Mit einem Hauch von Nostalgie

Daniele Gatti über seine Bewunderung für Giuseppe Verdis Falstaff

Falstaff ist Ihre erste Opernproduktion als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle und war ein ausdrücklicher Wunsch von Ihnen. Was schätzen Sie an diesem Werk?

Daniele Gatti — Da gibt es verschiedene Gründe und Aspekte. Falstaff ist eine Oper, die ich zu studieren begann, als ich am Konservatorium in Mailand war, und die ich im Laufe meiner Karriere mehrfach dirigiert habe. Es ist eine anspruchsvolle Oper, in der ich immer wieder Neues entdecke, so wie ich mich auch als Mensch weiterentwickle und verändere. Es gibt manchmal Stücke oder Opern, die einen zutiefst berühren.

Falstaff ist eine Studie des Menschlichen: Verdi gräbt tief in den Seelen der Figuren und zeichnet gekonnt die Charaktere nach. Das macht dieses Werk so modern und
zeitlos.

Für mich ist Falstaff eine der wichtigsten Opern des gesamten Repertoires. Es gibt nichts, was Falstaff vorausgeht, keine Verbindung zu einer der Vorgängeropern wie Otello oder Aida, und nichts, was folgt oder in die Fußstapfen von Falstaff tritt. Diese Oper nimmt eine singuläre Stellung im Schaffen Verdis und in der gesamten italienischen Opernliteratur ein, sie ist ein echtes Wunder.

Auf Anraten Arrigo Boitos hin wandte sich Verdi nach fünf Jahrzehnten tragischer Stoffe im Alter von fast 80 Jahren doch nochmal der Komödie zu. Wie ist das Verhältnis von Komik und Tragik in dieser Commedia lirica?

Es ist definitiv eine Komödie, eine ironische Oper. Wenn man sich die Partitur von Falstaff anschaut, gibt es neben Wortspielen auch viele musikalische Einfälle, die eine gewisse Komik erzeugen.

Es ist eine Komödie, aber mit einem Hauch von Nostalgie. Die Geschichte eines einsamen Mannes, Falstaff, der schon älter ist und viel erlebt hat, aber auch noch
Zeit vor sich hat. Der mit Wehmut auf sein dekadentes Leben zurückschaut und sich den Esprit seiner Jugend zurückwünscht. Natürlich gibt es viele Momente in dieser Oper – vor allem zu Beginn –, in denen man lachen kann, aber zum Beispiel Falstaffs Monolog „Mondo ladro. Mondo rubaldo“ zu Beginn des dritten Akts ist traurig und düster. Es ist einer der bewegendsten Momente der ganzen Oper.

Verdi selbst stand zum Zeitpunkt der Komposition schon fast am Ende seines Lebens. Er verweilte wieder öfter in Paris, damals die europäische Hauptstadt der Künste, traf dort auf bedeutende Persönlichkeiten und hatte die Gelegenheit, deutsche und französische Musik zu hören. Ich denke, Falstaff ist die Summe aller Erfahrungen, die er in seinem Leben gemacht hat. Er schrieb diese Oper quasi für sich selbst und entwickelte seine musikalische Sprache – vor allem im Hinblick auf die Harmonik – weiter.

Während Shakespeares Falstaff ein unsympathischer Trunkenbold ist, schufen Boito und Verdi einen fast liebenswerten Außenseiter, der am Ende sogar über sich selbst lachen kann …

Auf den ersten Blick denken die Leute oft, dass Falstaff eine Art „Clown“ ist, eine Witzfigur, über die sich alle lustig machen. Aber man darf nicht vergessen, dass er ein Sir war. Und dann hat ihn die Dekadenz, das Leben an den Rand der Gesellschaft gebracht.

Aber wenn Falstaff wirklich nur ein „Pancione“ (Dickwanst) wäre, der seine besten Jahre hinter sich hat, dann muss man sich fragen, warum Ford – der Ehemann von Alice, der in seiner besten Form ist und eine starke Persönlichkeit hat – eifersüchtig auf Falstaff ist. Er muss etwas an sich haben, das Ford nicht hat. In der zweiten Szene im zweiten Akt erleben wir Falstaff, wie er versucht, Alice zu umwerben, und aus seinem Mund kommen Worte von sehr eleganter und raffinierter Art, er hat als Mann eine gewisse Klasse, einen Stil, den Ford nicht hat.

In der Oper wird die Geschichte von drei Momenten der Liebe im Leben erzählt: Die junge Liebe zwischen Nannetta und Fenton, die sehr rein und in gewisser Weise naiv ist. Das ist ein sehr lyrischer Moment. Dann gibt es die Liebe zwischen Ford und Alice, Ehemann und Ehefrau, die vielleicht gerade in einer kleinen Krise stecken. Und schließlich die Liebe von Falstaff: Er will sich wieder lebendig fühlen, den Geist seiner Jugend wiederbeleben. Das sind Themen und Figuren, in denen jede*r von uns sich wiederfinden kann.

Falstaff ist ein Fuchs, der alle Arten von Untaten begeht … aber auf eine belustigende Weise. Er ist ein Typ! Sie sind so selten, die Typen! … Die Oper ist ganz und gar komisch! Amen.
Giuseppe Verdi an Gino Monaldi, 3. Dezember 1890

Am Ende erklingt eine der berühmtesten Fugen der Operngeschichte – dabei wird die Fuge als komplizierteste musikalische Form durch den Text „Tutto nel mondo è burla“ („Alles ist Spaß auf Erden!“) ironisch kontrastiert. Wer lacht hier zuletzt?

Die letzte Szene ist wahrscheinlich die schwierigste Szene des ganzen Stücks: Es ist zuerst eine fantastische, fantasmagorische Szene, die direkt aus dem Sommernachtstraum zu stammen scheint. Vor allem in der Orchestrierung sind deutlich die französischen Einflüsse eines Berlioz’, eines Bizets spürbar. Ich glaube, Verdi hat danach als Form die Fuge gewählt, um die Oper mit einem weniger dramatischen Stück zu beenden, denn die Fuge ist in gewisser Weise die strengste und vollkommenste Form in der Musik. Verdi hat sonst – außer vielleicht in der Schlachtszene in Macbeth – kaum eine Fuge verwendet.

Am Schluss wird natürlich alles aufgelöst, und die ganze Gemeinschaft nimmt daran teil, um, sagen wir mal, Falstaff eher am Ohr zu ziehen als ihn zu schlagen, um ihm eine Lektion zu erteilen: Du bist ein Teil der Gemeinschaft, du musst wissen, dass unsere Gemeinschaft dich willkommen heißt, aber dein Verhalten sollte so und so sein. Das allerletzte „Tutto nel mondo è burla“ richtet sich an die Zuschauerinnen und Zuschauer: Es ist der Abschied Verdis vom Publikum, von der Welt, mit einem halben Lächeln.