Semper Geschichte/n

Gertrud Döhnert – Mit der Oper durch Glanz und Not

Die gebürtige Dresdnerin Gertrud Döhnert erlebte die Nacht des 13. Februar 1945 in den Mauern der Semperoper mit und hielt diese und andere Erfahrungen in ihren Lebensbeschreibungen fest.

 

»Du musst all diese Erinnerungen endlich aufschreiben, Gertrud. Das ist ein echtes Zeitzeugnis«, bat der Dresdner Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge die damals schon 85-jährige Gertrud Döhnert (1891–1992). Sie hatte zwischen 1919 und 1956 ohne Unterbrechung an der Sächsischen Staatsoper in der Intendanz und später dann im Vorzimmer von Dirigenten wie Fritz Busch und Karl Böhm gearbeitet.

Gertrud Döhnert, kurz (und liebevoll) die »Dö« genannt – nach ihrem selbst gewählten Unterschriftenkürzel – war eine Institution an der Semperoper. Immer akkurat, bescheiden und hingebungsvoll war sie neben ihrer Haupttätigkeit für die Intendanz und die Generalmusikdirektoren auch schon mal als Souffleuse, Darstellerin, Seelsorgerin und Produktionsleiterin beschäftigt: »Es ging immer rund und bunt zu; von einer sitzenden Lebensweise konnte man bei mir kaum sprechen, ging es doch viel treppauf und treppab. Die vielen Jahrzehnte an der Oper waren die schönsten Jahre meines Lebens.«

1976 begann Gertrud Döhnert mit der Niederschrift ihrer Erinnerungen an diese ereignisreiche Zeit: In einem mehr als 50 Seiten umfassenden Manuskript (das in einer maschinengeschriebenen Fassung im Historischen Archiv aufbewahrt wird) hielt die zunächst als Maschinenschreiberin und Telefonistin angestellte Gertrud Döhnert fest, was ihr und »ihrem Theater« in den Jahren zwischen den beiden einschneidenden Erlebnissen des Ersten und Zweiten Weltkrieges bis zu ihrem Ruhestand 1956 widerfuhr.

Vor allem die Zeit der wachsenden Popularität der Nationalsozialisten in Dresden und besonders im Theater schon vor 1930 – die Döhnert als einen besonderen Tiefpunkt empfand – und die Ereignisse des 13. Februars 1945, als auch die Semperoper beinah vollständig zerstört wurde, nehmen einen großen Raum in ihren Beschreibungen ein. »Und dann kamen diese verheerenden Bomben auch über unser geliebtes Opernhaus. Man hörte die Schläge direkt über unseren Köpfen.« Gertrud Döhnerts Wohnhaus am Zwingerteich 1 wurde ebenfalls fast vollständig vernichtet: »Ja, ich stand nun vor meiner Hausruine, fast keines Gedankens fähig.

Wenn Gerhart Hauptmann gesagt hat, er habe beim Anblick der zerstörten Stadt das Weinen wieder gelernt, so muss ich sagen, dass ich es verlernt hatte. Nicht eine Träne ist aus meinen Augen geflossen. Was nun?, dachte ich stumpf und völlig mit mir alleingelassen.« Ab dem ersten Tag nach dem Angriff trafen sich die Überlebenden täglich in der Ruine des Opernhauses, das ehemalige Busch-Zimmer wurde zur Generalintendanz und »ein Kanonenofen mit aus dem Fenster herausragendem Ofenrohr sorgte für etwas Wärme – es war immerhin Februar. So fing es wieder an.«

An Pragmatismus und einer guten Portion Optimismus fehlte es Gertrud Döhnert nie. Neben solchen einschneidenden Erlebnissen enthalten ihre Lebenserinnerungen ebenso Beschreibungen des alltäglichen Theater- und Alltagslebens, von Gastspielen und kurzfristigen Einspringern, und auch Berichte über die Zusammenarbeit mit den Künstler*innen am Haus, vor allem aber auch über Döhnerts Verhältnis zu ihrem »liebsten Chef« Fritz Busch. Die Vorgänge um die Enthebung von Fritz Busch aus seinem Amt 1933 und die unmissverständlichen Vorzeichen dafür hat sie in ihren Erinnerungen eindrucksvoll nachgezeichnet.

Getrud Döhnert gelang mit ihren Schilderungen eine besondere Chronik: schnörkellos und uneitel berichtet hier eine Zeitzeugin ohne Tendenz und ohne Korrektur an unschönen Fakten, aber auch mit feinem Humor über Glanz und Elend eines Stücks deutscher (Theater-)Geschichte.

Apropos Glanz. In ihren Beschreibungen spricht Gertrud Döhnert auch immer wieder über einen privaten Club, den Glanzklub, den sie gemeinsam mit dem Tenor Curt Taucher (1885–1954), dem Ankleider Heinrich »Heini« Opitz und dem Bass Willy Bader (1888–1954) gegründet hatte. Vier Menschen: zwei Sänger, ein Handwerker und eine Sekretärin, die in diesem Club einen ganz eigenen Umgang mit den Anforderungen der Zeit und der sich schon ab Ende der 1920er Jahre politisch immer weiter verschlechternden Lage (auch) an der Semperoper gefunden hatten.

»Zu diesem Glanzklub, der zu meinen schönsten persönlichen Erinnerungen während meiner Theaterarbeit gehört, die Erklärung: Es war in der Probenzeit zu einer ›Ring‹-Neuinszenierung [1930, Anm. d. Red.], in der die Felsen usw. ganz naturalistisch mit einem rauen Stoff, sogenannten Rupfen, überzogen wurden. Das wirkte ganz echt, aber die Sänger fanden, dass es die Stimmen stumpf machte; sie spürten das mit einer gewissen Skepsis schon bei den Proben. An einem solchen Probenvormittag traf ich, aus meinem Zimmer tretend, Curt Taucher und Opitz, die sich gerade begrüßten. Die Frage ›Wie geht’s?‹ beantwortete Opitz mit einem strahlenden ›glänzend!‹ Man hätte ihm nie eine Überlastung oder irgendeinen dienstlichen Ärger angemerkt, obwohl es ihm sicher nicht daran fehlte. Taucher überwand sein momentanes Missbehagen im Hinblick auf die geschilderte Probe und schlug spontan vor, dass wir uns hinfort immer mit ›mir/ uns geht’s glänzend‹ begrüßen wollten.«

Die Vereinsstruktur nahm schnell konkrete Formen an. Gertrud Döhnert schlug für den Club ein Abzeichen vor und ließ vier silberne Münzen mit einem Marienkäfer darauf anfertigen. Den trugen die vier Vereinsmitglieder dann auch »bis Taucher den Warnruf ertönen ließ: ›nicht mehr tragen!‹ – es ähnelte dem NSDAP-Abzeichen, das gerade ›in Mode‹ kam.« Die Dö wurde von ihren Clubgenossen, allen voran aber von Curt Taucher, mit dem sie auch über dessen Zeit in Dresden hinaus noch eine innige Freundschaft verband, liebevoll »Döhnertlein« genannt.

Es gab regelmäßige Vereinsabende, eigene Notizzettel für den Club für die hin und her gehende Korrespondenz, Urkunden, Silvestergrüße und auch ein »Uns geht’s glänzend«-Schild, das in Tauchers Garderobe an den Abenden, wenn er Dienst hatte und alle vier Clubmitglieder anwesend waren, aufgehängt wurde – und sofort wieder verschwand, wenn jemand anderes den Raum betrat.

Zu allen möglichen Gelegenheiten wurden über die »glänzende Begrüßung« Stimmungen und Situationen kommentiert oder aufgelockert. Auch Ehrenurkunden zu sportlichen Ereignissen und Geburtstagen wurden so zwischen den vier Mitgliedern hin und her gesandt. In den politisch sehr gespannten Zeiten war dieser Club eine Art Fluchtpunkt für seine Mitglieder.

Curt Taucher verließ die Semperoper 1935, ging in Rente, ebenso wie Willy Bader 1939. Mit Heini Opitz zusammen hatte Gertrud Döhnert knappe zehn Jahre später die Bombennacht des 13. Februar mit vielen anderen im Opernhaus überlebt.

»›Glänzend‹ erging es uns, solange wir, zuletzt nur noch schriftlich, in Verbindung blieben. Leider sind meine drei ›Glanzgenossen‹ vorzeitig aus dem Leben geschieden und haben mich allein gelassen.« Gertrud Döhnert ist am 26. November 1992 im Alter von 101 Jahren in einem Altersheim in Dresden gestorben.

Die Semper Geschichte erschien am 13. Februar 2023.
Autorin: Juliane Schunke (Dramaturgin)