Entstehungsgeschichte
»La traviata« ist wahrscheinlich neben Mozarts »Zauberflöte« die beliebteste aller Opern.
Gern wird sie umgangssprachlich auch »Die Kameliendame« nach dem deutschen Titel des Schauspiels von Alexandre Dumas d. J. genannt, auf dem das Libretto größtenteils basiert. Übersetzt man den Verdischen Titel, wäre die Rede von »Die Gefallene« oder, wie Verdi die Titelfigur über sich selbst sagen lässt, »Die vom rechten Weg Abgekommene«. Eigentlich wollte Verdi seiner dritten Oper der Erfolgstrilogie (trilogia popolare) nach »Rigoletto« und »Il trovatore« den Titel »Amore e morte« geben. »Liebe und Tod« – unzertrennlich in der Opernliteratur schlechthin. Selbst dort, wo sich noch alles dem Leben und damit einem als »gut« befundenen Ausgang zuwendet, gibt es Situationen, in denen die Opernhelden und -heldinnen am Rande des Todes wandeln.
Warum blieb Verdi nicht bei dem ursprünglich gedachten Titel?
Weil das Sujet dem Entstehungsjahr 1852/1853 zu ungeschminkt nahe kam. Die Titelheldin Violetta Valéry hat, wie Dumas Titelheldin Marguerite Gautier, Ähnlichkeit mit einer damals bekannten Prostituierten. Mehr als zwei Jahrzehnte, bevor die Zigarettenarbeiterin Carmen die Bühne betritt, ist Violetta da, erkennbar als Kurtisane in der Gesellschaft, die großzügiges Amüsement und engen Moralkodex lebt. Das Teatro La Fenice, das Uraufführungstheater, an dem der Komponist auch Regie führte, verlegte die Handlung in die Zeit um 1700. Bald eroberte sich das Werk die italienischen Bühnen, zunächst zensiert und unter dem Titel »Violetta«.
Die von Verdi und seinem Librettisten Francesco Maria Piave vorgenommene Konzentration der Handlung auf Violetta, Alfredo und Giorgio macht u.a. auch den Blick frei auf den »menschlichen Faktor« im Funktionieren eines gesellschaftlichen Systems. Die Kurtisane ist eine Dame, die über eine gewisse erotische Vulgarität verfügt, und die längst aufgegeben hatte, an so etwas wie Liebe zu glauben. Alfredo geht mit Violetta in die Einsamkeit, auf eine Insel des Glücks, und damit sozialen Auseinandersetzungen vermeintlich aus dem Weg. Violettas Leben ist dadurch auch in gewisser Weise abgeschnitten. Giorgio mischt sich mit Standesdenken und herrschenden Moralbegriffen folgenreich in die Beziehung ein. Das gelingt ihm letztendlich auch, weil Violetta begreift, dass es für sie nur das eine Leben in ihrer Gesellschaft geben kann. Und sie ist sehr krank, einsam, und lässt keinen Zipfel dessen, was das Leben ihr bieten kann, aus. Und tut es durch Alfredo zwischenzeitlich doch. Wenn er und Giorgio am Schluss auf die Sterbende treffen, gibt es eigentlich kein kleinbürgerliches oder Hollywood-Happy End, sondern für einen Moment die Utopie, das Leben auch freier gestalten zu können, dass Liebe in der Welt sein könnte. Das System, in dem sie alle zuhause sind und in dem sie ihre Chancen suchen, ist kurz außer Kraft gesetzt.
Es ist Verdis einziger zeitgenössischer Stoff.
Er hatte ihn fasziniert und er erkannte in ihm die Möglichkeit, seine Suche nach Aufbrechen der herkömmlichen Opernform zum Musikdrama voranzubringen. Auf Grund des vorherrschenden Dreivierteltaktes wird die Oper auch gern eine »Walzeroper« genannt und ist für die einen zum Dahinschmachten, für die anderen vor dem Hintergrund eines Tanzes auf dem Vulkan ein Kammerspiel um bekannte Schmerzen, zugefügt von unerfüllten Lebensträumen. So überwältigt auch die Rührung, wenn in dem Spielfilm »Pretty Woman« Richard Gere Julia Roberts, alias Edward Lewis Vivian Ward, in eine Vorstellung von »La traviata« führt und sich am Ende des Films zu ihr und damit auch zu sich bekennt. Die Kamelie, die Violetta Alfredo bei der ersten Begegnung reicht, blüht einen Tag. In der Oper dauert beider Glück bis zur rigorosen Trennung fünf Monate. Als Alfredo zurückkehrt zu Violetta, ist es zu spät. Die Konventionen haben triumphiert. Sie sind jedoch keine von außen hereinbrechende Störung in eine wunderbare Liebesbeziehung. Sie pulsieren in den Figuren selbst, sind ihnen wie eine Haut, die nicht abgelegt werden kann.