Interview
»Jeder, der kommt, wird bereichert nach Hause gehen!«
Ein Gespräch mit Mezzosopranistin Christa Mayer über Liedgesang und Oper
Christa Mayer ist vor allem bekannt durch zahlreiche Partien im Wagner-Repertoire, nicht nur in Dresden, sondern auch in Bayreuth und Salzburg, aber auch als Orlofsky in »Der Fledermaus«, in Verdi-Opern und zahlreichen Werken des Barock-Repertoires. Nun dürfen ihre Zuhörer*innen sie als Liedsängerin erleben.
Großes Orchester versus Flügel – wie unterscheidet sich Ihr Herangehen an diese unterschiedlichen Genres?
Christa Mayer Begonnen hat bei mir alles tatsächlich mit dem Liedgesang. In meinem Studium bin ich mit dem Lied- und Konzertrepertoire aufgewachsen, der Operngesang kam erst durch mein Engagement an der Semperoper hinzu. Auch die Wettbewerbe, an denen ich erfolgreich teilgenommen habe, waren ganz dem Liedgesang gewidmet: der Robert Schumann-Wettbewerb, die Richard Strauss-Plakette, auch beim ARD-Wettbewerb habe ich Mahlerlieder mit Orchesterbegleitung gesungen. Das hing mit meinem Stimmfach zusammen, ich hatte im Studium eine tiefe Altstimme (mittlerweile habe ich mich zu einem Mezzosopran entwickelt): in diesem Stimmfach ist das Opernrepertoire recht dünn, beziehungsweise sehr dramatisch. Da schützt man sich vor allem als junge Sängerin, weil durch den Lied- und Konzertgesang die Stimmentwicklung viel besser unterstützt wird. Aus diesem Grund ist mir Liedgesang unglaublich vertraut und war immer schon ganz vorrangig. Durch das Engagement an der Semperoper und mittlerweile 11 Jahre Bayreuther Festspiele hat das Wagner- und Strauss-Opernrepertoire immer größeren Raum eingenommen. Das Schöne ist, dass vor allem bei den Opern dieser beiden Komponisten auch die Sprache eine entscheidende Rolle spielt, wie beim Liedgesang ja auch. Diese Bandbreite, also zwischen Oper und Lied zu wechseln, zwischen Bach und Wagner, die mir bescheinigt wird, war bei Sänger*innen der 70er und 80er Jahre noch viel selbstverständlicher. Heute werden Sänger*innen viel eher in Schubladen »Oper« oder »Lied« und »Konzert« gesteckt, dagegen verwehre ich mich ein wenig. Ich habe eine Stimme mit verschiedenen Farben und Dynamiken und die kann ich für alles einsetzen.
Liegt Ihnen die Oper oder der Liedgesang mehr am Herzen?
Christa Mayer Der Liedgesang ist wie eine Miniatur an Gefühlszuständen, in einem Lied ist alles in beispielsweise drei Minuten gesagt, wo die große Oper einen viel längeren Zeitraum benötigt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Literatur, der Text von Liedern so hochwertig und komprimiert ist. Oper und Liedgesang aber liegen mir beide sehr am Herzen. Aber tatsächlich ist meine Erfahrung, dass das Publikum gerade bei der Gattung Lied, der kleinen musikalischen Form, sehr viel mitnehmen kann. Es geht um Liebe, Trauern, Traurigkeit, Freude, es ist für jeden etwas dabei und man kann so viel auf sein Leben übertragen. Jeder, der kommt, wird bereichert nach Hause gehen. Ich kann also nur zum Besuch von Liederabenden einladen und sagen »kommt – es wird euch ansprechen und die Herzen öffnen!«. In unserer immer lauteren, schnelleren Welt brauchen wir eine solche Unterstützung, das Lied an sich erzählt kleine Geschichten und bereichert uns ungemein. Ich kann nur alle einladen, sich auf das schöne Abenteuer Lied einzulassen!
Ist der Ausdruck im Liedgesang noch direkter, müssen Sie sich für den Liedgesang mehr »offenlegen«, als in der Oper?
Christa Mayer Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ich habe meine »Subtexte« zu den Liedern, aber das hört der Zuhörer nun peripher durch meine Stimmfarbe, meine Artikulation. Es ist eher für das Publikum entscheidend, was es durch den Liedvortrag mitnehmen kann. In der Oper werden die Zuschauer*innen visuell ganz anders mitgenommen, da gibt es viel mehr zu schauen. Beim Lied hört man eine Situation und kann sein Leben, seine Gedanken darin spiegeln, Trost, Kraft oder auch Schmunzeln spüren. Letztendlich muss sich der Zuhörer mehr offenlegen, wenn er sich darauf einlässt. Das ist wie eine kleine Seelenwanderung.
Ist es für die Stimme notwendig, zwischen den Genres zu wechseln?
Christa Mayer Der Wechsel zwischen den Genres ist für mich tatsächlich unabdingbar. Wie bei einem Sportler ist das Muskeltraining im besten Sinne. Wenn ich nur große Oper sänge, wäre das Muskeltraining zu eindimensional, als wenn ich verschiedene Repertoires singe und mehr Flexibilität trainiere. Dadurch, dass ich mittlerweile viele Jahre Oper singe, muss ich in der Vorbereitung eines Liederabends länger daran arbeiten, dass meine Stimme wieder zu dieser absoluten Ruhe zurückfindet, die ich für den Liedgesang benötige. So trainiere ich beispielsweise das Piano in allen Lagen, das ich für einen Liederabend noch zwingender benötige als für einen Opernabend. Liederabende sind einfach filigraner und das tut der Stimme in Abwechslung mit großer Oper gut.
Sie sind seit 2001 Ensemblemitglied des Sänger*innen-Ensembles der Semperoper, viele Ihrer Kolleg*innen wählen den Weg in die Freiberuflichkeit. Was sind Ihre Beweggründe, sich fest an unser Haus zu binden?
Christa Mayer Tatsächlich bin ich von meiner Entwicklung und meinem Leben her sehr gern einem Haus lange verbunden, zumal einem so hervorragenden Haus wie der Semperoper, das ist wie ein Sechser im Lotto. Ich war jetzt gerade wieder eine Woche in London und gleich anschließend eine Woche in Wrocław, das sind wunderbare Erfahrungen und musikalische Bereicherungen, aber ein Leben »nur« aus dem Koffer wäre nichts für mich. Das ist ein Leben auf der Überholspur der anderen Art, das muss man mögen. Insofern ist der Weg für mich, an einem Haus fest beschäftigt zu sein und dennoch immer wieder zu gastieren, genau der richtige.
Wie wichtig aber sind Erfahrungen mit anderen Ensembles/Häusern?
Christa Mayer Vor zwei Wochen war ich, wie gesagt, beim BBC Symphony Orchestra, das war eine beglückende Erfahrung, wir hatten ein sehr schweres Stück, hatten zwei Probentage, die waren so intensiv und versiert, dass wir wunderbar miteinander musizieren konnten. Vor allem aber tut mir – neben so beglückenden Erfahrungen wie jüngst in London – das Gastieren so gut, weil man meistens ganz frei und ohne bestehende Voreinschätzung beginnt zu arbeiten. In Dresden muss ich immer mal wieder – nach 18 Jahren – meine Schubladen öffnen, in die ich gesteckt werde, muss meinen Status Quo immer wieder erneuern und brechen. Auch wenn ich betonen muss, dass ich hier sehr, sehr geschätzt werde, anderswo ist man vielleicht mehr das unbeschriebene Blatt und damit ein wenig freier und fühlt sich »neu« und frisch. Diese Energie und Horizonterweiterung bringe ich dann wieder in mein Stammhaus, die Semperoper, zurück und damit haben wir eine klassische »Win-win-Situation«!
In Ihrem Liederabend werden Sie von dem renommierten Pianisten Helmut Deutsch begleitet, verbindet sie eine lange Zusammenarbeit?
Christa Mayer Helmut Deutsch war mein Professor an der Musikhochschule München für vier Jahre, er hat mich also bereits während meines Studiums betreut und begleitet, mich dann auch zu Meisterkursen geschickt, und wir haben auch nach meinem Studium Liederabende zusammen aufgeführt. Nun bin ich sehr glücklich, dass wir jetzt wieder die Gelegenheit haben, gemeinsam zu musizieren. Dabei haben wir das Lehrer-Schüler-Verhältnis seit bereits vielen Jahren hinter uns gelassen und konzertieren als Künstler sehr gern miteinander. Helmut Deutsch ist einfach ein hervorragender Pianist!
Was zeichnet eine gute Begleitung bei Liederabenden aus?
Christa Mayer Ich kann das tatsächlich am besten an Helmut Deutsch erklären: Sein Stil, an die Stücke heranzugehen, ist mir sehr vertraut, weil ich damit großgeworden bin. Er hat einen großen Impetus am Klavier, bei allen Feinheiten aber auch eine große Energie, keine Zurücknahme, ich spüre dadurch eine unglaubliche Unterstützung. Es gibt ja auch Pianisten, die unterstützen in der Zurücknahme, Helmut Deutsch unterstützt in beidem. Er bringt einen vorwärts und reißt einen mit und kann sich natürlich auch wunderbar zurücknehmen, wenn es die Literatur erfordert. Das kommt mir sehr entgegen, auch gerade für einen Raum wie die Semperoper, da möchte ich aus dem Klavier einen gewissen Boden spüren, den gibt mir Helmut Deutsch. Darüber hinaus sind wir beide sehr ähnlich, was die Ausdrucksart bezüglich des Textes, die Interpretation durch Sprache angeht. Das lieben wir beide sehr. Diese Art Sprachbehandlung ist mir dann wieder bei Christian Thielemann untergekommen. Und nicht zuletzt ist natürlich die Kommunikation wichtig, wo brauche ich einen Atem, wo brauche ich Zeit, da harmonieren wir hervorragend.
Haben Sie »Lieblingslieder«, die die Zuschauer*innen in diesem Liederabend hören werden?
Christa Mayer Die Kompositionen von Gustav Mahler gehören schon zu meinen Lieblingen, weil diese Lieder sich ein bisschen von selbst erzählen. Die Lieder ziehen die Zuhörer*innen in Bann. Beispielsweise das Lied »Nicht wiedersehen!« geht mir sehr zu Herzen. Es wird aber auch einige neue Stücke geben, die wir aufführen, beispielsweise die Lieder von Franz Liszt, die eine ungeheure Vielschichtigkeit haben und ganz viel Raum für verschiedene Empfindungen bieten. Die Kompositionen des Spaniers Xavier Montsalvatge sind sehr unterhaltsam, die werden dem Publikum sicher viel Vergnügen machen.
Auf welche Rolle auf der Opernbühne in nächster Zukunft freuen Sie sich am meisten?
Christa Mayer Ich freue mich sehr auf mein Debüt in der Rolle der Fricka in Bayreuth! Die Partie habe ich ja schon in der Semperoper und bei den Osterfestspielen in Salzburg gesungen und nun im Sommer in Bayreuth. Und natürlich freue ich mich auf die Partie der Suzuki ab Ende April, wenn wir hier in der Semperoper »Madama Butterfly« zur Premiere bringen. Diese Partie war eine meiner ersten Rollen hier am Haus, das war für mich damals ein wichtiger Schritt in die Italianità, in die Höhe. Dazu kommt, dass der anteilnehmende Charakter dieser Figur mir sehr entgegen kommt.
Liebe Christa Mayer, ich danke sehr für das Gespräch!
Die Fragen stellte Susanne Springer