannsperson könnten nicht schöner sein. Sogar ihr Gang ist reizend. Kurz, ihr ganzer Körper ist harmonisch.«

Doch die Zusammenarbeit zwischen der Primadonna Bordoni und der aufstrebenden Mingotti verlief keineswegs harmonisch. So berichtet der Librettist Pietro Metastasio von Krächen zwischen den beiden Sängerinnen, die den berühmten Londoner Streitigkeiten zwischen Faustina Bordoni und ihrer Rivalin Francesca Cuzzoni angeblich kaum nachstanden (auch wenn es in Dresden zumindest auf der Bühne nicht zu Handgreiflichkeiten kam). Möglicherweise um diese Rivalität zu entschärfen, ging Regina Mingotti 1750 für ein Jahr nach Neapel, und die Bordoni trat ein Jahr später von der Bühne ab. Zwar trat die Mingotti nun als Primadonna in mehreren Opern von Hasse auf, so 1751 in »Ipermestra« und zum Karneval 1752 in »Adriano in Siria«. Doch möglicherweise war ihr der Erfolg zu Kopf gestiegen, und schon ein Jahr später endete ihr Engagement in Dresden wegen Spannungen mit Hasse und ihren überzogenen Gagenforderungen.

Von Dresden nach Madrid und London

Dafür begann nun eine europäische Karriere der Künstlerin. Wohl durch Vermittlung Porporas holte Farinelli die Sängerin an den spanischen Königshof, wo der Sänger nicht nur die Oper leitete, sondern faktisch das Amt eines Ersten Ministers innehatte. 1754 ging sie nach London, wo sie endgültig zum europäischen Opernstar aufstieg. Regina Mingotti, die fließend Italienisch, Deutsch und Französisch sprach, beherrschte auch die englische Sprache schnell, komponierte eigene Lieder und legte sich mit dem Manager des King’s Theatre am Haymarket an. Der Einfluss der Primadonna war beträchtlich, und so übernahm Regina Mingotti in der Spielzeit 1756/1757 selbst das Management des Opernhauses. Sie war damit die erste Frau, die ein Opernunternehmen leitete – und noch dazu genau jenes Londoner Theater, in dem ihre Dresdner Rivalin Faustina Bordoni ihre größten Triumphe gefeiert hatte. 

Doch die Saison war ein finanzieller Misserfolg, Regina Mingotti verließ London, und dieses Scheitern scheint den Wendepunkt in ihrer Karriere zu markieren. Ab 1760 nahm sie keine größeren Engagements mehr an und zog sich ins Privatleben zurück. Vom Oktober 1768 bis März 1769 war die Mingotti gemeinsam mit ihrer Schülerin Rosa Capranica noch einmal in Dresden engagiert, ohne dass sie an ihre früheren Erfolge anknüpfen konnte. Über den Lebensabend Regina Mingottis ist wenig bekannt. In einer Epoche, in der es für Sänger*innen praktisch keine sichere Altersvorsorge gab, endeten vor allem Frauen oft in Armut. Ab 1784 soll sie bei ihrer Tochter Josefa in Rohrbach gelebt haben, ihre letzten Jahre verbrachte sie bei ihrem Sohn Samuel Felix in Burglengenfeld. 1808 starb Regina Mingotti im Alter von 86 Jahren in Neuburg an der Donau. Ein Andenken an die Glanzzeit der Sängerin ist in Dresden erhalten: Das Portrait, das Anton Raphael Mengs 1750 von der Primadonna malte, hängt bis heute in der ständigen Ausstellung der Gemäldegalerie Alte Meister. 

Die Semper Geschichte erschien am 6. Oktober 2022. Autor: Kai Weßler