Oper

The Toxic Avenger

David Bryan und Joe DiPietro

Der Rächer der Vermüllten – Rock-Musical Nach dem gleichnamigen Film von Lloyd Kaufman. Musik von David Bryan, Buch von Joe DiPietro, Gesangstexte von David Bryan und Joe DiPietro, Deutsch von Sabine Ruflair (Gesangstexte) und Jürgen Hartmann (Dialoge)

Premiere 16. Juni 2023

Ab 14 Jahren. In deutscher Sprache

Info
  • 19:00 – 21:20 Uhr
  • Eine Pause

  • Ort: Semper Zwei

  • Die Abendkasse in Semper Zwei öffnet 30 min vor Vorstellungsbeginn.
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                Stück-Info

                In Traumaville (New Jersey) ist der Notstand ausgebrochen: Die Stadt erstickt im Müll und ist zur Bedrohung für ihre Bewohner*innen geworden. Und statt aufzuräumen, scheffelt sich die Bürgermeisterin der Stadt, Babs Belgoody, mit den Giftmülldeponien allerorts jede Menge Geld in ihre eigenen Taschen. Doch Rettung naht. Ausgerechnet der schüchterne Melvin Mark von Quark, durch einen Giftmüll-Unfall zum grünen Superhelden mutiert, beschließt, die Stadt zu retten und dabei auch gleich noch das Herz der blinden Bibliothekarin Sarah zu gewinnen. Das rasante und energiegeladene Rock-Musical von »Bon Jovi«-Keyboarder David Bryan und Joe DiPietro wurde 2009 in New York uraufgeführt. 2023 rockt der Toxic Avenger in seinem Kampf für Gerechtigkeit, Toleranz und den Schutz der Umwelt mit großartigen Songs in Ohrwurmqualität, romantischen Balladen und jeder Menge Witz die Bühne von Semper Zwei.

                Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass während der Vorstellungen »The Toxic Avenger« ein Lärmpegel von 105 dB erreicht wird.

                Handlung

                Eine Stadt erstickt im Müll. Traumaville (New Jersey), Nachbarstadt der großen Stadt New York, ist zur Bedrohung für seine Bewohner geworden. Der junge und schüchterne Melvin Mark von Quark beschließt, die Stadt zu retten und vom Müll zu befreien. Um die Hintergründe dieser Müllkatastrophe herauszufinden, forscht er in der städtischen Bibliothek nach. Dort trifft er auf die hübsche, aber blinde Bibliothekarin Sarah, in die er schon lange heimlich verliebt ist – sie leider nicht in ihn. In den Unterlagen der Stadt findet er schockierende Hinweise darauf, dass die Bürgermeisterin Traumavilles, Babs Belgoody, die Stadt mit illegalen Geschäften langsam aber sicher in eine riesige Giftmülldeponie verwandelt und daran auch noch ordentlich verdient. Melvin beschließt, der Bürgermeisterin das Handwerk zu legen. Er konfrontiert sie mit seinen Beweisen. Reumütig verspricht sie, alles in Ordnung zu bringen und stellt Melvin sogar als ihren Referenten ein. Arglos glaubt ihr der junge Mann. Hinter seinem Rücken beauftragt Belgoody zwei üble Schläger, Melvin aus dem Weg zu räumen. Sie lauern ihm auf und stopfen ihn in ein Fass mit Giftmüll. Doch statt zu sterben, verwandelt er sich in einen übermenschlich großen, monstermäßigen Superhelden, der als erstes Sarah aus den Fängen der Schläger befreit. Sie verliebt sich augenblicklich in ihn, nennt ihn zärtlich Toxie, aber sie darf ihn nicht berühren. Er berichtet ihr, dass er auf einer besonderen Mission ist, um die ganze Stadt vom Müll zu befreien. Mit rabiaten Methoden räumt er gründlich auf mit allen Umweltverschmutzer*innen, Schlägern und korrupten Geschäftsleuten – doch damit kommt er der Bürgermeisterin eindeutig in die Quere. Mit Hilfe von Sarah überlebt Toxie ein Attentat der Bürgermeisterin und wird schließlich sogar zum neuen Bürgermeister gewählt. Sarah heiratet ihn, und sie bekommen ein grünes Kind.

                Werkeinführung

                Ein grünes, überaus liebenswertes Monster rockt in »The Toxic Avenger – Der Rächer der Vermüllten« die Bühne von Semper Zwei. Das Musical von David Bryan und Joe DiPietro aus dem Jahr 2009 bringt einen ganz ungewöhnlichen Helden ins Spiel: Der unscheinbare Teenager Melvin wird von zwei Schlägertypen in eine Tonne mit Giftmüll gestopft. Aber er stirbt nicht, sondern kehrt als grüner Rächer Toxie zurück, der schwört, seine Heimatstadt Traumaville (New Jersey) von Giftmüll und Korruption zu befreien. Doch in der macht- und geldgeilen Bürgermeisterin Babs Belgoody hat er eine mächtige Gegenspielerin. In Szene gesetzt ist das temporeiche Rockmusical von Manfred Weiß auf der Studiobühne Semper Zwei und hält mit seiner spannenden Geschichte in Großstadtkulisse und einer fabelhaften Sänger*innenbesetzung beste Unterhaltung für alle bereit.

                Die Operndramaturg*innen Juliane Schunke und Martin Lühr geben zusätzlich zum Opernführer online im digitalen Programmheft »Toxies Blog« auf der Stückseite Informationen zu Werk und Entstehung.

                Porträtzeichnung der Dramaturgin Juliane Schunke
                Juliane Schunke, Dramaturgin; Zeichnung nach einem Foto von Ian Whalen

                Toxies Blog

                Toxies Blog

                Das digitale Programmheft

                Los geht’s!

                Rock’n’Roll trifft auf schwarzen Humor in »The Toxic Avenger« – nicht erst mit der Premiere, sondern schon jetzt: In den kommenden Wochen entsteht hier Stück für Stück das erste digitale Programmheft der Semperoper Dresden. Was es damit auf sich hat? Das erklärt Dramaturg Martin Lühr im Video. 

                Komponist: David Bryan

                Grußwort von David Bryan

                Geboren 1962. Komponist und Keyboarder aus New Jersey. Als Komponist verbindet er in seiner Musik Blues, Jazz und Rock’n’Roll. Neben vielen Live-Konzerten komponiert er seit 2002 auch Musicalproduktionen. Gemeinsam mit Joe DiPietro schrieb er zunächst den Broadway-Hit »Memphis«. Der in New Jersey spielende Trash-Film »The Toxic Avenger« aus dem Jahr 1984 inspirierte das Künstler-Duo zu einer erneuten Zusammenarbeit. Seit 2009 wird das gleichnamige Musical weltweit erfolgreich aufgeführt. Es ist eine witzig-kritische Hommage an ihrer beider Heimatstaat New Jersey. 

                David Bryan – Keyboarder und Gründungsmitglied von Bon Jovi, Singer-Songwriter, Komponist, Texter und Programmierer – wohnt in der Nähe der Ausfahrt 109 des Garden State Parkway in New Jersey, wo er geboren wurde und aufwuchs. Als junger Mann sah er »The Toxic Avenger« bei einer Mitternachtsvorstellung in Newark, und von diesem Tag an träumte er davon, ein Musical über den ersten mutierten Superhelden aus seinem Heimatstaat zu schreiben. Diese Show ist die Erfüllung dieses Traums. David hat neben seiner Mitwirkung bei Bon Jovi auch ein Soloalbum geschrieben und veröffentlicht, »Lunar Eclipse«. Außerdem begann er eine Karriere als Komponist und Texter von Musicals. Der Song »Memphis Lives In Me«, den er auf einem Bon Jovi-Album singt, stammt aus seinem Musical »Memphis«, das vier Tony Awards gewann, darunter als bestes Musical. Neben seinen Musiktheaterkompositionen und dem Schreiben mit seinen Bandkollegen Jon Bon Jovi und Richie Sambora schreibt David weiterhin für andere Künstler. 

                Textautor: Joe DiPietro

                Geboren 1961, Bühnenautor für Musical und Off-Broadwaystücke. Als Textdichter schreibt er viele Libretti für das Musiktheater; unter anderem schuf er den Text zu dem zwölf Jahre lang gespielten Erfolgs-Musical »I Love You, You’re Perfect, Now Change«. Material für neue Musicals findet er überall, sei es Georg Gershwins 20er-Jahre-Musical »Oh, Kay!«, aus dem er »Nice Work If You Can Get It« formte, oder Lloyd Kaufmans Trash-Film »The Toxic Avenger«. Nachdem Kaufman ihnen freie Hand in der Bearbeitung gegeben hatte, schufen die beiden ein Musical, in dem jeder Song das Publikum zum Lachen bringen wird. 

                Grußwort von Joe DiPietro

                Joe DiPietros Broadway-Hit »Memphis« gewann den Tony Award für das beste Musical und zwei weitere Tony Awards (Best Book of a Musical, Best Original Score). Joe ist an der Ausfahrt 166 in New Jersey geboren und aufgewachsen – und somit seit zwanzig Jahren ein »Toxic Avenger«-Fan. Joe schrieb Buch und Gesangstexte zu »I Love You, You’re Perfect, Now Change«, der am längsten laufenden Musical-Revue in der Geschichte New Yorks, die Hunderte von Produktionen im ganzen Land und auf der ganzen Welt hatte. Er schrieb auch Buch und Gesangstexte für das Broadway-Musical »All Shook Up« und das preisgekrönte Musical »The Thing About Men«, das international gespielt wurde. Zu seinen Stücken im Sprechtheater gehören der mit dem Edgar Award ausgezeichnete Krimi »The Art of Murder« sowie die langjährige Erfolgskomödie »Over the River and through the Woods«, die weltweit über hundert Produktionen erlebt hat und zu einem Spielfilm weiterentwickelt wird. Joe lebt in Manhattan und Connecticut, aber sein Herz wird immer in New Jersey bleiben.

                Die globale Erwärmung hat uns im Griff. Die Welt ist am Abgrund. In Zeiten wie diesen braucht man Helden.

                – »The Toxic Avenger – Der Rächer der Vermüllten« –

                Die Katastrophe von Love Canal

                Giftmüllverseuchte Städte, korrupte Politiker*innen, eine ahnungslose Bevölkerung, ein Held, der alle rettet – diese Kombination birgt wunderbaren Stoff für Filme und Musicals. Leider ist es aber auch traurige Realität, wie der Fall von Love Canal beweist.

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                Love Canal ist ein Bezirk der Stadt Niagara Falls im Bundesstaat New York, der etwa 740 Kilometer von New Jersey entfernt liegt. 1890 plante William T. Love eine Modellstadt. Ein künstlich angelegter Kanal wurde gegraben, um nachhaltige Energien aus Wasserkraft zu gewinnen, mit denen die Siedlung und die naheliegende Industrielandschaft versorgt werden sollten. Der Plan scheiterte. 

                In den 1920er Jahren begann die Stadt Niagara Falls, den Kanal als Mülldeponie für Haushalts- und Industrieabfälle zu nutzen. 1942 wurde die Gegend schließlich an das Chemieunternehmen Hooker Chemical verkauft, das 21.000 Tonnen giftige Chemikalien (wie Alkalien, Fettsäuren, Chlorkohlenwasserstoffe, Überreste von Pestiziden, Kunstharze und Lösungsmittel) in dem Kanal begrub. Schon damals standen viele der Substanzen unter dem Verdacht, krebserregend zu sein.

                Als die Stadt in den 1950er Jahren immer weiter anwuchs, wurde der Kanal mit Lehm versiegelt und man ließ buchstäblich Gras darüber wachsen. 1953 verkaufte Hooker Chemical das Grundstück an die örtliche Schulbehörde für 1 US-Dollar. Die Firma fügte dem Kaufvertrag noch eine Haftungsbeschränkungsklausel hinzu, dass sie im Fall von Schäden oder Todesfällen nicht verantwortlich sei. In dem Vertrag stand kein Wort über die vergrabenen Chemikalien. 

                Die Stadt Niagara Falls baute eine Schule und einen Spielplatz auf den ehemaligen Kanal und verkaufte die anliegenden Grundstücke, damit Wohnhäuser gebaut werden konnten. Während der Bauarbeiten im Jahr 1955 wurde die Lehmschicht, die den Kanal bedeckte, beschädigt. Doch erst nach einem harten Winter im Jahr 1977/78 mit viel Schnee und Regenfällen bahnte sich das chemieverseuchte Wasser des Kanals seinen Weg an die Erdoberfläche: Bäume starben ab. Das Wasser lief in die Keller der Häuser, Krater und Pfützen bildeten sich auf dem Schulgelände. Kinder, die in den Pfützen gespielt hatten, litten unter Hautausschlag und kamen mit tränenden Augen nach Hause. Zwei Kubikmeter Boden des Schulgeländes stürzten in die Tiefe und entblößten die zerfressenen Giftmüllfässer.

                Berichten zufolge gab es in der Region von Love Canal eine besorgniserregend hohe Anzahl von Fehlgeburten, Geburtsfehlern, Leukämie, DNA-Schäden und geistigen Behinderungen. Michael Brown, Reporter der Niagara Falls Gazette, schrieb über eines der vielen Opfer: »Sie hat eine Gaumenspalte, zwei Zahnreihen im Unterkiefer, Knochenschwund im Mittelohr, geschwächte Trommelfelle und der linke Nasengang ist von Knochen blockiert …«. Lois Gibbs, eine der Bewohnerinnen von Love Canal, wurde zur Anführerin der Proteste, die sich erhoben, als der Bevölkerung allmählich schwante, dass – entgegen der Beteuerung seitens der Politik – etwas nicht in Ordnung sei.

                Nachdem die Regierung sich weigerte, die Deponie räumen zu lassen, griffen die Bewohner*innen zum Äußersten und nahmen zwei Mitglieder der Umweltbehörde als Geisel, um die Aufmerksamkeit von Präsident Jimmy Carter zu wecken. Dieser erklärte das Drama von Love Canal zur nationalen Gesundheitskrise und sorgte dafür, dass die dort lebenden Familien umgesiedelt werden konnten. Der Räumungsplan beinhaltete zusätzlich, dass die Deponie mit Lehm und Kunststoff überzogen wurde. Zusätzlich wurde ein Abflusssystem gelegt, um auslaufende Chemikalien abzufangen. 1982 hatten beinahe alle Bewohner*innen Love Canal verlassen. Auch wenn Hooker Chemical nie eindeutig nachgewiesen werden konnte, dass es einen Zusammenhang zwischen Love Canal und den Krankheitsbildern der Bevölkerung gab, wurde die Firma dazu verurteilt, dem Staat New York die 400 Millionen Dollar Räumungskosten zu erstatten.

                Seit 1990 werden wieder Häuser in Love Canal zum Verkauf angeboten. Lois Gibbs kämpft seit über vierzig Jahren gegen Chemiemüll und seine Folgen an. Sie gründete das Center of Health, Environment and Justice. 2003 wurde sie für den Friedensnobelpreis nominiert.

                Julia Hoppe
                (Der Erstabdruck dieses Artikels erfolgte im Programmheft »Der Rächer der Verstrahlten – The Toxic Avenger«, Theater für Niedersachsen, Hildesheim, Spielzeit 2020/21) 

                Toxies Müll-Abfuhr

                Müll ist heutzutage ein immer größeres reales Problem und es wäre cool, wenn sich die Probleme mit der Umweltverschmutzung so schnell lösen ließen, wie auf der Theaterbühne. Dramaturg Martin Lühr fragt nach bei der Abfallwirtschaft Dresden, wie reale Institutionen dem Müll heutzutage eine Abfuhr erteilen.

                »Trash ist ein gigantisches Film-Universum«

                – Edna Ferbert –

                Man muss es so schlimm machen wie möglich!

                Im Interview finden sich die Filmspezialisten Robin Goldbach, Emil Huck und Alexander Stark, allesamt Mitarbeiter der Filmgalerie Phase IV e.V.  in der Dresdner Neustadt, zusammen und erzählen über das äußerst spannende, aber komplexe Thema des Trash-Films – ein Genre, dem Lloyd Kaufmans Klassiker »The Toxic Avenger« (1984) alle Ehre macht. Die Galerie gehört zu den größten Filmarchiven in Sachsen und hält 14.500 Filme für alle Film-Fans bereit, 162 davon allein im Regal »Trash/Schräg«.

                »The Toxic Avenger« ist zwar nicht der erste, aber der bekannteste Film aus dem Hause Troma Entertainment Inc., der Independent Film-Firma, die 1974 von Lloyd Kaufman und Michael Herz gegründet wurde. Was ist Trash?

                Emil »Trash« hat mit dem Regisseur Ed Wood begonnen, der als schlechtester Regisseur aller Zeiten bezeichnet wird. Er erlangte große Bekanntheit mit Filmen wie »Bride of the Monster« (»Die Rache des Würgers«) (1955) oder »Plan 9 from Outer Space« (1959). Gezeigt wurden diese Filme oft als der B-Film in einem Double Feature im Kino. Zum Preis von einem konnte man nach dem Big-Budget-A-Film noch einen Low-Budget-B-Film sehen.

                Alexander Ed Wood hat den Trash aber eher unfreiwillig erfunden. Er wollte ernsthafte Filme mit Tiefgang machen, was aber total danebenging, zum Beispiel mit »Glen or Glenda« (1953). Das ist ein Film, der Travestie thematisiert und das in den 1950er Jahren! Wood war selber Cross-Dresser, spielte auch die Hauptrolle und warb mit diesem Film um mehr Toleranz. Aber er war einfach kein guter Regisseur. Es gab jede Menge technische und dramaturgische Fehler, unfreiwillige Komik und die Handlung war bizarr und komplett unlogisch. Wood hatte sehr große Ambitionen, wollte das unbedingt machen, konnte es aber nicht gut umsetzen. Und das ist eigentlich die Definition von Trash. Und heute sind seine Filme Kult und haben eine riesen Fanbase.

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                Robin Bei uns in der Galerie in unserem »Trash/Schräg«-Regal kommen Filme aus ganz unterschiedlichen Genres (Horror, Splatter, Science-Fiction) zusammen, die, wenn man genauer hinguckt, fast gar nichts miteinander zu tun haben. Unter »Trash/Schräg« sammeln wir vorrangig Filme, die entweder wirklich sehr schlecht gemacht sind oder auch sehr gute Filme, die aber inhaltlich und/oder in ihrer Machart einfach total abgedreht sind. Thematisch sind das vor allem Horrorfilme oder Filme, deren Plots einer sehr ausgelebten Fantasiewelt entspringen. Der Anspruch dieser Filme ist nicht, etwas Realistisches oder Bodenständiges zu zeigen, sondern in bestimmten Extremen wie Gewalt, Grusel und Absurdität das Vorhandene irgendwie immer weiter zu toppen. 

                Bezieht sich Trash im wahrsten Sinne des Wortes dann auch auf die Machart, vor allem die Unterfinanzierung eines solchen Films: nur die einfachsten Mittel, lauter selbstgebastelte Requisiten etc.? Und wie passt »The Toxic Avenger« da hinein?

                Robin Auf jeden Fall. Also auch gerade bei Ed Wood, er hatte einfach kein Geld und so sehen die Filme auch aus. Auch »The Toxic Avenger« ist definitiv ein Low-Budget-Film gewesen. Aber es wurde eben auch nicht versteckt – im Gegenteil – und zum Markenzeichen der ganzen Firma. Kaufman und Herz wollten Lachen und Horror verbinden und hatten damit großen Erfolg. 

                Emil Zusätzlich fällt beim »Toxic Avenger« auf, dass offenbar viel draußen an frei zugänglichen Orten gedreht wurde, irgendwo halt, wo man nichts bezahlen musste. Oder auch in der Stadt, dann aber nachts und in irgendwelchen Seitenstraßen. 

                Robin Aber das heißt natürlich nicht, dass jeder Trash-Film immer billig produziert wurde oder gar kein Budget hatte. 

                Das klingt ja alles danach, dass hier der Mangel zum System gemacht wurde. Passierte das auch in Hinsicht auf Geschichte und Figuren? Waren diese Filme auch insgesamt bewusst gegen den Mainstream aus Hollywood gesetzt?

                Emil Die Troma-Filme sind alle per se übertrieben in jeder Hinsicht, die Geschichten, die Figuren, alles. Dort sind ja keine echten Menschen zu sehen. Das war eben die Nische, in der sich Leute – Filmemacher*innen wie Zuschauer*innen –, die sich dafür interessieren, ausleben konnten in ganz unterschiedliche Richtungen. Es ging nicht um anspruchsvolle Dramen, sondern um Unterhaltung. Und das generierte eine eigene, riesige Fangemeinde. Der erste wirklich bekannte Film von Troma Entertainment ist »Mother’s Day« (1980) von Charles Kaufman – dem Bruder von Lloyd Kaufman –, aber auch Filme wie »Class of Nuke ‘Em High« (1986) oder »Tromeo & Juliette« (1996), beide von Lloyd Kaufman, haben den Ruf der Marke Troma begründet. Die meisten Filme von Troma spielen übrigens im fiktiven Tromaville, wie auch »The Toxic Avenger«.

                Robin In der Folge weiterer Filme hat Lloyd Kaufman das Maß an Selbstironie und das bewusste Verwenden trashiger Mittel immer weiterentwickelt und sich dann selbst auch immer weiter übertrumpft mit noch mehr expliziter Gewalt, Ekel und Absurditäten nach dem Motto: Man muss es so schlimm machen, wie es nur geht. 

                Alexander Den Mangel an Geld bzw. die Einsicht, dass sich für solche Filme Fans finden lassen, haben dann Labels wie »The Asylum« genutzt und organsiert ›schlechte‹ Filme gedreht, die oft Hollywood-Blockbuster kopiert und abgewandelt haben z.B. die »Sharknado«-Reihe (2012-2018). Diese Filme werden dann, abgeändert von Blockbuster, »Mockbuster« genannt. Und auch Filme wie »Attack of the Killer Tomatoes« (1978) wurden bewusst gegen ein ganzes Genre, nämlich den Katastrophenfilm, gesetzt. »Attack of the Killer Tomatoes« war tatsächlich der erste Film in seiner Kategorie und ist Kult geworden, weil das Marketing verpasst hat, ihn als ›Verarsche‹ zu bewerben, sondern das Publikum ihn erstmal als seriösen Film wahrgenommen und sich dann ausführlich über die Thematik gewundert hat.

                Offenbar hat Toxie 1984 den Nerv des Publikums getroffen. Vergleichbar damit gibt es noch andere maskierte Helden, die sich in Selbstjustiz üben, wie 1990 Dark Man oder noch vor ihm 1987 Robocop, die ebenfalls am Rand oder sogar außerhalb der Legalität agieren. Was hat die Fans angesprochen?

                Robin Der Toxic Avenger ist ein Monster, aber eben ein gutes. Er hat Superheldenstatus und gleichzeitig ist er keiner, denn er tötet Menschen. Das machen Spiderman und Batman, die es ja als Comics schon lange vor dem Toxic Avenger gab, nicht. Und Toxie, der ist ein unangepasster Held, der, komplett überzogen, den Bösewichten einfach die Arme oder den Kopf ausreißt. Er ist gegen Korruption und Umweltverschmutzung und löst die Probleme auf seine Weise, indem er böse Menschen einfach umbringt. Er vereint beides, das Gute und das Böse, in sich und ist dabei aber auch selbstironisch und lustig. Und das war und ist niemals Mainstream gewesen und hat das Publikum fasziniert.

                Alexander Es war für die Zuschauenden auch eben von Anfang faszinierend, wie so ein Film gemacht ist. Wie kann sich jemand so etwas Krudes ausdenken und dann auch noch komplett durcharbeiten? Ein gutes Beispiel ist hier »The Room« (2003) von Tommy Wiseau. Hier kann man Fremdschämen kultivieren. Ich glaube, dass die Ästhetik eines unfreiwillig gescheiterten Kunstwerks eine ganz eigene, surreale Atmosphäre hat, etwas, das sich nicht bewusst produzieren lässt. Deshalb hat es einen gewissen Seltenheitswert und ist für die Zuschauer*innen ein exquisiter Genuss. Aber das kann nur funktionieren, weil Film ein langlebiges Medium ist. Ed Woods Filme wurden ja nicht schon zu seinen Lebzeiten berühmt, er starb als gescheiterter Künstler. Erst im Laufe der Jahrzehnte hat sich der Kult herausgebildet. Und die Sicht darauf, was Trash ist oder nicht, wandelt sich auch mit den sich verändernden Sehgewohnheiten des Publikums. Filme, die eigentlich gut sind, aber zu Zeiten produziert, als die ›practical effects‹ noch nicht so ausgereift waren wie heute, werden von heutigen Zuschauer*innen deshalb schon als Trash bezeichnet.

                Robin Im Fall von Toxie konnten die Fans jedenfalls nicht genug bekommen. Deshalb gibt es ja auch vier Teile, einer absurder und schräger als der andere. Wir haben hier in der Galerie nur den ersten Teil und der wird auch immer wieder gern ausgeliehen. Auch wenn man sich nicht explizit für Trash interessiert, stößt man doch wegen der vielen Zitate und tatsächlich wegen des großen Einflusses auf andere Filmemacher*innen immer wieder auf diesen Film. 

                Selbstironie und Komik kommen bei Lloyd Kaufman immer wieder vor. Gibt es im »Toxic Avenger« tatsächlich auch was zu lachen?

                Emil Total. Eigentlich sind fast alle Filme von Troma klare Komödien, ihre Figuren nehmen sich alle nicht so ernst und so ergeben sich auch im »Toxic Avenger« jede Menge lustige Situationen.

                Robin Dabei werden auch viele reale politische und gesellschaftliche Themen bzw. Probleme angesprochen, aber eben nie moralisch wertend. Alles wird nicht ganz ernstgenommen und sich über alles und jede*n lustig gemacht. Wer ist hier eigentlich der schlimmere Verbrecher? Toxie, der Menschen Arme ausreißt oder der Bürgermeister, der die Menschen absichtlich giftigem Müll aussetzt?

                Haben sich die Filmemacher*innen des Trash auch gegenseitig beeinflusst bzw. habe ihre Filme ein ästhetisches Echo hinterlassen? 

                Emil Auf jeden Fall. Viele heute sehr bekannte Regisseur*innen und Schauspieler*innen, z.B. Trey Parker, Jenna Fischer, Oliver Stone, Samuel L. Jackson oder Robert DeNiro haben bei Troma oder in deren Umfeld angefangen. Einer der aktuell angesagten Regisseure im Marvel-Universum, James Gunn, hat seine Anfänge bei Lloyd Kaufman gemacht. Er hat zum Beispiel die Drehbücher für »Tromeo & Juliette« oder »Terror Firmer« (1999) geschrieben. Und Gunn wiederum baut Lloyd Kaufman in jeden seiner Filme in irgendeiner Szene als Darsteller mit ein, zuletzt bei »Guardians of the Galaxy«.

                Alexander Vielleicht gäbe es auch ohne einen Film wie »Dark Star«, den Debütfilm von John Carpenter aus dem Jahr 1974, nicht solche Filme wie »Alien«. Denn Dan O’Bannon, der in »Dark Star« mitgespielt hat und sich eine Verfolgungsjagd mit einem aus einem Medizinball und zwei Gummilatschen bestehenden Außerirdischen liefert, ist später zum Drehbuchautor von »Alien« geworden und hat die Atmosphäre von »Dark Star« dort mit einfließen lassen. »Dark Star« ist definitiv ein trashiger Film, aber ich würde ihn als Avantgarde-Film des Sci-Fi-Horrors bezeichnen.

                Robin Auch in Kunstfilmen findet man eine Resonanz der Ästhetik bzw. der Herangehensweise von Trashfilmen. Da fällt mir vor allem der amerikanische Regisseur Giuseppe Andrews mit »Trailer Town« (2003) und »Garbanzo Gas« (2007) ein, deren Ästhetik einen extrem künstlerischen Anspruch mit einer völlig abgedrehten Story verbindet. Für »Garbanzo Gas«, der in einem Trailerpark spielt, hat er ausschließlich mit den Bewohner*innen dieses Parks, also alles Laiendarsteller*innen, gearbeitet. Er hat sicher sehr viele Filme gesehen und sich aber trotzdem seine ganz eigene Welt erschaffen. Wiederum ein großer Fan von Andrews’ Kunst ist die Regisseurin und Malerin Caroline Kopko, die zusammen mit Trevor Bather mit »Heavens Hands« (2021) eine Art Videocollage gedreht hat, der man die absichtlich billige Produktion des Materials sofort anmerkt und die zum Prinzip erhoben wird. Und diese Liste kann man sicher noch ewig fortsetzen.

                »The Toxic Avenger« ist und bleibt einer der bekanntesten Trash-Filme aller Zeiten und ist auch das Aushängeschild des Hauses Troma. Nach der Veröffentlichung des Films 1984 gab es eine große Welle an Merchandise-Artikeln, eigene Trickfilmserien und Comicbücher, und die Figur Toxie hatte einen riesigen Bekanntheitsgrad. Ist das heute auch noch so?

                Robin Auf jeden Fall. Die Figur Toxie ist ein bisschen wie das »Maskottchen« der Produktionsfirma geworden, die es ja auch bis heute gibt mit dem eigenem Streamingkanal »Troma now«. Alles, was mit Troma Entertainment zu tun hat, da taucht auch Toxie auf. 

                Emil Eines der letzten bzw. aktuellsten Beispiele ist ein kurzer Clip, »Toxie vs. Putin«, in dem der russische Angriffskrieg auf die Ukraine thematisiert wird und Toxie mit seinem Wischmopp einen Panzer ausschaltet. »The Toxic Avenger« war einer der ersten Kultfilme im Superhelden-Universum und ist das bis heute. 2024 kommt übrigens ein Remake davon mit Peter Dinklage in die Kinos und natürlich ist der Film dann auch in der Filmgalerie zu finden.

                Emil Huck (Foto links), 14 Jahre alt, Schüler und ehemaliger Praktikant in der Filmgalerie; schaut fast jeden Tag einen Film, ist schon seit Grundschultagen großer Filmfan und schaut heute vornehmlich Horrorfilme und Filme spezieller Genres.

                Robin Goldbach (Foto rechts), 26 Jahre alt, Kunststudent an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, schon lange Filmfan und schaut alles querbeet, vor allem gern Horror, ist aber immer neugierig und auf der Suche nach dem Neuen. Als Student arbeitet er nicht primär mit Film, aber die Ästhetik und Ikonografie von Filmen bzw. Anregungen und Ausschnitte fließen in seine Werke wie Collagen aus Fotos, Zeichnungen und kopierten Stücken mit ein.

                Alexander Stark (ohne Foto), 33 Jahre alt, studierte Geschichte sowie germanistische Sprach- und Medienwissenschaft und ist Ko-Leiter der Filmgalerie Phase IV in Dresden. Zudem ist er als freier Film- und Theaterkritiker tätig. Für den Phase IV e.V. kuratiert er in Dresden und Sachsen Filmreihen und organisiert Vorführungen mit Publikumsgesprächen. Außerdem ist er stets und ständig bemüht, sich eine Unzahl an Filmen anzusehen.

                Das besondere an der Filmgalerie Phase IV in der Dresdner Neustadt ist für mich ...

                Juliane Man kann sich hier durch den gesamten Film-Kanon der Kinogeschichte durchgucken und neben dem Autorenkino eines Werner Herzog oder Andreas Dresen solche Specials wie »The Toxic Avenger« finden, der sonst in Dresden nirgendwo zu kriegen ist. Daneben gibt es ein großes Angebot an Kinder- und Jugendfilmen und persönliche Empfehlungen der Mitarbeiter. Das Angebot wird von Alexander Stark und seinen Mitarbeiter*innen ständig erweitert. Also, hingehen!

                »Fantoxic!«

                – Lloyd Kaufman –

                Stückhandlung mal anders

                Seltsame Vorfälle häufen sich in der Stadt: Woher kommt der ganze Müll? Und wer brüllt in den Straßen, so dass die Bösen zittern und sich die Guten freuen? Im Video erfahrt ihr, was in Traumaville vor sich geht!

                Wie kam es zum »Toxic Avenger«?

                Joe DiPietro: »Es gab eigentlich kein bestimmtes Ereignis, das uns zu unserer Show inspiriert hat, obwohl die ›Love Canal‹-Geschichte zu der Zeit, als wir aufwuchsen, ein sehr berühmter Skandal im benachbarten New York war. Sowohl David Bryan als auch ich kommen aus New Jersey – und David lebt auch immer noch dort. 

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                Als klar war, dass wir den Kultfilm von Lloyd Kaufman in ein Musical verwandeln würden, mussten wir gar keine großen Nachforschungen nach aktuellen Umweltskandalen anstellen. Wir kennen beide die 197 km lange Autobahn des New Jersey Turnpike, eine der Hauptverkehrsstraßen des Bundesstaates, und dort steht eine Fabrik an der anderen und nur Gott weiß, wie viel und was für Schadstoffe die alle jeden Tag in die Luft blasen. Diese Straße ist unter anderem Schuld daran, dass New Jersey so einen ›giftigen‹ Ruf hat. Deshalb liegt unser fiktives Traumaville auch an der fiktiven Ausfahrt 13B direkt am Turnpike, ›wo es nach Pisse stinkt‹. ›The Toxic Avenger‹ wurde also nicht von einem bestimmten Vorfall, sondern von einem Stück verschmutzten Landes, in dem kein vernünftiger Mensch leben möchte, inspiriert. Und genau dort findet unsere Show statt. Willkommen in Traumaville, New Jersey!«


                New Jersey Turnpike

                Menschlichkeit, aus Müll geboren: Warum der Toxic Avenger der erste »neue Mann« ist

                »The Toxic Avenger« von Michael Herz und Lloyd Kaufman, erstmals zu sehen im Mai 1984, gehört zu den erstaunlichsten Filmen der 1980er Jahre. Erstaunlich zunächst wegen des unerhörten Erfolgs: Eine Low-Budget-Produktion aus einem B-Movie-Studio – Troma Entertainment –, das bis dahin vor allem Sexklamotten veröffentlicht hatte, wird nach kurzer Anlaufzeit zu einem viel gesehenen, belachten und bestaunten Kultfilm. Der titelgebende Mutant steigt zur Comic-Ikone auf – oder wie man heute sagen würde: zu einem Mem. Man sieht ihn auf T-Shirts und als Logo auf Skateboards; Toxic Avenger-Figuren erobern die Spielwarenläden. In den Achtzigern werden zwei Fortsetzungsfilme gedreht (ein weiterer im Jahr 2000, und ein Reboot ist noch für dieses Jahr 2023 angekündigt). Der Marvel Verlag kürt ihn zum Held einer Comic-Serie. In den Neunzigern kämpft der Toxic Avenger – wiederum ganz Marvel-gemäß – als Anführer einer eigenen Superheldenliga, der Toxic Crusaders, in einer Zeichentrickserie für Kinder. Woher kommt dieser Erfolg?

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                Vielleicht könnte man sagen: weil dieser Film eben im Jahr 1984 den Zeitgeist so perfekt wie kaum ein anderer trifft. Das gilt – erstens und in einem etwas engeren Sinne – für den Zeitgeist der Popkultur. »The Toxic Avenger« ist geprägt von Horror, Sex und Klamauk; die Verbindung dieser Genres ist typisch, aber auch neu in den frühen Achtzigerjahren. Die späten Siebziger sind vom Boom der Sexfilme und der Splatter- und Zombiefilme geprägt gewesen, es können in dieser Zeit gar nicht genug Tabus gebrochen werden, was die Darstellung von nackten Körpern bei der Kopulation oder was die Darstellung von verstümmelten, gequälten, zerstörten Körpern nach den Angriffen von menschenfressenden Zombies angeht. In den Achtzigern erleben diese Genres eine weitere Blüte. Mit der flächendeckenden Verbreitung von Videorekordern hat nun endlich auch jene Zielgruppe Zugang zu solchen Filmen, die sich am meisten für sie interessiert, aber bisher – wegen der Alterslimitierungen der Kinos – draußen bleiben musste: pubertierende Jugendliche zwischen 14 und 18. Zugleich verlieren die Splatter-Filme jenen grimmigen Ernst, der sie in den Siebzigern noch prägte: Mit einer klamaukigen Selbstreferentialität treten sie in die Ära der Postmoderne ein – und in das Feld der Massenkultur: beginnend mit dem ersten »The Evil Dead«-Film von Sam Raimi 1981; am deutlichsten in dem epochalen Video, das der »American Werewolf«-Regisseur John Landis für Michael Jacksons »Thriller«-Song dreht – erschienen im Dezember 1983, ein halbes Jahr vor der »Toxic Avenger«-Premiere.

                Die lustvollen Blicke dieser Filme und Videos auf sexualisierte und versehrte Körper verbindet »The Toxic Avenger« – zweitens – mit etwas, das ebenfalls typisch für die frühen Achtziger ist: mit der Lust am sportlich optimierten, fitten Körper. Fitness-Studios erleben in dieser Zeit einen enormen Boom, Aerobic wird zur Trend-Sportart. Zu Beginn des Films ist dessen Held, Melvin, ein schmächtiger Knabe, der als Putzkraft in einem Fitness-Studio arbeitet. Um ihn herum stählen Männer ihre Muskeln, und Frauen trimmen ihre Körper auf maximale sexuelle Attraktivität. Dazu läuft das Lied »Body Talk« von Sandy Farina, ein nicht mal notdürftig kaschiertes Plagiat von Olivia Newton-Johns großem Aerobic-Hit »Physical« aus dem Jahr 1981. Die körperoptimierten Menschen betrachten den muskellosen, sexuell unattraktiven Melvin als Müll, sie verspotten, diskriminieren, erniedrigen ihn. Das ändert sich erst, als Melvin auf der Flucht vor ihren Bedrängungen in eine Tonne mit chemischem Müll fällt – und sein Körper mutiert: Nunmehr ist er ein zombiehaft versehrter, aber unerhört starker Mutant, dessen Kräfte diejenigen seiner Peiniger unerreichbar übersteigern.

                Dies ist der dritte Aspekt, in dem »Toxic Avenger« den Zeitgeist der frühen Achtziger trifft. Der Film handelt von Körpern – und er handelt von Müll. Denn die Achtziger sind auch das Jahrzehnt des Mülls, des Abfalls und der (scheiternden) Entsorgung. Es endet die unbeschwerte Technik- und Fortschrittsgläubigkeit der unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnte, in denen man etwa glaubte, mit Atomenergie einer strahlenden Zukunft entgegenzugehen; es endet die Zeit, in der sich die Plastik-Einwegverpackung als übliche Darreichungsform für Lebensmittel zu etablieren begann. Nunmehr stellt sich die Frage: Wohin mit dem strahlenden Müll, der aus der Atomstromerzeugung zurückgeblieben ist? Wohin mit all dem Plastik, das nicht verrottet? Wohin mit den giftigen Abfällen aus den Chemie-Fabriken? 1983 werden in einem französischen Dorf 41 Fässer mit hochgiftigem Dioxinschlamm entdeckt, übrig geblieben von einem Unfall in der Chemiefabrik im italienischen Seveso. 1984 ereignet sich im indischen Bhopal das schlimmste Chemie-Unglück der bisherigen Geschichte: Aus einer Fabrik des US-Konzerns Union Carbide entweicht ein Giftgas; 20.000 Menschen sterben sofort, hunderttausende leiden unter Spätfolgen, neugeborene Kinder kommen mit Fehlbildungen zur Welt.

                Union Carbide Productions: So nennt sich eine Punkrock-Band, die im folgenden Jahr gegründet wird. Punkrock ist die prägende Jugendkultur der frühen Achtziger. Ihre Angehörigen inszenieren sich selber als Müll: als Abschaum, als Abfall der Gesellschaft. Punks wollen so aussehen, als ob sie auf Müllkippen leben; ihre Lieblingshaustiere sind Ratten; Johnny Rotten – Johnny Verfault – heißt der Impresario und Leadsänger der ersten prägenden Punkband, der Sex Pistols. Punks glauben, dass man in einer Welt der kapitalistischen Überproduktion den letzten Ort der Menschlichkeit gerade dort findet, wo sich die Überreste dieser Überproduktion sammeln. 

                In gewisser Hinsicht kann man sagen: Der Toxic Avenger ist einer von ihnen, er ist ein Punk. Er reift vom Schwächling zu einem selbstbewussten, kraftvollen Individuum durch die Kontamination mit Müll. Und er zeigt dabei die Dialektik des Mülls, des Giftigen auf. Er wird zwar als toxischer Rächer (»avenger«) betitelt, aber die wahren toxischen Männer sind jene, denen er sich entgegenstellt: jene Männer, die ihre Körper in den Fitness-Studios stählen und dabei ihren Charakter an die Erfordernisse der kapitalistischen Optimierungskultur anpassen – »Fitness« wird in den Achtzigern auch im neoliberalen Wirtschaftsleben zu einer zentralen Kategorie. Angestellte müssen fit sein, Firmen müssen fit sein. Fitte Menschen sind optimiert und wettbewerbsorientiert, sie erniedrigen alle, die ihnen schwächer erscheinen, im Glauben daran, dass ihnen die Welt gehört – gerade wie die Fieslinge in diesem Film. Gegen sie tritt der Toxic Avenger als Rächer der Diskriminierten, Schwachen und Marginalisierten an. Er schützt alle, die Schutz vor der Welt brauchen. Der Kontakt mit dem Müll, mit dem Gift, hat seinen Geist entgiftet und seinen Körper zu einem gemacht, der nicht in das Schönheitsbild der Fitness-Körper der Achtzigerjahre passt; und am Ende erscheint sein Körper – das ist der wahre Triumph dieses Films – interessanter und erotisch attraktiver als alle um ihn herum. In seiner Mischung aus Versehrtheit, Verletzlichkeit und daraus erwachsender Stärke wird der toxische Rächer zum Bild eines neuen, nicht-toxischen Mannes: zum Bild eines Menschen, der stärker ist als die Verhältnisse, die sich ihn zu unterwerfen versuchen.

                Jens Balzer ist Schriftsteller und Autor im Feuilleton von DIE ZEIT. Zu seinen Büchern gehört eine dreiteilige Pop- und Gesellschaftsgeschichte des Westens: »Das entfesselte Jahrzehnt. Sound und Geist der 70er« (2019), »High Energy. Die Achtziger – das pulsierende Jahrzehnt« (2021) und »No Limit. Die Neunziger – das Jahrzehnt der Freiheit« (2023, alle bei Rowohlt Berlin).

                Probeneinblicke

                Ein Held probiert sich aus

                Die Proben haben begonnen! Mit der Konzeptionsprobe traten am 8. Mai 2023 die Vorbereitungen für den »Toxic Avenger« in die heiße Phase der szenischen Umsetzung ein. Regisseur Manfred Weiß, das Ausstattungsteam Okarina Peter und Timo Dentler sowie der musikalische Leiter Alexander Hoetzinger haben ihre Vision dieses Musicals über den »Rächer der Vermüllten« präsentiert. Zum Sound eines Rockkonzerts wird es comichaft überzeichnet, sprachlich feingeschliffen und zynisch zugehen in Dresdens »Traumaville« in giftgrüner, fantoxischer Umgebung. Es wird frech, rockig, trashig!

                »Du Kuh!«

                Anna Overbeck singt Bürgermeisterin Babs Belgoody und Ma von Quark. Das ist grundsätzlich schon eine Herausforderung – aber wie geht das bitte, wenn beide Figuren gemeinsam ein Lied singen?! Ein Probeneinblick.

                »Rock rules!«

                Alexander Hoetzinger ist nicht nur der Schlagzeuger der Rockband für »The Toxic Avenger«, sondern leitet die Band auch noch vom Schlagzeug aus. Seit seinen frühsten Rock’n’Roll-Tagen trommelt und jammt Alexander was das Zeug hält in verschiedenen Bands und Formationen – und ist heute Chef seines eigenen Produktionsstudios in Berlin. Er erzählt, was das Besondere an einem Rock-Musical wie »The Toxic Avenger« ist. 

                Toxische Proben

                Auf der Probebühne zu »The Toxic Avenger« geht es schon Wochen vor der Premiere heiß her! Hier werden Dialoge entwickelt, die Gesangsnummern geprobt und die Choreografie einstudiert. Mit unermüdlichem Eifer arbeitet das ganze Team – auf und vor der Bühne – am Feinschliff. Die ganze Bandbreite solcher Proben sehen Sie in unseren exklusiven Einblicken – und, dass der Spaß dabei durchaus nicht zu kurz kommt! 

                Die Architektur von Traumaville

                Es ist soweit! Während auf der Probebühne noch fleißig gefeilt wird, entsteht auf Semper Zwei die Bühne für »The Toxic Avenger«. Bühnen- und Kostümbildnerin Okarina Peter ist dabei, wenn das Technik-Team von Semper Zwei vom Bühnenboden, über die Giftmülltonnen und die New-York-Skyline bis zur Beleuchtungstraverse eine ganze Stadt entstehen lässt. Und Dank Dramaturg Martin Lühr ist das Publikum hautnah – aber unfallsicher – mit dabei.

                Stummes Ende (1/11)

                Dresdner Erstaufführung
                David Bryan und Joe DiPietro
                The Toxic Avenger – Der Rächer der Vermüllten

                Rock-Musical
                Nach dem gleichnamigen Film von Lloyd Kaufman 
                Buch und Gesangstexte von Joe DiPietro
                Musik und Gesangstexte von David Bryan
                Deutsch von Sabine Ruflair (Gesangstexte) und Jürgen Hartmann (Dialoge)

                Orchestration und Arrangements von David Bryan und Christopher Jahnke
                Originalproduktion Off-Broadway von Jean Cheever und Tom Polum

                Premiere 16. Juni 2023
                Weitere Termine: Termine: 18., 21., 23., 25. & 28. Juni 2023

                Spieldauer: ca. 2h 20 Min., eine Pause
                Spielort: Semper Zwei

                Team
                Musikalische Leitung Alexander Hoetzinger
                Inszenierung Manfred Weiß
                Co-Regie und Choreografie Natalie Holtom
                Bühnenbild und Kostüm Timo Dentler, Okarina Peter
                Licht Marco Dietzel
                Dramaturgie Martin Lühr, Juliane Schunke

                Besetzung
                Melvin Mark von Quark / Toxie Lukas Witzel
                Sarah Lara Hofmann
                Bürgermeisterin Babs Belgoody / Ma von Quark Anna Overbeck
                Typ 1 Maren Somberg
                Typ 2 Markus Störk

                Die Band
                Keyboard Florian Kießling
                Schlagzeug Alexander Hoetzinger
                E-Bass Dirk Schmigotzki
                Gitarre Freddy Hau
                Saxophon & Flöte Noah Fischer

                Aufführungsrechte
                Die Übertragung der Aufführungsrechte erfolgt in Übereinkunft mit Music Theatre international Europe LTD, London durch die Musik und Bühne Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden.

                Studienleitung Johannes Wulff-Woesten
                Musikalische Einstudierung Alexander Bülow
                Musikalische Assistenz Leonard Martynek, Hans Sotin
                Regieassistenz und Abendspielleitung Kundry Rymon
                Regiehospitanz Judith Tuma
                Bühnenbildassistenz Katja Turtl
                Inspizienz Simon Rothe
                Soufflage Uta Mücksch/ Carmen Weber
                Künstlerische Produktionsleitung Lukas Kober
                Technischer Direktor Jan Seeger
                Assistentin des Technischen Direktors Juliane Reményi
                Technischer Produktionsleiter Arne Walther
                Assistenz der Technischen Direktion – Internationale Koproduktionen Jenny Wipprecht
                Leiter Bühnentechnik Paul Radicke
                Bühnenmeister Olaf Lehmann
                Leiter Licht – Audio – Video Fabio Antoci
                Beleuchtungsmeister Marco Dietzel
                Beleuchtung Mario Thiel
                Tonmeister Stefan Folprecht
                Tonmeister (extern) Alexander Semrow
                Ton Anne Pammler
                Leiterin Requisite Elisabeth Schröter-Kieß
                Requisite Saskia Wunsch
                Leiter Konstruktion Raphael Gwosch
                Direktor Dekorationswerkstätten Sven Schmidtgen
                Produktionsleitung Dekorationswerkstätten Martin Borrmeister
                Direktor Kostümwerkstätten Ralph Lederer
                Produktionsleitung Kostüm Frauke Spessert
                Kostümassistenz Monika Schröter
                Probenassistenz Kostüm Kate Bauch
                Chefmaskenbildnerin Heike Hannemann
                Stellvertretende Chefmaskenbildnerin Sarah Neumayer
                Maske Manuela Stephan, Sabine Marschall, Lily Glasza

                Herausgeber
                Staatsbetrieb Sächsische Staatstheater –
                Staatsoper Dresden
                Theaterplatz 2 | 01067 Dresden

                Geschäftsführung
                Peter Theiler, Intendant der Staatsoper
                Wolfgang Rothe, Kaufmännischer Geschäftsführer

                Die Staatsoper und das Staatsschauspiel Dresden
                bilden gemeinsam die Sächsischen Staatstheater.

                Premiere am 16. Juni 2023
                Spielzeit 2022/23

                Idee, Konzept und Redation »Toxies Blog«
                Martin Lühr, Juliane Schunke
                Gestaltung Conny Ledwig, Nadja Möller

                Textnachweis
                Die Grußworte von David Bryan (inkl. Video) und der Text von Jens Balzer »Menschlichkeit, aus Müll geboren« sind als Originalbeiträge für das digitale Programmheft entstanden. 
                Der Text »Die Katastrophe von Love Canal« von Julia Hoppe erschien zuerst im Programmheft »Der Rächer der Verstrahlten – The Toxic Avenger«, Theater für Niedersachsen, Hildesheim, Spielzeit 2020/21.

                Bild- und Videonachweis
                Alle Videos und deren Inhalte in »Toxies Blog« inklusive Textbeiträge sind als Originalbeiträge für die Produktion »The Toxic Avenger« 2023 entstanden 
                © Semperoper; Video: Dirk Lienig
                Verwendete Musik: »The Darkest Hour« by Francesco D’Andrea (Standard License Premium Beat)
                Fotos der Generalprobe am 15. Juni 2023 © Semperoper Dresden, Fotograf: Ludwig Olah


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