Semper Geschichte/n

Giuseppe Sinopoli und »Die Frau ohne Schatten«

Eine Semper Geschichte anlässlich des 20. Todestages von Giuseppe Sinopoli

Am 20. April 2001 verstarb der Dirigent und Komponist Giuseppe Sinopoli. Man habe mit ihm eine »der ernsthaftesten und scharfsinnigsten Künstlerpersönlichkeiten der Gegenwart« verloren und ihm sei, wie der damalige Intendant der Sächsischen Staatsoper Dresden Christoph Albrecht erklärte, mit der Sächsischen Staatskapelle eine seltene »Symbiose zwischen Orchester und Dirigent« gelungen.

Giuseppe Sinopoli (2. November 1946 – 20. April 2001) © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater, Foto: Matthias Creutziger

Die Zusammenarbeit mit der Sächsischen Staatskapelle nahm 1987 im Rahmen einer Aufnahme von Anton Bruckners »4. Sinfonie« in der Dresdner Lukaskirche ihren Anfang. Fünf Jahre später unterzeichnete Sinopoli, zu diesem Zeitpunkt bereits einer der führenden Dirigenten seiner Zeit, seinen Vertrag als Chefdirigent der Staatskapelle und hätte im Jahr 2003 auch das Amt des Generalmusikdirektors antreten können.

Zahlreiche Konzerte, Tourneen und Aufnahmen realisierte Giuseppe Sinopoli zusammen mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und hatte auch die musikalische Leitung für einige wichtige Opernaufführungen inne, darunter »Elektra« (1995), »Parsifal« (1995/1996) und »Salome« (1999). Weitere besondere künstlerische Schwerpunkte mit szenischen Werken von Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Richard Strauss und weiteren zeitgenössischen Komponisten waren in der Planung, konnten allerdings nicht mehr umgesetzt werden. Die Premiere von »Die Frau ohne Schatten« am 17. November 1996 blieb Giuseppe Sinopolis einzige Neuproduktion an der Sächsischen Staatsoper Dresden.

»Die Frau ohne Schatten«

In einem Interview mit der DNN bezeichnete Giuseppe Sinopoli Richard Straussʼ »Die Frau ohne Schatten« als die für ihn »bedeutendste Oper des 20. Jahrhunderts«, die er auch in Dresden zur Aufführung bringen wollte.

Dieses rätselhafte und metaphernreiche Werk war nach »Elektra«, »Der Rosenkavalier« und »Ariadne auf Naxos« aus einer weiteren erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und dem Librettisten Hugo von Hofmannsthal entstanden und am 10. Oktober 1919 an der Wiener Staatsoper uraufgeführt worden. Im Zentrum des Stücks steht die Kaiserin, die – um zu verhindern, dass ihr Gatte versteinert wird – ihren Schatten finden muss, der in ihrer Welt zugleich Fruchtbarkeit und volles Menschsein mit sich bringt. Bereits 12 Tage nach der Uraufführung, am 22. Oktober 1919, folgte die Deutsche Erstaufführung in Dresden. Bei der 2. Neuinszenierung des Werkes (1927) stand der Komponist persönlich am Pult der Sächsischen Staatskapelle und 1939 feierte »Die Frau ohne Schatten« in der musikalischen Leitung von Karl Böhm die dritte Premiere am Haus. Es sollte über ein halbes Jahrhundert dauern, bis Strauss‘ Oper in drei Akten 1996 zum vierten Mal auf der Dresdner Opernbühne neuinszeniert wurde.

Die Erweiterung des Orchestergrabens

Als problematisch erwies sich bei diesem Unterfangen jedoch die Größe des Orchestergrabens: Beim Wiederaufbau der Semperoper 1985 hatte man sich weitestgehend an Gottfried Sempers zweitem Königlichen Hoftheater aus dem Jahr 1878 orientiert und den Orchestergraben gemäß der damaligen Maße und Dimensionen rekonstruiert. Da aber nach der Wiedereröffnung 1985 auf den Spielplänen auch Werke standen, die erst im 20. Jahrhundert uraufgeführt worden waren, wie Richard Straussʼ »Salome«, oder »Elektra«, bedeutete die Orchestergrabenfläche von 104 Quadratmetern eine starke künstlerische und räumliche Einschränkung. Opern, die ein überdurchschnittlich großes Orchester verlangten, mussten entweder in reduzierter Besetzung gespielt werden oder brauchten besondere szenische Lösungen. Beispielsweise wurden im Fall der »Elektra«-Inszenierung von Regisseurin Ruth Berghaus, 106 Musiker*innen direkt auf der Bühne platziert. Für die Neuproduktion von »Die Frau ohne Schatten« war dies allerdings nicht denkbar und um das Problem langfristig zu lösen, musste der Orchestergraben umgebaut werden. Mithilfe einer flexiblen Konstruktion sollte es von nun an möglich sein, die Fläche jederzeit auf 140 Quadratmeter zu erweitern und alle Opern in Originalbesetzung spielen zu können. So feierte am 17. November 1996 Richard Straussʼ »Die Frau ohne Schatten« mit voller Orchesterbesetzung im fertiggestellten Graben Premiere. 

Während die Kritiken die fantasievolle Inszenierung von Hans Hollmann und die Ausstattung der Bühnen- und Kostümbildnerin rosalie zum Teil als »bunt und schrill« und »entnervend allerliebst« (Stephan Mösch, Frankfurter Allgemeine Zeitung) bezeichneten, war die Resonanz in Bezug auf die Sänger*innenbesetzung, das Orchester und die musikalische Leitung von Giuseppe Sinopoli überwiegend positiv. Man habe die Gesangspartien mit »internationalen Spitzenkräften« besetzt und die Vorstellung sei »ein Raum-Klang-Erlebnis von beglückender Vielfalt« gewesen.

Rückblickend betrachtet gehörte »Die Frau ohne Schatten«, die Sinopoli mit der »als Strauss-Orchester par excellence bekannten Staatskapelle« neu herausbrachte, zu den »phänomenalen Höhepunkten der an Ereignissen reichen jahrelangen Zusammenarbeit mit dem Dresdner Orchester«. 

Die Sächsische Staatskapelle Dresden widmet ihrem verstorbenen Chefdirigenten in der Spielzeit 2020/21 ein Porträtkonzert und ehrt Giuseppe Sinopoli postum mit dem Titel des Capell-Compositeurs.

Die Semper Geschichte erschien am 20. April 2021. Autorin: Bianca Heitzer (Dramaturgin)