»Semper!«-Magazin

ZWEI 2021/22

Vorwort

Liebes Publikum,

unser Opern-, Ballett- und Konzertspielplan nimmt nach langer Zeit der Einschränkungen endlich Fahrt auf: Nach dem fulminanten Start in die noch junge Saison 2021/22 mit Peter Konwitschnys Interpretation von Bellinis »Norma«, »A Collection of Short Stories« mit dem Semperoper Ballett und den »Drei miesen, fiesen Kerlen« in Semper Zwei sowie hochkarätigen Konzerten, stehen bis Weihnachten zwei weitere Opernpremieren auf dem Programm der Semperoper Dresden. 

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Liebe und Eifersucht, politische Konflikte und Intrigen: Das sind häufig die Zutaten, aus denen Opernstoffe gemacht sind. Und so stehen auch die beiden Opernpremieren, die wir in unserem »Semper!«-Magazin, Ausgabe Zwei, ankündigen, ganz in eben diesem Themenzusammenhang. Während die Handlung von Rossinis »La Cenerentola« nach vielen Irrungen und Wirrungen in ein Happy End mündet, führt der kühne Traum des Titelhelden von Freiheit in Verdis Oper »Don Carlo« in Katastrophe und Tod. Beide Komponisten aber, Rossini wie auch Verdi, haben mit ihren Werken Opern von überzeitlicher Gültigkeit geschaffen. 

Bei Rossini dominiert in seiner Adaption des berühmten Aschenputtel-Stoffes die gefühlvolle Zeichnung der Hauptfigur, und damit wird diese Oper zu Recht als menschlichste aller Komödien des großen Komponisten bezeichnet. Verdis »Don Carlo« war für den Komponisten ein Schlüssel-Werk hin zum Musikdrama. Über zwei Jahrzehnte beschäftigte er sich mit dem Stoff und schuf verschiedene Fassungen; wir haben uns für die Aufführung der konzentrierten vieraktigen Fassung entschieden, mit einem hinzugefügten Prolog, einer Komposition von Manfred Trojahn, die in der Semperoper ihre Uraufführung erleben wird. Seien Sie mit uns gespannt auf diese Neuproduktionen, aber auch auf unser vielfältiges Repertoire und zahlreiche Sonderveranstaltungen, mit denen wir die Vorweihnachtszeit in der Semperoper einläuten.

Freuen Sie sich auch auf unsere Operngala mit der Preisverleihung der Stiftung Semperoper – Förderstiftung: Einmal im Jahr zeichnet die Stiftung herausragende Künstler*innenpersönlichkeiten aus, die eng mit der Semperoper verbunden sind. In diesem Jahr geht der Preis an den Bühnen- und Kostümbildner Johannes Leiacker, der zahlreiche Ausstattungen für Produktionen der Semperoper geschaffen hat und national wie international einen exzellenten Ruf genießt. Herzlichen Glückwunsch bereits an dieser Stelle!

Im Namen aller Mitarbeiter*innen wünsche ich Ihnen viele beglückende Opern-, Ballett- und Konzerterlebnisse in unserem Haus und bereits jetzt eine schöne Vorweihnachtszeit!

Ihre
Susanne Springer
Leiterin Kommunikation und Marketing


Ansichten

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Fusion

Der Begriff »Fusion« im Tanz umfasst viele unterschiedliche Aspekte – ein für mich fundamentaler ist die »Fusion« innerhalb unserer Company-Kultur. Ein Direktor ist immer nur so stark wie sein Team – das Ensemble ist das Fundament. Ich habe oft das Gefühl, eine Art Kurator zu sein, der Kunstwerke zueinander in Beziehung setzt. Ich stelle eine Gruppe dynamischer, kreativer Individuen zusammen und bringe sie in eine schöpferische Umgebung. Dieses Vorgehen führt zu unserer eigenen, einzigartigen Company-Kultur. Sie drückt zum einen aus, wer und was wir sind und beschreibt, wie wir als Künstler*innen und als Menschen funktionieren: Als Gruppe verschmelzen wir miteinander – das setze ich einer sich drehenden Verschmelzung von Energie gleich, die in unserer Company einen ständigen Austausch von Neugier, Wissen und Inspiration erzeugt. Dadurch entsteht eine Dynamik, durch die wir letztlich gemeinsam auf eine einheitliche Vision hinarbeiten.

Ein weiterer Aspekt von »Fusion« ist die Gegenüberstellung verschiedener Tanzstile in unserem immens vielfältigen Repertoire. – Wir befinden uns in zahlreichen Aspekten unseres Arbeitsumfeldes in einem Zustand ständiger »Fusion«.

Aaron S. Watkin 
Künstlerischer Leiter Semperoper Ballett 

Nahaufnahme

Nahaufnahme

Zeitenlauf

Wie die Zeit vergeht: Die Uhrenanzeige im Zuschauersaal der Semperoper zeigt die Stunden in römischen und die Minuten in arabischen Ziffern im Fünf-Minuten-Takt an – hier ein Blick ins Uhrenwerk. Eine außergewöhnliche Konstruktion, die ihren Ursprung in praktischen Überlegungen hat. Der Dresdner Uhrmacher Friedrich Gutkaes bekam beim Bau der Semperoper im Jahr 1839 den Auftrag, eine Uhr zu entwerfen, die von allen Rängen aus gut lesbar ist. Aufgrund des beschränkten Platzes entschied er sich gegen ein rundes Ziffernblatt. Im rechten Feld erfolgt der Zahlenwechsel von oben nach unten, im linken Feld bewegen sich die Stundenzahlen dagegen von unten nach oben. Die Uhr wurde damals von einem Turmuhrwerk angetrieben, inzwischen läuft sie aber mit elektrischen Motoren – alles hat seine Zeit.

Zahlenräder und Gehwerk der 5-Minuten-Uhr in der Semperoper Dresden
Premiere

Macht und Machbarkeit

Giuseppe Verdis »Don Carlo« in der Semperoper: Die abenteuerliche Geschichte einer Operninszenierung

Bühnentechniker verschrauben meterhohe Bücherregale und eine Kassettendecke links von einer schwarzen Wand mit gold-marmorierter Säule

Eine Freiheitsoper, ein Familiendrama, ein großes Chorstück: Giuseppe Verdis »Don Carlo« ist eine der facettenreichsten Opern des italienischen Komponisten. Ivan Repušić wird die Premiere des Werkes in der Semperoper dirigieren, die renommierte Regisseurin Vera Nemirova kehrt mit »Don Carlo« in die Semperoper zurück. Eigentlich war die Premiere der aufwändigen Produktion bereits für März 2020 geplant. Dann kam Corona … Doch nun endlich wird sich der Vorhang für Verdis historische Grand opéra öffnen. Das Solist*innenensemble wird angeführt von Vitali Kowaljow als Filippo und Riccardo Massi in der Titelrolle. Erstmals seit März 2020 steht auch der Staaatsopernchor wieder in großer Besetzung auf der Bühne. Zuvor erzählen wir an dieser Stelle die lange Reise des Bühnenbildes von Heike Scheele.  

9. MÄRZ 2020
Heike Scheele steht auf der Bühne des Salzburger Festspielhauses. Um sie herum ragen die gewaltigen Regalwände einer prächtigen alten Bibliothek auf: Es ist der Tag der technischen Einrichtung von Giuseppe Verdis »Don Carlo«. Die Bibliothek als ein Ort des Wissens und der Macht, das ist die zentrale Idee der Inszenierung. »Für mich sind Bibliotheken immer Orte mit einer respekteinflößenden Aura der Wichtigkeit, vor denen sich der Mensch klein fühlt«, erläutert Heike Scheele. »Wir haben uns viele Handschriften vorgestellt, große Folianten, es geht um das Sammeln und Archivieren zum Zweck des Machterhalts und der Demonstration von Macht.« 

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Und um Macht geht es tatsächlich in Verdis Oper, die die Semperoper in der vieraktigen italienischen Fassung von 1884 spielen wird. Die Bibliothek mit ihren Geheimtüren ist ein Bild für den spanischen Königshof Filippos II., der seinen Sohn Don Carlo von der Macht fernhält. Dazu kommt Carlos persönlicher Konflikt mit dem Vater, weil der aus politischen Gründen die französische Prinzessin Elisabetta geheiratet hat, die eigentlich dem Sohn versprochen war. Carlos Liebe zu Elisabetta scheitert ebenso wie seine politischen Ambitionen. Gebaut wurde der Macht-Bibliotheksraum mit circa 4.000 Büchern, die in fast 200 Quadratmetern Regal Platz finden, in den Werkstätten der Sächsischen Staatstheater, bevor dann nicht weniger als 14 Sattelschlepper die einzelnen Teile des gesamten Bühnenbildes nach Salzburg transportierten. »Die meisten der Bücher sind flache Attrappen. 

Nur in den Regalen, die benutzt und bespielt werden, sind Bücher, die man als Requisiten herausnehmen kann«, erläutert Heike Scheele. In Dresden probt derweil Vera Nemirova mit den Sänger*innen die Szenen von Verdis Oper. Nach und nach entwickelt die Regisseurin das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren, in dem Privates und Politisches untrennbar miteinander verbunden sind. Alle freuen sich darauf, die Endproben in Salzburg fortzusetzen, und sind begeistert bei der Sache.

12. MÄRZ 2020 
Heike Scheele steht wieder gemeinsam mit den Bühnentechnikern aus Salzburg und der Technischen Leitung der Semperoper auf der Bühne des Festspielhauses. Doch nun ist etwas bisher Undenkbares eingetreten: Wegen der Corona-Pandemie sind die Osterfestspiele abgesagt, kein*e Sänger*in wird nach Salzburg kommen, das gerade erst aufgebaute Bühnenbild könnte gleich wieder zurück nach Dresden gebracht werden. Doch die Salzburger Behörden ordnen die rigorose Schließung des Festspielhauses an. Rund vier Wochen lang steht Heike Scheeles Bibliothek also noch auf der Bühne des nun menschenleeren Festspielhauses. 

21. APRIL 2020 
Nur unter strengen Schutzauflagen darf die Bühnentechnik des Salzburger Festspielhauses das Bühnenbild abbauen, um es für den Rücktransport nach Dresden zu verladen. Noch sind alle optimistisch: Am 23. Mai wird in Dresden die Premiere von »Don Carlo« stattfinden. Heike Scheele hat genau geplant: Für Salzburg wurde ihr Bühnenbild auf eine Bühnenbreite von 18 Metern angelegt (28 Meter wären dort möglich), während das Portal der Dresdner Bühne nur 14,75 Meter breit ist. Die kunstvolle Kassettendecke des spanischen Palastes und die Regale sind so gebaut, dass man rechts und links 1,50 Meter wegnehmen kann. Und sollte der Palast doch noch einmal nach Salzburg reisen, dann vergrößert man ihn einfach wieder. 

2. JUNI 2020 
Endlich steht das Bühnenbild auf der Bühne der Semperoper. Nun werden die restlichen Arbeiten am Bühnenbild erledigt, die eigentlich schon in Salzburg erfolgen sollten. Mittlerweile ist jedoch klar: Auch hier in Dresden wird »Don Carlo« wegen des Corona-Lockdowns vorerst nicht gespielt werden können. Vera Nemirova und Heike Scheele arbeiten gemeinsam mit dem Lichtdesigner Fabio Antoci an der Beleuchtung der einzelnen Szenen. Alle Bilder der Oper werden nacheinander aufgebaut: »Die Bibliothek bleibt als Rahmen für die Bilder von Filippos Hof stehen: Für die Szene im Garten erscheint ein maurischer Brunnen aus einer Versenkung und bildet den Mittelpunkt für den Kreis der Hofdamen, die aber ständig unter Beobachtung des Königs stehen. Der öffentliche Platz für das Autodafé ist eine Art Amphitheater mit Tribünen, auf dem der ganze Chor Platz findet«, erklärt Heike Scheele.

10. DEZEMBER 2020
Die Semperoper steckt seit November zum zweiten Mal im Lockdown, aber alle hoffen, »Don Carlo« im Frühjahr in einer reduzierten »Corona-Variante« spielen zu können. Ausgerechnet die Schlüsselszene der Oper birgt das größte Problem: Beim Autodafé, der öffentlichen Glaubensbekundung am Ende des zweiten Aktes, kommen alle Figuren der Oper und der gesamte Chor auf der Bühne zusammen – unmöglich mit den geltenden Abstandsregelungen. Regisseurin Vera Nemirova und Chordirektor André Kellinghaus besprechen Lösungen mit per Lautsprecher übertragenem Chor und Videoaufnahmen der Menschenmasse. »Wenn man den Begriff Autodafé nachschlägt«, erläutert die Regisseurin, »dann stößt man schnell darauf, dass Autodafé auch Bücherverbrennung bedeutet, dass hier also regimekritisches Gedankengut vernichtet werden soll. Da geht es um Menschen, die durch die Macht des Wortes um ihr Recht kämpfen, frei zu denken. Leider hat es unsere Zivilisation immer noch nicht geschafft, solche Verhältnisse zu überwinden. Es gibt immer noch politisch Verfolgte, die im Gefängnis sitzen, weil sie inhumane Verhältnisse aufgedeckt haben. Verdis Oper wird genau hier aktuell.« Für die zu verbrennenden Bücher hat Heike Scheele vorn in der Bühne einen Rost bauen lassen, durch den die Flammen hochschlagen werden. Und dann ändert sich der ganze Raum: Nach dem Autodafé ist die Bibliothek verbrannt, eine Kultur ist zerbrochen. 

10. APRIL 2021
Eigentlich hätte an diesem Tag die Premiere von »Don Carlo« in Dresden stattfinden sollen. Doch auch diesmal macht Corona allen Planungen einen Strich durch die Rechnung. Heike Scheeles Bühnenbild wird derweil in den Dekorationsdepots der Sächsischen Staatstheater eingelagert. 

OKTOBER 2021
Wenn das aktuelle »Semper!«-Magazin gedruckt wird, laufen gerade die Endproben für »Don Carlo«, der nach nunmehr drei Corona-Wellen am 22. Oktober 2021 in der Semperoper Premiere haben wird. Die Hoffnung, die lange geplante Inszenierung ohne Hygieneabstände zwischen den Darsteller*innen auf die Bühne zu bringen, scheint sich zu erfüllen. Hoffnung und Utopie gehören zu den Kernaussagen von Verdis Oper, die mit der Utopie einer unmöglichen Liebe beginnt: Ein Prinz muss eine Prinzessin heiraten – und tatsächlich geschieht das Wunder, dass sich beide ineinander verlieben. Für den Beginn von Vera Nemirovas »Don Carlo«-Inszenierung hat der Komponist Manfred Trojahn einen instrumentalen Prolog geschrieben, der diese Vorgeschichte erzählen wird. Die Utopie dieser Liebe durchzieht die ganze Oper, und auch Regisseurin Vera Nemirova bekennt sich zur Kraft der Utopie: »Der wesentliche Antrieb für meine Arbeit ist es, Musiktheater zu machen, aus dem die Zuschauer*innen Kraft und Mut für Visionen und Utopien schöpfen können. So lange die Musik erklingt und andauert, ist Utopie möglich, und so lange es kulturelle Werte gibt, gibt es auch Utopien. Wenn wir Kultur vernichten, dann sterben die Utopien, die unser Lebenselixier sind!«

Kai Weßler

kurz und bündig

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ARTE Opera Season 2021/22 mit »Aida« und »Capriccio«

Mit gleich zwei Produktionen ist die Semperoper Dresden bei der diesjährigen digitalen Opernspielzeit ARTE Opera Season vertreten: Ab dem 2. November 2021, 19 Uhr, steht die Neuinszenierung von Richard Strauss’ Konversationsstück »Capriccio« aus der Saison 2020/21 erneut auf dem digitalen Spielplan. In der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog und unter der Musikalischen Leitung von Christian Thielemann singen Camilla Nylund, Christoph Pohl, Georg Zeppenfeld, Daniel Behle, Christa Mayer und Nikolay Borchev. Am 13. März 2022, 16 Uhr, überträgt ARTE mit Giuseppe Verdis »Aida« eine Neuproduktion der aktuellen Spielzeit: In der Inszenierung von Katharina Thalbach und ebenfalls unter der Musikalischen Leitung von Christian Thielemann übernimmt die Sopranistin Krassimira Stoyanova die Titelpartie und steht gemeinsam mit Alexandros Stavrakakis, Oksana Volkova, Francesco Meli, Georg Zeppenfeld, Quinn Kelsey und anderen auf der Bühne.

2x2 Fragen

2 x 2 Fragen

... an Klaus Florian Vogt

Klaus Florian Vogt ist einer der herausragenden Tenöre der Gegenwart. In der Spielzeit 2021/22 interpretiert er in der Semperoper den Paul in »Die tote Stadt« von Erich Wolfgang Korngold.

WELCHE ROLLE NIMMT »DIE TOTE STADT« FÜR PAUL EIN?

Die Stadt ist die Kulisse für Pauls innere Haltung: seine Gefangenheit. In ständiger Erinnerung an seine verstorbene Frau Marie hat er sich in seiner morbiden Welt eingerichtet und lebt zurückgezogen in einer Art selbsterrichtetem Mausoleum. Die Stimmung einer nebligen, dunklen und tot anmutenden Stadt mit einer erdrückenden Architektur ist letztlich die Illustration seiner Empfindungen.

 

WAS UNTERSCHEIDET TRAUM UND WIRKLICHKEIT?

In Träumen ist oft alles verlangsamt, Bewegungen und Handlungen laufen wie in Zeitlupe ab. Bei Paul könnte man es aber auch umgekehrt betrachten: In der Realität, in der er für seine verstorbene Frau eine Gedenkstätte errichtet hat, sehe ich Paul als gefangen in seinen Erinnerungen. In seinen Träumen ist er frei.

WORÜBER WÜRDEN SIE GERN MIT KORNGOLD INS GESPRÄCH KOMMEN?

Mich würde im Gespräch mit Korngold interessieren, wie viel von dem, was in der Oper so tief anrührt, dieses Gefühl der Überwältigung, durch die Musik und den massiven Orchesterapparat, wirklich beabsichtigt ist. Was vielleicht sogar Berechnung war oder was vielmehr zufällig in der Komposition entstanden ist.

 

GIBT ES EINE WAGNER-GESANGSPARTIE, DIE SIE ZUKÜNFTIG GERNE NOCH SINGEN MÖCHTEN?

Sicherlich. Um die Wagner-Bandbreite zu komplettieren, würde ich gerne noch den Tristan singen und die beiden Siegfried-Partien in »Der Ring des Nibelungen« fehlen mir ja auch noch. Auf das, was noch kommt, bin ich sehr gespannt!


Premiere

Bühnenbildentwürfe von »La Cenerentola«
Premiere

Glück als Lohn menschlicher Integrität

»La Cenerentola« von Gioachino Rossini gilt als die menschlichste seiner Komödien. Der italienische Regisseur Damiano Michieletto verwandelt den berühmten Aschenputtel-Stoff in kraftvolles, bildgewaltiges Musiktheater

Mit »Der Barbier von Sevilla« hatte der gerade mal 24-jährige Gioachino Rossini 1816 bereits den Opernolymp seines Jahrhunderts erklommen. Nur ein knappes Jahr später (und mit einem kurzen musikdramatischen Zwischenhalt in Neapel für seinen »Otello« im Dezember desselben Jahres) brachte der Komponist am 25. Januar 1817 mit »La Cenerentola« am Teatro Valle in Rom seine nächste Erfolgsproduktion heraus. Nachdem er bereits 1815 ein Auftragswerk für den römischen Karneval komponiert hatte, sollte mit »La Cenerentola« die Saison 1817 eröffnet werden. Allein die Findung des Stoffes gestaltete sich schwierig: Das ursprüngliche Libretto wurde im Dezember 1816 von der Zensur rundheraus abgelehnt, und so blieb Rossini, der als Schnell- und Vielschreiber schon einige Berühmtheit erlangt hatte, und seinem Librettisten Jacopo Ferretti nur wenig Zeit. Nach eigener Aussage soll der Librettist während einer nächtlichen Krisensitzung und nach bereits 20 bis 30 abgelehnten Vorschlägen auf »Cendrillon«, die französische Vorlage der Aschenputtel-Geschichte nach dem berühmten Märchen von Charles Perrault (17. Jahrhundert), gekommen sein. Innerhalb einer Nacht sei das Textbuch entstanden und keine fünf Wochen später wurde die Uraufführung in Rom gefeiert.

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Rossini und Ferretti entschieden sich für eine Version, die gänzlich ohne die Magie einer guten Fee, die Kürbiskutsche und den gläsernen Pantoffel auskam. Pate stand hier das Libretto der 1810 veröffentlichten Oper »Cendrillon« von Nicolas Isouard, aus dem Ferretti einige Handlungselemente und den dramatischen Aufbau für sein Textbuch übernahm. Der Untertitel von »La Cenerentola«, »La bontà in trionfo« (Der Triumph der Herzensgüte), verweist auf Ferrettis und Rossinis Absicht, die menschliche Fähigkeit zur Güte und Herzlichkeit zu bestimmenden und schlussendlich glückbringenden Elementen ihrer Oper zu machen. Die sehr reale Figur eines Erziehers übernimmt dagegen den Part einer höheren Macht, die den Guten Gerechtigkeit widerfahren lässt, die grausamen Gegenspieler jedoch bestraft. Überraschenderweise taucht dieser Erzieher immer im richtigen Moment auf, um dem Glück auf die Sprünge zu helfen.

Personifiziert finden sich Güte und Herzlichkeit in der jungen Angelina (übersetzt: Engelchen), die im Haushalt ihres finanziell ruinierten und skrupellosen Stiefvaters Don Magnifico (der »Prächtige«) lebt und von ihren selbstsüchtigen Stiefschwestern Clorinda und Tisbe abschätzig Cenerentola (Aschenputtel) genannt wird. Güte und Barmherzigkeit gegenüber jeder Kreatur, unabhängig von Namen und Rang, sind auch für Alidoro, den Lehrer des Prinzen Ramiro, die höchsten Tugenden. Diese Eigenschaften sollte auch die zukünftige Braut seines Schützlings in jedem Fall mitbringen. Um die wahre Natur jeder Bewerberin in Erfahrung zu bringen, verkleidet sich Alidoro deshalb als Bettler und bittet um Almosen. So ausstaffiert, erscheint er auch auf der Schwelle Don Magnificos, wo er von Clorinda und Tisbe höhnisch abgewiesen, von Angelina jedoch hereingebeten und mit Essen und Trinken versorgt wird. Ihr reines Herz bezaubert dann auch sofort den Prinzen selbst, als der wenig später das Haus der drei Schwestern betritt – auf Anraten Alidoros in der Verkleidung seines Dieners Dandini. Im Schatten des wiederum als Prinz auftretenden »echten« Dandini kann sich Ramiro der jungen Frau nähern und auch Angelina ist sofort angetan von dem jungen Mann. Alle, bis auf Angelina, folgen der Einladung zum Ball des Prinzen.

Wieder mischt sich Alidoro ein und verspricht der unglücklichen Angelina im Geheimen, dass sich ihr Schicksal wenden werde. Er versorgt sie für den Ball mit einem entsprechenden Kleid und führt sie dort in die Gesellschaft ein. Niemand erkennt in der vornehmen Dame das schmutzige Aschenputtel. Doch Angelina, unfähig zur Verstellung, weist die Avancen des vermeintlichen Prinzen – Dandini – mit der Beteuerung zurück, einen anderen zu lieben, nämlich seinen Diener. Nicht Reichtum und Rang interessierten sie, sondern Aufrichtigkeit und Liebe. Ramiro, noch immer in der Verkleidung des Dieners, tritt vor die erstaunte Angelina und bittet sie, ihn zu heiraten. Doch die Aufrichtigkeit Angelinas reicht soweit, dass sie sich ihm im Gegenzug zu seinen Beteuerungen erst zu »erkennen« geben möchte: Sie übergibt ihm vor ihrem Aufbruch einen von zwei identischen Armreifen mit der Aufgabe, sie zu suchen und an ihrem Armreifen zu erkennen. Er solle sehen, wie sie lebt und erst dann entscheiden, ob er sie wirklich heiraten wolle. 

Und wieder ist es Alidoro, der dem Prinzen den richtigen Weg weist: In dem tosenden Gewitter, das dem Abend folgt, arrangiert er es so, dass die Kutsche des Prinzen ausgerechnet vor der Tür Don Magnificos umkippt und sich der Prinz samt seinem Diener Dandini in dessen Haus retten muss. Nun treten Prinz und Diener in ihrem wahren Rang und Namen vor die Familie, und als Ramiro am Arm der von Clorinda und Tisbe gegängelten Dienerin den Armreif erblickt, offenbart er sich der jungen Frau, die ihren Augen nicht traut. Sie werden ein Paar. Reinheit und Güte haben gesiegt. Auf die Frage Ramiros, wie sie die elende Sippschaft, die sie all die Jahre so gequält hat, bestrafen will, antwortet Angelina: »E sarà mia vendetta il lor perdono« (Meine Rache wird sein, ihnen zu vergeben.)

Mit »La Cenerentola« komponierte Rossini eine »Semiseria«, eine halbernste Oper, voller Witz, guter Unterhaltung und zugleich tiefer Menschlichkeit. Musikalisch äußerst anspruchsvoll, kostet er die Stellen größten Triumphes seiner Hauptfigur ebenso genüsslich aus wie die tiefste Demütigung des infernalischen Familientrios. Dem schlimmsten aller Stiefväter gönnt er gleich drei Arien, um seine Prunksucht, Selbstverliebtheit, aber auch Kleingeistigkeit und Gefühlsarmut auszudrücken. Umso tiefer Don Magnificos Fall im zweiten Akt: Eine ganze Szene gewährt Rossini dem Diener Dandini – der als Prinz auch eher einem eitlen Gockel und nicht seinem wahren Brotherrn ähnelt – für das Bekenntnis, dass der prächtige Magnifico einer Prinzen-Verkleidung aufgesessen ist. Und Angelinas Rondò im Finale Ultimo gehört zum schwierigsten, was Rossini je für eine seiner Figuren komponiert hat.

In immer schneller kreisenden Ensembles mit schnatterndem Parlando und himmelstürmenden Koloraturen geben sich die Figuren ihrer Verwirrung hin und zwischenzeitlich hat man auch als Zuhörende*r das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wer hier eigentlich wer ist.

Doch Rossini durchmischt seine brillante Buffokunst immer wieder auch mit lyrischen und tragischen Tönen. Der melancholischen Ballade Angelinas »Una volta c’era un Re« (Es war einmal ein König), mit der die Figur gleich am Anfang der Oper in all ihrer Einfachheit und Reinheit eingeführt wird, stellt er das plärrende Nachäffen der Melodie durch die beiden Stiefschwestern entgegen, was augenblicklich das zutiefst gespaltene Verhältnis der Schwestern zueinander klarstellt. Die Ballade von dem König, der sich gegen Prunk und Selbstsucht und für Unschuld und Herzensgüte entscheidet, erklingt ebenso, wenn Angelina zum ersten Mal dem (verkleideten) Prinzen begegnet. Das Singen ist für die junge Frau ein innerer Ort der Freiheit und zieht sich wie ein Leitmotiv durch das Stück.

Der italienische, international gefeierte Regisseur Damiano Michieletto gibt mit »La Cenerentola« sein Debüt in Dresden. Ohne seiner Hauptfigur das Sehnsüchtig-Zauberhafte zu nehmen, befreit er die Geschichte auch optisch konsequent von jeglichem märchenhaften Ambiente und inszeniert Rossinis Dramma giocoso als kraftvolles, sozialkritisches Musiktheater des 20. Jahrhunderts.

Juliane Schunke

kurz und bündig

kurz und bündig

Sächsische Semperoper Stiftung

Ab Oktober nimmt die neu gegründete Sächsische Semperoper Stiftung ihre Tätigkeit auf: Sie hat sich das Ziel gesetzt, die Semperoper bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Projekte finanziell zu fördern und so die Marke Semperoper Dresden weiter zu stärken. Eines der vorrangigen Motive besteht darin, sowohl das Kernpublikum der Oper als auch neue Zielgruppen mit neuen sinnlichen Ideen anzusprechen und ihnen den Zugang zu zeitgemäßem Musiktheater zu sichern. Dafür möchte die Stiftung Privatpersonen und Unternehmen insbesondere aus Dresden und dem Freistaat Sachsen ansprechen, aber auch über die Landesgrenzen hinaus Freunde und Unterstützer*innen gewinnen.

Ansichten

Ansichten

Norma

Die 1831 in Mailand uraufgeführte »Norma« ist die berühmteste Oper des italienischen Komponisten Vincenzo Bellini. Regisseur Peter Konwitschny legt in seiner Dresdner Neuinszenierung den politischen Kern dieses Stückes über eine Frau offen, die die Grundfesten ihres Staates erschüttert. 


Freitext

»Hoffnung schwingt sich himmelwärts«

Vereinsamt und zurückgezogen lebt der trauernde Witwer Paul nach dem Tod seiner Frau Marie in der Stadt Brügge und betreibt einen sonderbaren Totenkult um die Verstorbene. Doch die Begegnung mit der Tänzerin Marietta stellt sein Leben auf den Kopf: Zum Spiegel seiner Sehnsüchte wird ihm die junge Frau, auf die er die »Wiederkehr« seiner verstorbenen Gattin projiziert. Realität und Wahnsinn nicht mehr unterscheidend, singt Paul: »Du Überlebendes von ihrer Schönheit, so wirst du wieder hold erstehn? So werd ich wieder, schimmernd auf weißer Stirn, das Goldgelocke leuchten sehn?«

Erich Wolfgang Korngold, »Die tote Stadt«


Oper

Operngala

Das richtige Auge für die Bühne

Der »Phoenix-Preisträger-Award« des Gründers und Stifters der Stiftung Semperoper – Förderstiftung, Senator h. c. Rudi Häussler, geht in diesem Jahr zum ersten Mal an einen Bühnenbildner: Johannes Leiacker

Johannes Leiacker ist alles in einem: Bildender Künstler, Bühnenpragmatiker und ein unerschöpflicher Quell an Ideen. Er zählt weltweit zu den wichtigsten Bühnenbildner*innen der Gegenwart, der gleichermaßen im Musiktheater wie im Schauspiel zuhause ist. Seit mehr als 25 Jahren ist Johannes Leiacker regelmäßig als Bühnenbildner und Kostümbildner zu Gast an der Semperoper. Mit bisher zwölf Produktionen mit sechs verschiedenen Regisseur*innen, darunter in dieser Spielzeit »Norma« und »Rusalka«, gehört er zu den künstlerisch prägenden Partner*innen des Hauses.

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Der 1950 in Landshut geborene und in Regensburg aufgewachsene Künstler absolvierte zunächst eine Tischlerlehre, bevor er in Wiesbaden Design studierte. Dort erregte er bald mit Vorschlägen zur theatralen Raumgestaltung einer Übergangsspielstätte die Aufmerksamkeit des Staatstheaters und kam so zum ersten Mal mit Theater in Berührung. Seine ersten Stationen als Bühnenbildner waren das Nationaltheater Mannheim und das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen, wo u.a. seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dietrich W. Hilsdorf begann. Hinzu kamen bald weitere Arbeitspartnerschaften mit Regisseuren wie Peter Konwitschny, Christof Loy und Guy Joosten. Zweimal erhielt Johannes Leiacker die begehrte Auszeichnung zum Bühnenbildner des Jahres: 2009 für sein Bühnenbild zu »Tosca« in der Inszenierung von Philipp Himmelmann bei den Bregenzer Festspielen (das auch Schauplatz in dem »James Bond«-Film »Ein Quantum Trost« mit Daniel Craig wurde) und 2018 für den Raum für Brigitte Fassbaenders Inszenierung von Richard Strauss’ »Capriccio« an der Oper Frankfurt. 

Als Bühnen- und Kostümbildner versteht sich Johannes Leiacker immer als Teil eines Inszenierungsteams und sieht seine Aufgabe darin, Räume und Kostüme zu entwickeln, die den Figuren und ihrer Geschichte den richtigen Fokus geben.

Verliehen wird der Preis im Rahmen einer festlichen Operngala am 21. November 2021 mit dem Ensemble der Semperoper. Am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden wird der britische Dirigent Jonathan Darlington stehen, der zuletzt Gast am Hause bei der Produktion »Die Großherzogin von Gerolstein« war – für die Leiacker das Bühnenbild entworfen hatte. 

Juliane Schunke


Staatskapelle

Sonderkonzert

Eine Künstlerfreundschaft

Im Sonderkonzert zum 175. Geburtstag des Generalmusikdirektors Ernst von Schuch dirigiert Franz Welser-Möst Richard Strauss’ »Don Quixote« im Kulturpalast

Über 40 Jahre lang prägte der am 23. November 1846 in Graz geborene Ernst von Schuch die Dresdner Oper und die Königliche Kapelle. »Entdeckt« wurde Schuch bei einem Gastspiel mit einer italienischen Operntruppe 1872 in Dresden. Franz Schubert, der frühere Konzertmeister der Kapelle, erinnerte sich an dieses Ereignis, bei dem der »junge, unbekannte, geniale Dirigent den meisten Enthusiasmus und Beifall beim Publikum auslöste, der sogar, trotz der alten, vergilbten, mit allen möglichen und unmöglichen Sprüngen durchzogenen Orchesterstimmen, eine Aufführung ohne jede Probe wagte, und sich durch diesen Vertrauensbeweis die Sympathien aller Herren des Orchesters mit einem Schlage eroberte«. Quasi vom Fleck weg engagierte man den damals 26-Jährigen als Musikdirektor des Königlichen Hoftheaters und beförderte ihn schließlich 1889 zum Generalmusikdirektor.

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Auch Richard Strauss lobte Schuchs Meisterschaft als »diskreter Begleiter« – Schuch machte im Gegenzug Dresden mit den Strauss’schen Tondichtungen vertraut, bevor er hier die Strauss-Opern »Feuersnot«, »Salome«, »Elektra« und »Der Rosenkavalier« aus der Taufe hob. »Meinen Werken ist er ein Mitschöpfer geworden durch die unbegrenzte Einfühlung, die er ihnen bei der Einstudierung angedeihen ließ«, so Richard Strauss. »Er verstand, unausgesprochen, jede meiner Bitten; ein Blick genügte in der Regel. Wir sahen uns in den Proben an, ich nickte mit dem Kopf – oder er, je nachdem –, und das Verstehen war da!«

Mit seinem Wirken führte Ernst von Schuch die Dresdner Hofkapelle ins 20. Jahrhundert. Unter seiner Leitung fanden beachtlich viele Ur- und Erstaufführungen statt, auch die ersten Dresdner Aufführungen von Richard Wagners »Tristan und Isolde« und »Der Ring des Nibelungen« sowie zahlreicher Opern von Giuseppe Verdi realisierte er an der Hofoper. Seine Konzertprogramme führten neben dem zentralen Schwerpunkt auf das Schaffen von Richard Strauss die Namen zahlreicher Zeitgenossen auf: So erklangen Werke von Liszt, Bruckner, Brahms, Mahler, Reger, Saint-Saëns, Debussy, Ravel, Skrjabin, Smetana, Dvořák und Sibelius. Strauss’ »Don Quixote«, die fantastischen Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters, setzte Schuch am 17. Januar 1902 erstmals auf das Programm eines Symphoniekonzertes. Schon für die Folgeaufführung im Jahr 1915 trat Richard Strauss selbst ans Pult der Kapelle. Die Tondichtung auf Grundlage des in zwei Teilen erschienenen Romans »Don Quijote de la Mancha« von Miguel de Cervantes bildet nun das Hauptwerk des Sonderkonzerts anlässlich des 175. Geburtstages von Ernst von Schuch – und feiert dabei diese besondere Künstlerfreundschaft.

Anne Nicolai


Staatskapelle

Staatskapelle

Vergessene Vielfalt

Die Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle präsentiert am 3. November 2021 ein Programm mit herausragenden, aber selten zu hörenden Werken jüdischer Komponisten aus den 1920er- bis 1940er-Jahren

Die politisch bewegte Zeit der Weimarer Republik brachte musikalisch eine Phase ungeheurer Vielfalt: Von Arnold Schönbergs Zwölftontechnik über die Opern Erich Wolfgang Korngolds bis zu Kurt Weills Songs für die Bühnenwerke Bertolt Brechts war die kreative Explosion der Zwischenkriegszeit vom Wirken jüdischer Komponist*innen geprägt. Viele sind heute zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Aus Anlass des Festjahres »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« widmet die Sächsische Staatskapelle fünf von ihnen nun einen besonderen Kammerabend in der Semperoper.

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Pavel Haas, Gideon Klein, Hans Krása, Erwin Schulhoff und Viktor Ullmann stehen stellvertretend für die enorme Bandbreite jüdischen Komponierens in den 1920er- bis 1940er-Jahren. Erwin Schulhoff, der in Leipzig bei Max Reger studiert hatte und sich nach dem Ersten Weltkrieg zunächst in Dresden niederließ, verband Einflüsse aus dem Jazz und der Neuen Sachlichkeit zu einem anspruchsvoll modernen, aber zugänglichen Stil. Die 1898 bzw. 1899 geborenen Komponisten Pavel Haas, Hans Krása und Viktor Ullmann dagegen entwickelten Einflüsse aus dem Umfeld von Arnold Schönberg und Alexander  Zemlinsky zu hochpersönlichen Klangsprachen, die auch vor Ironie und Groteske nicht Halt machten. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurden jüdische Komponist*innen aus dem offiziellen Musikleben verdrängt, sie selbst vom NS-Regime verfolgt. Wer sich nicht wie Schönberg, Korngold und Weill ins Exil retten konnte, verlor sein Hab und Gut, seine Freiheit und sein Leben, darunter auch Haas, Klein, Krása, Schulhoff und Ullmann. Aber selbst unter den unmenschlichen Bedingungen der NS-Diktatur konnten sie ihre Kreativität behaupten. Die vorwärtstreibenden Rhythmen und die avancierte Harmonik in Gideon Kleins Divertimento für Bläseroktett entstanden 1939 unter dem Eindruck der deutschen Besatzung der Tschechoslowakei. Viktor Ullmann rang der Lagerhaft in Theresienstadt sein letztes Meisterwerk, das hochkonzentrierte Dritte Streichquartett ab.

Allzu oft haben die Nachwirkungen der NS-Verfolgung jedoch die künstlerischen Leistungen dieser und anderer jüdischer Komponist*innen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an den Rand des Repertoires gedrängt. Umso mehr ist es deshalb an der Zeit, die Vielstimmigkeit, Experimentierfreude und Humanität, die in ihren Werken ihren Ausdruck findet, im Konzert wiederaufleben zu lassen.

Christoph Dennerlein

Abgestaubt

Abgestaubt

Ein prägender Eindruck!

In den »Semper!«-Ausgaben dieser Spielzeit »entstauben« wir für Sie ein seltenes, historisches Fotokonvolut und geben Einblick, wie wir verblassender Geschichte detektivisch »auf die Schliche« kommen …

Das hier abgebildete Foto mit dem malerisch drapierten, fast antik anmutenden Damenreigen ist eines von 13 zusammengehörenden Fotos, deren historischer Kontext erschlossen werden soll. Wann wurde es aufgenommen? Welches Werk, welche Inszenierung ist abgebildet und wer verkörpert welche Rolle? Um Licht in das Dunkel der Vergangenheit zu bringen, ist das Untersuchungsobjekt Schritt für Schritt unter die Lupe zu nehmen. Dabei fällt ein wichtiges Indiz sofort ins Auge: Am rechten unteren Rand des Bildes sind einzelne Großbuchstaben zu sehen. Der Teil eines Prägestempels verweist auf die Urheberschaft des Bildes und offenbart sowohl den Namen als auch die Anschrift: URSULA RICHTER DRESDEN WINCKELMANNSTR. 29.

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Die Künstlerin Ursula Richter ist im Historischen Archiv der Sächsischen Staatstheater keine Unbekannte. Im hiesigen Bestand befindet sich eine Vielzahl ihrer fotografischen Arbeiten – neben wertvollen Originalabzügen auch etliche Abbildungen von Aufnahmen, die in den Programmheften der Staatstheater vor allem in den 1920er- und 1930er-Jahren veröffentlicht wurden. Dieses Wissen hilft uns, das mutmaßliche Aufnahmedatum des Konvolutes deutlich einzugrenzen.

Als eine der wenigen Frauen hinter der Kamera galt Ursula Richter in der Dresdner Geschichte der Fotografie als prägende Persönlichkeit. Obwohl Autodidaktin, unterhielt sie ab 1914 ein eigenes Fotoatelier in der Nähe des Hauptbahnhofs. Neben herkömmlichen Porträtfotos von Bühnenkünstler*innen des Schauspiels und der Oper spezialisierte sie sich auf Bewegungsstudien, die ihre besondere Fähigkeit offenbarten, Theater- und vor allem Tanzszenen fotografisch zu erfassen. Eine wichtige Herausforderung dieser neuen Lichtbildkunst lag darin, die tänzerische Bewegung, die Flüchtigkeit des Augenblicks auf ein statisches Abbild zu bannen. Inspirationen, die Ursula Richter u.a. durch die Zusammenarbeit mit der Ausdruckstänzerin und Choreografin Mary Wigman erhielt, ließ sie in ihre Arbeiten für die Sächsischen Staatstheater einfließen.

Auch im vorliegenden Bild berücksichtigte sie die ästhetischen Grundformeln der Ausdrucksfotografie: Die Tänzerinnen sind vor einem schlichten Hintergrund positioniert, symmetrisch aufgereiht, in ähnlicher Pose, sich an den Händen berührend. Auf die visuelle Einbeziehung von szenischem Beiwerk, von Kulissen und Requisiten, wurde in der Bildkomposition nahezu verzichtet. Der Fokus liegt auf den Kontrasten von Hell und Dunkel, sodass die Figuren und Formen besonders einprägsam exponiert werden. 

Diese wichtigen Erkenntnisse über die Arbeitsweise der Urheberin fließen direkt in den Erschließungsprozess des gesamten Fotokonvolutes ein. Trotzdem wissen wir noch immer nicht, ob es sich bei der Fotografie dieser Tanzszene tatsächlich um eine Ballettproduktion handelt oder nicht doch um eine choreografische Einlage in einer Oper. Wen verkörpern diese Damen? An welchem Ort und in welchem Kontext findet diese Szene statt? In den nächsten »Abgestaubt«-Episoden wird es Antworten geben …

Katrin Böhnisch

Oper

Oper

Zwischen Spiel und Wirklichkeit

Im November ist der Krimi-Operndoppelabend »Cavalleria rusticana« / »Pagliacci« in der Inszenierung von Philipp Stölzl wieder in der Semperoper zu erleben

Liebe, Eifersucht, Verrat und tödlicher Hass stehen im Fokus der beiden Kurzopern »Cavalleria rusticana« und »Pagliacci« (»Der Bajazzo«). Eingebettet in die Welt einer sizilianischen Dorfgemeinschaft erzählt Pietro Mascagnis 1890 uraufgeführter Einakter »Cavalleria rusticana« von einer tragischen Dreiecksgeschichte, die in einem gefährlichen Streit eskaliert. Ruggero Leoncavallos »Pagliacci« von 1892 nimmt wiederum die Lebenswelt einer fahrenden Theatertruppe genauer in den Blick, in der die Ebenen zwischen Spiel und Wirklichkeit allmählich verschwimmen und der Clown Canio seine Ehefrau und deren Geliebten während einer Vorstellung ersticht.

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Beide Stücke, die sich der Stilrichtung des Verismo zuordnen lassen, werden oft zusammen in Form eines Doppelabends aufgeführt und bieten einen ungeschönten, musikalisch intensiven Blick auf die emotionalen Abgründe des Menschen in einem ärmlichen, von Traditionen bestimmten Milieu. Statt poetischer Verklärung von Helden und Göttern werden echte Menschen, deren Gefühle und soziale Realität in den Mittelpunkt gerückt. Diese psychologische Tiefe sowie die realistische Darstellung der Figuren boten die perfekte Vorlage für den filmisch denkenden Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl. Für seinen Doppelabend »Cavalleria rusticana«/»Pagliacci« wurde er von der Zeitschrift »Opernwelt« als Bühnenbildner des Jahres 2015 ausgezeichnet. Er erzählt die hochemotionalen Geschichten in der Optik eines großen Setzkastens. Das Besondere: Ähnlich wie im Kino und im Comic wird die Einheit von Zeit und Raum aufgelöst, filmische Schnitte werden auf der Opernbühne durch geschickte Verdunklungstechniken, Überblendungen und Close-ups plötzlich möglich und die Zuschauer*innen können vier Handlungsstränge gleichzeitig verfolgen. Philipp Stölzl, der auch als Filmregisseur erfolgreich ist und u.a. mit Filmen wie »Nordwand«, »Der Medicus« und aktuell mit »Schachnovelle« auf sich aufmerksam machte, zeigt so die Vorgeschichte, die Haupthandlung sowie Geschehnisse, die sich zeitgleich an anderen Orten abspielen. Während es bei »Cavalleria rusticana« die Schwarz-Weiß-Ästhetik früherer Stummfilme ist, die die Ausstattung prägt, ist es im Falle von »Pagliacci« eine grellbunte, expressionistische Welt des Theaters, die Stölzl zeigt.

Stücktrailer »Cavalleria rusticana / Pagliacci«

Zuschauerfrage

WANN KOMMEN DIE GREIFEN UND LYREN ZURÜCK AUF DAS DACH DER SEMPEROPER?

Jan Seeger, Technischer Direktor, antwortet:

Das wissen wir leider nicht genau. Die Greifen und Lyren sind noch die Originale von 1878 und entsprechend in einem schlechten Zustand, deshalb kann die restauratorische Aufarbeitung durchaus ein Jahr, also bis zum Sommer 2022, dauern.

Sie fragen, wir antworten: Schicken Sie uns Ihre Fragen rund um die Semperoper per Post an Semperoper Dresden, Kommunikation & Marketing, Theaterplatz 2, 01067 Dresden oder per E-Mail an marketing@semperoper.de

Education

Education

Von Sauerteig und singenden Zombies

Die Reihe »Oper mobil« der Semperoper Education startet mit drei mobilen Stücken in die KiTas und Schulen Dresdens und sorgt für einzigartige Musiktheatererlebnisse vor Ort

Egon mag es gern kühl, lebt in einem Schraubglas im untersten Fach meines Kühlschranks und muss nur einmal pro Woche gefüttert werden. Egon ist mein Sauerteig, den ich in einer Zeit von viel Homeoffice selbst angesetzt habe und seitdem hege und pflege. Wie viele andere Menschen auch, habe ich den Lockdown für Dinge genutzt, die ich schon lange machen wollte. Sei es die lang aufgeschobene Umgestaltung des Balkons oder das Ausmisten des Kleiderschranks – im Lockdown fanden viele von uns endlich Zeit für genau solche Dinge.

Was aber, wenn man in dieser Zeit, in der sämtliche Gastronomie- und Freizeiteinrichtungen geschlossen waren und der alltägliche Gang zum Supermarkt das Highlight des Tages war, nicht zuhause in den eigenen vier Wänden sein konnte? Wenn man in einer fremden Stadt gestrandet war, in der man niemanden kannte? Wo man das Stück »Blues Brothers« hätte proben sollen, das aber verschoben werden musste? Allein in einem Apartment, das man nur für die absolut notwendigsten Gänge verlassen durfte und in dem man stundenlang wie ein Zombie vor dem Fernseher saß?

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Die junge Sängerin Anna Overbeck erzählt in dem neuen Klassenzimmerstück »Können Zombies singen?« die Geschichte von ihrem eigenen Weg aus dem Lockdown-Blues. Mit viel Charme und Humor gibt sie »einen Einblick in eine ganz persönliche Corona-Geschichte, in der sich der eine oder die andere bestimmt wiederfinden wird.« Sie selbst beschreibt das Stück als ungefiltert, ehrlich und mutig. Die Schüler*innen dürfen auf Impulse gespannt sein, die zum Nachdenken anregen, und sind eingeladen, im Anschluss an die Vorstellung mit Anna ins Gespräch zu kommen. »Ich mag Direktheit und Nähe. Und ich freue mich auf die Meinungen junger Menschen, denen ich meine Geschichte erzählen darf.«

Mit diesem neu kreierten Klassenzimmerstück startet die Reihe »Oper Mobil« der Semperoper Education in die Spielzeit 2021/22 und tourt damit durch weiterführende Schulen im gesamten Stadtgebiet. Die Reihe wird durch das Stück »Oper Ahoi!« ergänzt, das nach zweijähriger Zwangspause nun endlich wieder live Musiktheater in die Grundschulen Dresdens bringt. Und auch die kleinsten Dresdner*innen in den zahlreichen KiTas und Kindergärten dürfen sich auf die Wiederaufnahme des Kindergartenstücks »Nils Karlsson Däumling« von Thierry Tidrow freuen, das nach dem erfolgreichen Start im Frühjahr 2021 in diesem Jahr sogar über die Stadtgrenzen hinaus zu hören und zu sehen ist.

An dieser Stelle ein besonderer Dank an alle Förder*innen, die in den vergangenen zwei Jahren dem Spendenaufruf der Semperoper Education zur Finanzierung neuer Vermittlungsformate gefolgt sind. Durch die großzügigen Spenden war und ist es möglich, die mobilen Opern direkt zu den Kindern und Jugendlichen zu bringen und ihnen einen ganz besonderen Musiktheatermoment zu schenken. 

Katrin Meraner


Opernvogel

Opernvogel

Geselliger Geselle

Er liebt die Geselligkeit und lebt in direkter Nachbarschaft mit den Menschen: der Haussperling, kurz Spatz genannt. Kein Wunder also, dass er vielfach Eingang in Sprichwörter und Geschichten gefunden hat und in dieser Ausgabe als Opernvogel für eine in Paris spielende beliebte Oper daherkommt! So gesellig, wie es in der Bohème-Wohngemeinschaft der Künstler Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline zugeht, so gesellig scheint das Spatzenleben zu sein: Er brütet gern in Gemeinschaft mit anderen Spatzen-Paaren und baut seine Nester in Nischen, vorzugsweise an Gebäuden, Büschen und Baumhöhlen. Bei der Nahrungsaufnahme kommen die 14 bis 16 Zentimeter großen Tiere vor allem in Städten den Menschen sehr nahe, bedienen sich gern an Brotkrümeln und anderen menschlichen »Hinterlassenschaften« und gelten dort, obwohl sie eigentlich Vegetarier sind, als Allesfresser. Obwohl der Spatz zu den Singvögeln gehört, ist es mit seiner Gesangskunst nicht sehr weit her. Sein typisches Tschilpen aber ist dennoch ein sympathisches Geräusch, ob in Dresden, Paris oder anderswo …

Giacomo Puccini, »La bohème«


Besonderer Moment

Lieblingsmoment

Es ist das höchste der Gefühle,

wie Papagena und Papageno in Mozarts »Die Zauberflöte« ihren Kinderwunsch besingen und in der Inszenierung von Josef E. Köpplinger plötzlich acht Kinder in Eierkostümen auf die Bühne sausen und einen Tanz vollführen. So schnell werden Träume im Theater wahr … Es war ein aufwendiger Prozess, bis die »Materialfrage« für die besonderen Kostüme gelöst war. Die für jedes Kind maßgefertigte Konstruktion wird durch fünf Reifen im Inneren des Eis gehalten und mit einem Nylon-Gazestoff umspannt. Ein besonderer Clou, wenn geplanterweise eines der Eier gegen die Wand läuft und entzwei springt, wird durch ein magnetisches Kopfteil möglich, das sich ganz einfach abwerfen lässt. Jedes einzelne Kostüm-Ei kostete unser vierköpfiges Team in der Produktion etwa 120 Stunden – ein großer Moment, die eigens angefertigten Kostüme in der Generalprobe endlich zum Leben erweckt auf der Bühne zu erleben! Beate Ray, Gewandmeisterin

Wolfgang Amadeus Mozart, »Die Zauberflöte«


Premierenrezept

Premierenrezept

Die Guten ins Töpfchen

Indisches Linsengericht – Premierenrezept »La Cenerentola«

ZUTATEN
1 Zimtstange, je knapp 1 TL Korianderkörner, schwarze Pfefferkörner, Kreuzkümmel, Sternanis, 2-3 Kapseln grüner Kardamom, Currypulver, Kurkuma (gemahlen), 2-3 Zwiebeln, 1 Knoblauchzehe, 1 rote Chili, 1 Stück Ingwer (ca. 30g), 1,2l Gemüsefond, 3 EL Öl, 400g rote Linsen, 7g Curryblätter (getrocknet), 250ml Kokosmilch, Salz, 4 EL Limettensaft

Auch wenn sie in der Oper »La Cenerentola« tatsächlich nicht vorkommen, so spielen Linsen in der der Oper dienenden Vorlage vom »Aschenputtel« eine entscheidende Rolle. Erst wenn dank der fleißigen Täubchen »die Guten im Töpfchen, die Schlechten im Kröpfchen« gelandet sind, kann Aschenputtel die Küche verlassen und heimlich den Ball des Prinzen besuchen. Was liegt also näher, als unser Premierenrezept den vielfältig verwendbaren Hülsenfrüchten zu widmen? Entschieden haben wir uns für ein würziges, indisches Linsen-Dal,  wozu gebratener Fisch oder (vegetarisch) Halloumi sehr gut passen.

Zunächst werden die Gewürze, bis auf Currypulver und Kurkuma, in einer Pfanne ohne Öl geröstet, bis sie angenehm duften, und danach im Mörser zerstoßen. Zwiebeln, Knoblauch und Chili werden nach dem Putzen in feine Ringe geschnitten, der Ingwer fein gewürfelt und das Gemüse in Öl glasig gedünstet. Linsen dazugeben, mit Kurkuma und Curry bestäuben, einen Esslöffel der gerösteten Gewürzmischung hinzugeben, die Curryblätter ebenso, und den erhitzten Gemüsefond aufgießen. Bei mittlerer Hitze circa 15 bis 20 Minuten kochen, bis die Linsen fast gar sind. Anschließend die Kokosmilch hinzu gießen und weitere wenige Minuten kochen lassen. Mit Salz und Limettensaft abschmecken – fertig ist das Linsen-Dal!

Susanne Springer

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