Semper Geschichte/n

»Dieser Abend hieß: Zerbinetta auf Naxos«

Am 18. Oktober 2021 verstarb mit 74 Jahren Edita Gruberová in Zürich

Die »Königin der Koloratur« war 1985 zum ersten Mal an der Semperoper als Zerbinetta in »Ariadne auf Naxos« von Richard Strauss sowie später in zahlreichen ihrer Paradepartien zu erleben.

Die Begeisterung des Dresdener Publikums war immer überwältigend: Enthusiastischer Zwischenapplaus, nicht enden wollender Schlussapplaus mit Standing Ovations und sogar entrollte Transparente von den Rängen der Semperoper, auf denen Fans ihrer Liebe Luft machten, gehörten bei ihren Auftritten in Dresden wie selbstverständlich dazu. Dabei war es egal, ob Edita Gruberová, wie zuletzt 2011, »Anna Bolena« von Gaetano Donizetti interpretierte oder Donizettis Meisterwerke »Lucrezia Borgia« und »Lucia di Lammermoor« sowie Vincenzo Bellinis selten gespielte Opern »Beatrice di Tenda« und »I puritani« mit ihrer virtuosen und sensitiven Stimmkunst zum Strahlen brachte. 

Edita Gruberová als Anna Bolena in der Semperoper, 6. Juni 2011 © Historisches Archiv der Sächsischen Staatstheater/Matthias Creutziger

Edita Gruberová verdankt die Semperoper so auch die (Wieder)-Entdeckung zentraler Werke des Belcanto als vollendete Musikschöpfungen. Dabei ließ sie das Publikum daran teilhaben, dass es bei der sängerischen Interpretation gerade nicht um die Ausstellung stupender Technik, artistischer Geläufigkeit oder perfekt polierten Schönklangs – über all diese Fähigkeiten verfügte die Sängerin wie selbstverständlich – geht. Im Gegenteil: Wenn man die Werke und ihre Komposition ernst nimmt, mit Empathie in die Dramen und Abgründe der Figuren hinabsteigt und das stimmliche Vermögen ganz in den Dienst des emotionalen Ausdrucks stellt, erhält jede Note ihren musikdramatischen Sinn und werden so das Leben und die Leiden ihrer Heldinnen in mitreißender Weise verlebendigt. Da reicht dann manchmal, wie es in Dresden zu erleben war, sogar die rein konzertante Interpretation dieser Werke.
 

Szenisch präsentierte sich Edita Gruberová hingegen Ostern 1985 an der frisch wiedereröffneten Semperoper während des Gastspiels der Wiener Staatsoper mit der legendären Aufführung von Richard Strauss‘ »Ariadne auf Naxos« in der Regie von Filippo Sanjust und unter der Musikalischen Leitung von Heinrich Hollreiser. Ihre Premiere hatte die Produktion bereits 1976 in Wien erlebt – unter der Musikalischen Leitung von Karl Böhm – und markierte damals den internationalen Durchbruch der Sängerin mit der Partie der Zerbinetta. 

Im Gespräch mit Boris Michael Gruhl von den Dresdner Neuesten Nachrichten gestand die Sängerin 2007 anlässlich ihres Gastauftritts mit »Beatrice di Tenda« von Vincenzo Bellini, dass sie damals, 1985, zunächst skeptisch gewesen sei. Denn Reisen in den Osten seien der in Bratislava geborenen und 1971 nach Wien emigrierenden Gruberová nicht ganz geheuer gewesen. Dann aber, in Dresden, in der Semperoper angekommen, sei es wie seitdem immer gewesen: »Pure Überwältigung. Das Haus, die Akustik, die Atmosphäre, alles wie ein Juwel, dass sie immer wieder neu in den Bann zieht.«

Anfängliche leichte Skepsis gegenüber der Wiener Produktion, oder zumindest ein lokalpatriotisch gefärbtes Abwägen, was die Strauss-Sendbotschaft aus Wien wohl bringen möge, kann man aus den Dresdner Rezensionen durchaus auch herauslesen. 

Da wird erwähnt, welche und wie viele der Strauss-Werke in Dresden ihre Uraufführung erlebt haben – »Ariadne auf Naxos« nicht, das ist ein »Wiener« Uraufführungswerk – , oder, dass die Inszenierung von Filippo Sanjust doch »ziemlich betagt« sei; gerade auch in Hinblick darauf, dass man »seit Jahren durch perfekte Musiktheaterinszenierungen eines Harry Kupfer oder Joachim Herz szenisch anspruchsvoll gemacht und verwöhnt worden« war. Tatsächlich gab es seit 1982 eine Neuproduktion der »Ariadne auf Naxos« in der Regie von Joachim Herz, die Juni 1985 schließlich in die Semperoper übernommen wurde ... 

Unter diesen Vorzeichen ist der Erfolg der Wiener Gastspiel-Produktion und von Edita Gruberová, die sich neben einem herausragenden Solist*innen-Ensemble um Gundula Janowitz als Ariadne, Gerd Brenneis als Bacchus und Trudeliese Schmidt als Komponist nicht nur behauptete sondern ins Zentrum des Geschehens sang und spielte, umso bemerkenswerter.

Noch einmal die Sächsische Zeitung: »Die Überraschung (!) des Abends jedoch war Edita Gruberová als Zerbinetta, deren lyrischer Koloratursopran – neben verhaltenen, aber auch schmetternden Tiraden – über so viel musikalische Artistik und sprühende Virtuosität verfügt, dass sie nach ihrer großen Koloraturarie »Großmächtige Prinzessin« minutenlange Ovationen erhielt.«

Besonders angetan aber war Eckart Schwinger, der Rezensent von Radio DDR II, der in seiner Besprechung vor allem auch das schauspielerische Vermögen von Edita Gruberová lebendig würdigte: »Mit ihrem charmanten Lächeln, ihrer natürlichen Genialität avanciert sie unversehens zur schelmisch aufspielenden, singenden, tanzenden Hauptdarstellerin und Regisseurin zugleich, die mit ein paar Handbewegungen ihre Komödiantenschar in Bewegung setzt. In solch überströmender Spontaneität ist die Strauss’sche Starrolle in dem aus launig durcheinandergewürfelten Formen, Stilen und Gestalten so genialisch gemixten Musiktheaterstück wohl noch nicht zu erleben gewesen.« 

Reines Musiktheaterglück! Und war mit der Wiedereröffnung der Semperoper auch die Hoffnung verbunden, als Opernhaus international wieder anschließen zu können, so konnte nach dem Gastspiel zufrieden resümiert werden: »Das Wiener Gastspiel bleibt lebhafte Erinnerung und bringt als Fest der schönen Stimmen unser Dresden weiter auf dem Wege zur Weltstadt der Kunst.« 

In dankbarer Erinnerung an Edita Gruberová.

Die Semper Geschichte erschien am 28. Oktober 2021. Autor: Johann Casimir Eule (Chefdramaturg)