
Das Semperoper Ballett feiert 200-jähriges Jubiläum
Über die Gründung des Semperoper Balletts
Die Company, die heute unter dem Namen Semperoper Ballett bekannt ist, wurde vor 200 Jahren, am 1. April 1825, gegründet. An diesem Tag wurden drei Damen ausschließlich für tänzerische Tätigkeiten mit einem festen Gehalt am Königlich Sächsischen Hoftheater engagiert.
Bereits im Jahr 1817 äußerte der königliche Hofkapellmeister Carl Maria von Weber den Wunsch, die Abteilung des sogenannten Deutschen Departements der Hofoper mit einem fachlich vielseitigen Personal auszustatten. Unter den zahlreichen Reformvorschlägen sah er auch das Engagement eines Tanzmeisters vor, der die Bühnenkünstler zur „Ausschmückung einzelner Szenen und wirkungsvollen Gruppirungen“ befähigen sollte. Diesem Tanzmeister sollten einige „Kinder zum Tanz Unterrichte gegeben werden“, die zunächst „unentgeltlich bei Theater figurieren“, nach drei Jahren jedoch ein „geringes Quantum“ an Vergütung erhalten sollten.
Diesen Werdegang durchschritten auch jene drei ersten fest angestellten Tänzerinnen: Mathilde Füssel und die Schwestern Henriette und Marie Bohlan. Kurz danach wurden sieben weitere Damen und fünf Herren engagiert, sodass das Ballett im Gründungsjahr 1825 insgesamt bereits 15 Mitglieder zählte.
Ein Blick auf die Personalstruktur des Ballettensembles im 19. Jahrhundert verrät, dass dessen Mehrheit aus weiblichen Tänzerinnen bestand. In den Jahren zwischen 1825 und 1900 zählte das Ensemble im Durchschnitt eine reichliche Dreiviertel-Mehrheit an Frauen (77%) und nur etwa ein Viertel männlicher Mitglieder (23 %). Zum Vergleich: In der aktuellen Ensemblezusammensetzung 2025 ist dieses Verhältnis in etwa 1:1 (mit leichtem Frauenüberschuss).

Prozentuales Verhältnis von männlichen zu weiblichen Tänzern und Mitarbeitern des Balletts* des Königlich Sächsischen Hoftheaters zwischen 1825 und 1900
(* Ballettmeister, Repetitor, Ballettinspizient, alle Tänzerinnen und Tänzer mit Ausnahme der Kinder und Eleven)
Im Takt der Aufziehpuppen
Am Ende des 19. Jahrhunderts standen auf internationalen Bühnen vermehrt Ballette auf dem Spielplan, die von Puppen oder weiblichen Automaten handelten. Diese „Puppenballette“ zeichneten sich unter anderem durch Bewegungsabläufe aus, die „mechanisch und puppenhaft“ wirkten und sich somit von den früheren romantischen Balletten unterschieden. Der damalige Ballettmeister der Königlich Sächsischen Hoftheater, Robert Köller, erkannte die herrschende Vorliebe zu den inhaltlich einfachen, hübsch anzuschauenden Stücken und brachte sie auch in Dresden auf die Bühne. Ein kluger Schachzug, der dem Ballettensemble beispielsweise durch die Dresdner Erstaufführungen der Handlungsballette „Die Puppenfee“ (14. März 1889) und „Coppelia“ (23. September 1896) zu größerer Beliebtheit verhalf. Auch in den darauffolgenden Jahrzehnten lockte die Faszination für Puppen und mechanische Spielzeuge sowie die Sehnsucht nach dem fantasievollen Spiel der Kindheit ein begeistertes Publikum in die Semperoper.
Bei manchen Balletten geht der Puppen-Bezug bereits aus dem Stücktitel hervor, bei anderen Werken wie Der Kinder Weihnachtstraum – erstaufgeführt am 25. November 1890 – sind es die zu tanzenden Rollen (z.B. Hampelmann, Kreisel oder Nussknacker), die die damalige Geschmacksrichtung illustrieren. Eine der bedeutendsten „Puppenballerinen“ der Dresdner Hofoper war Frida Hess, die in den Jahren 1902 bis 1918 zunächst als Elevin, später dann als Solotänzerin engagiert war und, wie in einem Zeitungsartikel aus dem Jahre 1916 beschrieben, vom Dresdner Publikum als sein Liebling gefeiert wurde.

Theaterzettel Don Pasquale / Die Puppenfee vom 24. März 1889. © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden
Theaterzettel Fra Diavolo / Der Kinder Weihnachtstraum vom 16. Dezember 1890. © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden
Theaterzettel Evanthia / Meißner Porzellan vom 3. Oktober 1893 (Erstaufführung). © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden
Theaterzettel Der vierjährige Posten / Coppelia vom 23. September 1896 (Erstaufführung). © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden
Prominente Gäste
„Denn es war ein Abend voll Schönheit; ein Abend, der das Existenzrecht einer Kunst bewies, deren Reiz im Virtuosen liegt, das heißt: in dem leichten Spiel aufs äußerste kultivierter Kräfte mit ihren Widerständen.“ So ist es in einer Kritik über Anna Pawlowas zweites Gastspiel an der Sächsischen Staatsoper im Jahr 1925 zu lesen.
Diese Begeisterung für die berühmte russische Ballerina begleitete sie bereits bei ihrem ersten Gastauftritt an der Königlichen Hofoper Dresden im Jahr 1914.
Zu Beginn ihrer Karriere tanzte Anna Pawlowa noch bei den Ballets Russes unter der Leitung von Serge Diaghilew. Später tourte sie mit ihrer eigenen Tanzgruppe durch die Welt und gastierte an der Semperoper dreimal: in den Jahren 1914, 1925 und 1928.
Besonders gelobt wurden ihre Leichtigkeit, technische Perfektion sowie die Ausdruckskraft ihres Tanzes. Nach Meinung der Kritiker bildete Anna Pawlowa eine eigene Klasse der Formvollendung, und auch das Programmheft des 1925 stattgefundenen Gastspiels lässt sie als den Star des Abends erstrahlen. Wie schon 1914 bezauberte sie das Publikum am 8. September 1925 mit dem Tanzsolo Der sterbende Schwan. Der Choreograf Michail Fokin kreierte es im Jahr 1907 eigens für Anna Pawlowa und kombinierte darin die Tanztechniken des klassischen Balletts mit der emotionalen Ausdruckskraft ihres Körpers. Gemeinsam mit ihrem Ensemble, bestehend aus 14 Tänzerinnen und Tänzern, trat sie unter anderem in Koketterie der Colombine und Gavotte auf und begeisterte das Publikum in ihrem Solo Die Libelle. Aus dem Graben des Opernhauses heraus wurden die Tänze von der Sächsischen Staatskapelle Dresden begleitet.
Historisches Programmheft des Gastspiels von Anna Pawlowa und ihrem Ensemble am 8. September 1925 an der Sächsischen Staatsoper Dresden. © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden
Uraufführung entgegen aller Regeln
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts – einer politisch wie gesellschaftlich turbulenten Zeit – fanden neue künstlerische Einflüsse ihren Weg in das Dresdner Tanzgeschehen.
Eine Person, die den Ausbruch aus althergebrachten Mustern mit der Tradition des klassischen Balletts verband, war die russische Choreografin und Tanzpädagogin Tatjana Gsovsky. Gottfried von Einems Ballett „Prinzessin Turandot“, das am 5. Februar 1944 in ihrer Choreografie in Dresden uraufgeführt wurde, fand medial große Beachtung.
Statt in einem aufwendig und opulent gestalteten Bühnenbild traten die Tänzerinnen und Tänzer auf einer fast leeren Bühne auf. „Die Bewegung des tanzenden Menschen gestaltet den Raum; der Tänzer selbst wird zur […] Kulisse, der Raum das Instrument, das der Tänzer durch seine Kunst zum Leben bringt.“ Die Choreografie von Tatjana Gsovsky spielte mit den stilistischen Gegensätzen des klassischen und des modernen Tanzes, die sowohl von den Haupt- als auch von den Nebenrollen verkörpert wurden. Dem klassischen Bewegungsrepertoire der Prinzessin wurde dabei die geballte körperliche Ausdruckskraft des Bewegungschors entgegengesetzt.

Szenenfoto der Uraufführung „Prinzessin Turandot“, am 5. Februar 1944 © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Foto: R. Berger

Szenenfoto der Uraufführung Prinzessin Turandot, am 5. Februar 1944, Gino Neppach (Hofmeister) und Corps de Ballet ©Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Foto: R. Berger
Mit Ausnahme der beiden Hauptfiguren wurden die Protagonisten und der Bewegungschor ausschließlich durch das Ballettensemble der Dresdner Staatsoper verkörpert. Über die Solisten heißt es in einem Artikel der Dresdner Zeitung, dass sie durch die Arbeit mit Tatjana Gsovsky „so gewandelt, seelisch wie körperlich so gelockert“ waren, „daß man sie für den ersten Augenblick gar nicht“ wiedererkannte. „Sie erscheinen mit ihren Rollen unmittelbar verwachsen; folgerichtig und unmittelbar wirkt die Sprache und Gestik.“
Etwa ein halbes Jahr, nachdem Tatjana Gsovsky dem Dresdner Publikum diese durchaus avantgardistische Arbeit präsentierte, musste die Semperoper am 1. September 1944 kriegsbedingt geschlossen werden.

Szenenfoto der Uraufführung Prinzessin Turandot, am 5. Februar 1944, Franz Karhanek (Prinz Kalaf), Heinz Dittrich (Henker) und Corps de Ballet © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Foto: R. Berger

Szenenfoto der Uraufführung Prinzessin Turandot am 5. Februar 1944 ©Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Foto: R. Berger
Kalter Krieg und Brennender Friede
In den letzten Jahren vor der deutschen Wiedervereinigung hatte Harald Wandtke von 1980 bis 1990 die Leitung des Ballettensembles an der Staatsoper Dresden inne. Seine Choreografien zu zeitgenössischer Musik setzten sich oft mit gesellschaftspolitischen Inhalten auseinander. Mit der Uraufführung „Brennender Friede“ zu Kompositionen von Udo Zimmermann am 15. Februar 1985 feierte das Ballett seine Rückkehr in die wiedereröffnete Semperoper. Der Titel dieses Werkes verrät das Bedürfnis, sich mit „dem brennendsten Anliegen unserer Zeit, der Erhaltung des Friedens“, tänzerisch-choreografisch zu beschäftigen. Begonnen hatte die Reihe solcher Anti-Kriegs-Ballette am 9. März 1972 mit der Dresdner Uraufführung Rainer Kunads „Wir aber nennen Liebe lebendigen Frieden“. In der Choreografie von Vera Müller präsentierte das Ballettensemble laut Presse „szenische Metamorphosen um Leben, Liebe und Frieden, hier und heute“. Das Publikum war darin aktiv aufgefordert, ihr Leben im Sinne der Liebe und der Gemeinschaft sinnvoll zu gestalten. Ebenso wie dies nur eine von vielen möglichen Interpretationen des Werkes war, so deutungsvariabel sind auch die Plakate der DDR-Ballette, die sich im Bestand des Historischen Archivs der Sächsischen Staatstheater befinden. Einige Beispiele dafür sind „Wir aber nennen Liebe lebendigen Frieden“, „Brennender Friede“ oder das Plakat zu den gesellschaftskritischen Balletten „Der Dompteur/Rapport“. Die abstrakten Formen, in denen inhaltliche Schwerpunkte der Stücke durchscheinen, eröffnete den Betrachtern auf subtile Art und Weise Raum für Deutungen jenseits der kulturpolitischen Schranken der DDR.

Plakat Wir aber nennen Liebe lebendigen Frieden von Rainer Kunad/Petruschka von Igor Strawinsky,
Uraufführung Wir aber nennen Liebe lebendigen Frieden am 9. März 1972, © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Gestaltung: Rudolf Grüttner

Plakat. Der Dompteur von Emöke Pöstényi/Rapport von Birgit Cullberg,
Uraufführungen Der Dompteur am 29. Mai 1981, Rapport am 8. September 1988, © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Gestaltung: Ekkehard Walter

Plakat. Brennender Friede von Udo Zimmermann,
Uraufführung am 15. Februar 1985, © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden, Gestaltung: Fotis Zampagis/Ekkehard Walter
Preisgekrönte Uraufführung
„Sind wir nicht alle manchmal ein bisschen Kuh?“
Am 12. März 2016 kam der eigens für die Dresdner Company kreierte Ballettabend COW zur Uraufführung an der Semperoper. In elf einzelnen, durch die gemeinsame Agenda verbundenen Szenen setzte sich der schwedische Choreograf Alexander Ekman mit dem titelgebenden Thema auseinander – die besonderen Bewegungen der Kuh, das Wesen von Kühen als Lebensgefühl und in mancherlei Hinsicht sogar als Vorbild für die Menschen. Dabei ging es nicht darum, zu belehren oder eine stringente Handlung zu erzählen, sondern vielmehr um die assoziative Durchdringung der animalischen und symbolischen Essenz dieses Tieres. Mitwirkende und Besucher des Balletts sollten sich freimachen von verkopften Denkmustern oder dem Gedanken, dass es erniedrigend sei, sich wie eine Kuh auf allen Vieren zu bewegen.
Das Ergebnis dieser geistigen wie körperlichen Befreiung spiegelt sich sowohl in der Musik des Komponisten Mikael Karlsson, der es sich nicht nehmen ließ, auch eine Kuh zu Wort bzw. zum Muh kommen zu lassen als auch im Kostümbild des innovativen dänischen Designers Henrik Vibskov wider.
Alexander Ekman wurde für diese unkonventionelle, energiegeladene, teils nachdenkliche, teils witzige Inszenierung am 5. November 2016 mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnet, welcher seit 2006 jedes Jahr herausragende künstlerische Leistungen ehrt.
Stücktrailer COW. Uraufführung am 12. März 2016. © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater Dresden
Kreative Impulse aus aller Welt
Im Gründungsjahr 1825 des heutigen Semperoper Ballett formten die Tänzerinnen, Tänzer und sonstigen Mitglieder des Balletts eine homogene Gruppe. Kreative Impulse dagegen kamen im 19. Jahrhundert größtenteils aus dem Ausland.
Heute, 200 Jahre später, bildet die moderne Company die internationale Vielfalt und die damit einhergehenden unterschiedlichen Erfahrungen, Blickwinkel und Ideen einer weltoffenen Gesellschaft ab. Fast 30 verschiedene Nationalitäten umfasst das Ensemble. Die Mitglieder kommen aus den besten Ballettschulen der Welt und fügen sich hier zu einer bunten und diversen Company zusammen, die im In- wie Ausland Anerkennung genießt.
Auf der Infografik sehen Sie, woher die Mitglieder des Semperoper Ballett ursprünglich stammen.

Infografik. Herkunftsländer der festangestellten Tänzer*innen, Elev*innen, Stipendiat*innen und Trainees des Semperoper Ballett in der Spielzeit 2024/25
Autorin und Konzept: Lotte Görlach