Semper Geschichte/n

»La forza del destino«

Wie die Dresdner Erstaufführung von »Die Macht des Schicksals« 1926 die Verdi-Renaissance auslöste

Eine Uraufführung hatte die Sächsische Staatsoper Dresden angekündigt: Am 20. März 1926 hob sich der Vorhang zu Giuseppe Verdis »Die Macht des Schicksals« in der Inszenierung von Alois Mora und unter der Stabführung von Fritz Busch.

Verdis 1869 uraufgeführte Oper war zwar in Deutschland weitgehend unbekannt, doch was die Dresdner Erstaufführung zu einer Uraufführung machte, war der neue deutsche Text, den der expressionistische Dichters Franz Werfel eigens geschrieben hatte.

Und die Aufführung hatte Folgen: Binnen eines Jahres war »Die Macht des Schicksals« zur meistgespielten Verdi-Oper aufgestiegen und setzte eine weltweite Verdi-Renaissance in Gang, die bis heute anhält.

Was war geschehen?

Die Werke Giuseppe Verdis waren in seiner Heimat nach seinem Tod 1901 ein wenig aus der Mode gekommen, abgeschlagen von den neuen italienischen Komponisten wie Giacomo Puccini und den Vertretern des Verismo. In Deutschland galten Verdis Opern zu dieser Zeit ohnehin als etwas anrüchige Unterhaltungsschinken. Kritikerpapst Eduard Hanslick hatte in Verdis Musik nur »öde Langweiligkeit, gepaart mit bunten Hanswurstsprüngen« gefunden, und Richard Strauss nannte »Aida« abschätzig »Indianermusik«. Einzig die beiden Spätwerke »Otello« und »Falstaff« fanden vor deutschen Kritikern Gnade – und das auch nur, weil hier angeblich der Einfluss Richard Wagners dem italienischen Komponisten zum echten Musikdrama verholfen hätte.

Verdi als Gegenfigur zu Wagner

Doch nach dem Ersten Weltkrieg ließ die Begeisterung für Wagners Musikdramen, den Lieblingsopern der Deutschen im Kaiserreich, deutlich nach. »Der sinfonisch-literarischen Oper ist man müde geworden; sie scheint keine Möglichkeiten mehr zu erschließen. Wagner, gegenüber, den man den Sündenbock schilt, wird Verdi erhoben«, so fasste der Rezensent des Dresdener Anzeigers die Entwicklung zusammen. Die Gründe für diese wachsende Verdi-Begeisterung lagen darin, dass die Theater in der Weimarer Republik deutlich stärker einem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums entgegenkommen mussten und dass Verdis knappe, verdichtete Szenen im Zeitalter des Kinos moderner wirkten als die epischen Musikdramen Wagners. Der Italiener Verdi als Gegenfigur zum Deutschen Richard Wagner war auch das Thema von Franz Werfels Roman »Verdi«, der 1924 ein Bestseller wurde. Dieser Bucherfolg sorgte nicht zuletzt dafür, dass seine Neufassung von »Die Macht des Schicksals« weit über Dresden hinaus mit großer Spannung erwartet wurde. Werfel hat das Libretto der »Macht des Schicksals« frei nachgedichtet und die Handlung zwar beibehalten, die Konflikte zwischen den Figuren jedoch deutlich geschärft und modernisiert. Die Neufassung war bereits nach der Premiere heftig umstritten: Einige Kritiker lobten, dass Werfel Verdis Musik übersetzt habe, andere bemängelten, dass Werfels Sprache zu literarisch sei, und wieder andere beklagten schwache Verse und mangelnde Singbarkeit.

Der Erfolg der Dresdner Aufführung war jedoch durchschlagend. »Verdis Oper ›La forza del destino‹ oder ›Die Macht des Schicksals‹ hat sich vielleicht noch nie zuvor so auf den ersten, spontanen Eindruck einer Aufführung hin in ihrer genialen Größe und Eigenart zu erkennen gegeben«, schrieb Hans Schnoor im Dresdener Anzeiger. Besonders gelobt wurde Meta Seinemeyer in der Rolle der Leonora, von der Fritz Busch später sagte sie habe »eine Träne in der Stimme« gehabt. Vor allem aber wurde Buschs Dirigat als flammendes Plädoyer für Verdis Werk wahrgenommen: »Wir kennen kaum eine Leistung Fritz Buschs von dieser Überzeugungskraft, dieser erlebten Innerlichkeit, dieser Meisterhaftigkeit im Technischen«, schrieb wiederum Hans Schnoor. In den überlieferten Kritiken, in denen übrigens nie der Rang von »Die Macht des Schicksals« als eines Meisterwerkes in Frage gestellt wird, kann man die Begeisterung des Dresdner Publikums für diese Aufführung nachspüren, etwa wenn Umbesetzungen öffentlich diskutiert wurden. Der Erfolg der Aufführung war offenbar auch der eines Ensembles, das sich vorbehaltlos und in idealer Weise für Verdi Werk eingesetzt hatte. Noch 20 Jahre später erinnert sich Fritz Busch an die Aufführung als eine »in denen man sich dem Ideal dieser Kunst nahe fühlte.«

Die Dresdner Aufführung von »Die Macht des Schicksals« bedeutete zunächst in Deutschland und dann in ganz Europa die Rehabilitierung Giuseppe Verdis als ein gleichrangiger Antipode Richard Wagners, ganz so, wie es Franz Werfel in seinem romantisierenden und teils fiktiven Roman dargestellt hatte. »Die Macht des Schicksals« wurde in Werfels Fassung von fast allen deutschen Opernhäusern nachgespielt. Hatten sich die Aufführungszahlen Verdis bereits 1927 gegenüber der Vorkriegszeit verdoppelt, überstiegen diese 1932 zum ersten Mal die Aufführungszahlen Richard Wagners. Und trotz der Wagner-Begeisterung des NS-Regimes fanden ab 1939 auf deutschen Bühnen durchweg mehr Aufführungen von Verdis Opern statt als von denen Richard Wagners. 

Und auch in Verdis Heimatland Italien änderte sich nach der Dresdner »Macht des Schicksals« die Wahrnehmung des Komponisten: Der Dirigent Arturo Toscanini, der Verdi noch persönlich kannte, hatte 1909 an der Mailänder Scala mit »La forza del destino« ein Debakel erlebt und war davon überzeugt, dass auf dieser Oper ein Fluch liegt. Fritz Busch berichtet in seinen Memoiren, dass Toscanini im Sommer 1928 extra nach Dresden gereist sei, um sich vom Erfolg dieser Aufführung persönlich zu überzeugen. Unglücklicherweise erkrankte ausgerechnet an diesem Abend die Hauptdarstellerin Meta Seinemeyer, und statt Verdis Oper spielte man Richard Strauss’ kurz zuvor uraufgeführte »Ägyptische Helena«. Hatte der Fluch wieder einmal zugeschlagen? Noch im November 1928 dirigierte Toscanini jedenfalls in Mailand »La forza del destino« – und diesmal auch dort mit durchschlagendem Erfolg.​

Die Semper Geschichte erschien am 20. März 2021. Autor: Kai Weßler (Dramaturg)