Semper Geschichte/n

»Die Weise von Liebe und Tod des Cornets«

Mit seiner Neukomposition prägte Siegfried Matthus die Wiedereröffnung der Semperoper

Eine Semper Geschichte in Erinnerung an Siegfried Matthus, der am 27. August 2021 verstarb.

Der 1934 in Ostpreußen geborene Siegfried Matthus studierte Komposition und Dirigieren und wurde im Jahr 1960 Meisterschüler des Komponisten Hanns Eisler. Im Laufe seines Schaffens komponierte er über 600 Werke, davon 14 Opern. Als populärer Komponist rief er die Schlossfestspiele Rheinsberg ins Leben, die die Förderung junger Nachwuchssänger*innen bis heute verfolgen. Weiterhin war er Zeit seines Lebens Verfechter der Etablierung zeitgenössischen Opernrepertoires. 

Siegfried Matthus war der Semperoper als Komponist und auch als Dirigent über lange Jahre – vor und nach der Wende – verbunden. Erstmals wurde im Jahr 1969 seine Oper »Der letzte Schuss« an der Semperoper aufgeführt. In den 1990er Jahren wurde Matthus mit drei Aufträgen für Konzert-Kompositionen versehen, die von der Sächsischen Staatskapelle uraufgeführt wurden. Einen Konzertabend mit eigenen Kompositionen hat er im Jahr 1988 sogar selbst dirigiert. Zuletzt erklang im Jahr 2018 seine Komposition »Der Wald«, ein Konzert für Pauke und Orchester, im Rahmen des 2. Aufführungsabends der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Insbesondere hat das musiktheatrale Auftragswerk »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke« die Geschichte der Semperoper geprägt:

Im Jahr 1985 wurde die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Semperoper nach Jahren des Wiederaufbaus in einer festlichen Premierenwoche wiedereröffnet. Neben Neuinszenierungen der Traditionswerke »Der Freischütz« und »Der Rosenkavalier« wurden zwei zeitgenössische Werke uraufgeführt: Das Ballett »Brennender Friede» zu Musik von Udo Zimmermann sowie die ›Opernvision‹ »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets« aus der Feder von Siegfried Matthus. Die Oper wurde von der polnischen Presse als »wahre Attraktion« und seitens der Frankfurter Rundschau sogar als »bedeutendster Eindruck der Festwoche« gefeiert.

Die Festwoche zur Wiederöffnung der Semperoper, terminiert auf den 13.-19. Februar 1985 war ein bewusst gewählter Zeitraum, der mit dem 40. Jahrestag der Dresdner Bombennacht eingeläutet wurde und somit Symbolcharakter hatte. Das Thema des Gedenkens sollte auch Gegenstand von Matthus’ Neukomposition sein und an das für Dresdner*innen nach wie vor präsente Ereignis des Luftangriffs erinnern. Die Semperoper, das Stadtbild nach 1945 als Ruine prägend, machte das Thema der Zerstörung seitens des Krieges auf dem Theaterplatz allgegenwärtig.  

In diesem Sinne versah Matthus sein Auftragswerk vor dem Beginn der Opernhandlung mit einem Anfangschor, der mit den Worten: »In solchen Nächten war einmal ein Feuer in der Oper« an die Dresdner Bombennacht erinnert, in der auch die Semperoper dem Feuer zum Opfer fiel. Ursprünglich war der Chor in seinem direkten Bezug nur für den Uraufführungsabend gedacht, fügte sich dann aber nach Aussage des Komponisten »dramaturgisch logisch« in den eigentlichen Handlungsverlauf ein, in dem im kriegerischen Finale ein Schloss niederbrennt. So mündet die Darstellung der Grausamkeit des Krieges in Realität und Fiktion in eine schlüssige Parallelität.

Siegfried Matthus bediente sich für die Handlung der Oper an der gleichnamigen Erzählung von Rainer Maria Rilke, welches gleich einem Psychodrama das Innenleben des Fahnenträgers Christoph (Cornet) in seiner Wahrnehmung des herrschenden Krieges zwischen Fantasie und Realität beleuchtet. Der Komponist betitelte die Tragödie um den jungen Cornet als »Opernvision«. Der neuerfundene Genrebegriff umschreibt die Darstellung der Opernhandlung in der ekstatischen Wahrnehmung Cornets, die zum großen Teil in Monologen erzählt wird. 

Im Ersten und Zweiten Weltkrieg etablierte sich Rilkes Cornet-Vorlage als Heldenmythos. Matthus schrieb im Programmheft zur Uraufführung diesbezüglich: »Ich wusste, dass viele junge Menschen mit der Cornet-Geschichte im Tornister (…) in den Tod gegangen sind.« Weiter führte er aus, dass er den Opernstoff bewusst nicht als Glorifizierung des Heldentodes interpretierte. Er sähe Cornet als »jungen Mann in einem schrecklichen Kriegsgeschehen, der die Krise der Pubertät überwindet und im Überschwang des neugewonnen Lebensgefühls blindlings in den Tod läuft.« Um seinen Autorenkommentar zu verdeutlichen, bediente sich Matthus zum Anfang und Ende der Oper eines affektgeladenen »Dies Irae«. Der Zorneschor, als Klammer um die Opernhandlung und den Feuerchor sollen »musikalisch-theatralischer« Ausdruck der Wut über Krieg und Vernichtung sein.

Die Inszenierung der Uraufführung lag in den Händen von Ruth Berghaus, das Bühnenbild entwarf Hans Jürgen Schlieker. Der Dirigent Hartmut Haenchen erarbeitete die Oper mit jungen Sänger*innen des Ensembles, unter anderem Angela Liebold als Cornet, Annette Jahns als seine Gedankenstimme und Olaf Bär als Marquis.  

Die Frankfurter Rundschau rezensierte die Inszenierung der Uraufführung detailgetreu: »Der schmerzhaft genießerischen Komponente der Dichtung wird Ruth Berghaus gerecht, indem sie den hier unbrauchbaren ›harten‹ Militär-Realismus unterläuft: zwei monströse Lazarettbetten geben dem ersten Bild bühnenfüllend Relief; die Akteure wühlen und schlingen sich in morastiges Bettzeug hinein, fatale Verschwisterung von Liebes- und Todessüchten; im abschließenden dritten Bild ist die Bühne ein rechteckiger Raum mit spiegelnden Öffnungen, hinter denen die menschlichen Puppen der Kriegsmaschinerie lauern. Es wird nicht leicht sein, bei weiteren Inszenierungen des Stückes eine ähnlich triftige, vieldeutige und sinnlich attackierende szenische Deutung wieder zu erreichen.« 

Zwei Jahrzehnte später wurde Siegfried Matthus beauftragt, zum Anlass einer weiteren Wiedereröffnung eines Dresdner Wahrzeichens zu komponieren. Er entwarf sein Oratorium »Te Deum«, welches 2005 zum Festakt der Wiedereröffnung in der Frauenkirche erklang. Dabei übernahm er die Motive des Feuerchors aus der »Cornet«-Oper und hielt auch an der Klammerstruktur des »Dies Irae« fest. Somit schuf er eine musikalisch-historische Verbindung zwischen seinen beiden Auftragswerken, die an eine Zerstörung in Dresdens Bombennacht erinnern und der Emotionalität des Ereignisses Ausdruck verleihen. Beide Werke stehen in der Musikgeschichte als Mahnmal des Kriegs.

Die Semper Geschichte erschien am 24. Oktober 2021. Autorin: Zoe Köppen