Semper Geschichte/n

»Ohne Dank zurück.« Wie Opernsänger Georg Anthes einen Orden loswurde

Eine Semper Geschichte zum 100. Todestag des Heldentenors Georg Anthes (1863–1922)

Der Heldentenor und gefeierte Wagner-Interpret Georg Anthes gehörte um das Jahr 1900 zu den schillerndsten Sternen an Dresdens Opernhimmel. Doch nicht nur die Strahlkraft seiner Stimme machte Schlagzeilen, auch sein Abgang aus der Elbestadt nach zwölf Jahren Engagement wurde aufmerksam verfolgt und war ein echter Theaterskandal.

1888 hatte Anthes als Max (»Der Freischütz«) in Freiburg i.Br. debütiert und war eine Bereicherung für das Dresdner Theaterleben, als er nach vorherigen erfolgreichen Gastspielen in Dresden, u.a. als Lohengrin und Manrico (»Il trovatore«), 1890 von der Generaldirektion an die Dresdner Hofoper engagiert wurde. Als Nachfolger von Heinrich Gudehus übernahm er in den kommenden zwölf Jahren bis 1902 viele wichtige Partien in Wagner-Opern wie Lohengrin oder Siegfried, gestaltete aber auch die führenden Rollen des italienischen Repertoires (u.a. Canio in »Der Bajazzo«) und war in über 14 Uraufführungen des regen Dresdner Musikbetriebes wie Eugen d’Alberts »Ghismonda« oder in zwei des auf sechs Teile angelegten Opernzyklus’ »Homerische Welt« des Komponisten August Bungert – der zu dieser Zeit als großer Antipode Richard Wagners gehandelt wurde – zu erleben. 

Während seiner Dresdner Jahre bereiste Georg Anthes als einer der bekanntesten Tenöre ganz Deutschland und war an vielen Hoftheatern der Zeit, u.a. in München, Stuttgart, Frankfurt/M. und Karlsruhe, aber auch in Wien, Stockholm, Riga und Basel zu Gast. 1892 sang er bei den Bayreuther Festspielen den Walther von Stolzing in den »Meistersingern«. Die Kritik rühmte »die männliche Kraft, den natürlichen Wohllaut der Stimme in ihrer sympathischen Mischung von lyrischem und Heldentenor, wie nicht minder die mit Geschmack bewirkte absichtslose Steigerung des stimmlichen Effekts, sowie sein ganz außerordentliches Stimmmaterial, ein Material von echtem Tenorklange, von Jugendfrische und Biegsamkeit, Wohllaut und Kraft.« Von König Albert von Sachsen wurde er 1894 mit dem Titel eines Königlich Sächsischen Kammersängers ausgezeichnet und war seit April 1900 Träger des Albrechtsordens, Ritterkreuz 1. Klasse (für geleistete Dienste im Staat, Wissenschaft und Kunst sowie »für gute bürgerliche Tugenden«). Dieser Orden sollte für den Sänger noch einmal eine wichtige Rolle spielen. 

Doch Georg Anthes’ Ambitionen gingen weit über Dresden hinaus und zeigen einen Künstler, der seine Karriere selbst in die Hand nehmen und vor allem nicht mehr der Generaldirektion eines Theaters überlassen wollte. 

Nach über zwölf Jahren im Festengagement in Dresden erbat er 1902, drei Jahre vor dem eigentlichen Vertragsende, seine Entlassung. Er sah seine Möglichkeiten in Dresden ausgeschöpft und richtete sein Entlassungsgesuch direkt an den König: »Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König, Allergnädigster König und Herr! … Mein höchstes Bestreben in dieser ganzen Zeit war, mir nicht allein die Anerkennung meiner vorgesetzten Behörde, sondern auch die Dankbarkeit und Liebe des Dresdner Publikums zu erwerben. Leider ist dies nicht in dem Umfange geglückt, wie es mein Wunsch war.« 

In der Folge berichtete der über das Ansinnen und die Haltung des Künstlers empörte Generaldirektor des Hoftheaters, Nikolaus Graf von Seebach, dem königlichen Ministerium von weiteren Versuchen und Vorwänden des Sängers, eine Entlassung zu erreichen und legte dar, dass Anthes’ wahrer Beweggrund ein lukratives Angebot des geschäftstüchtigen Managers der Metropolitan Opera in New York und Wegbereiter der Oper in Amerika, Maurice Grau, sei. Das kam für Seebach einem Vertrauens- und Treuebruch gegenüber dem obersten Dienstherrn und Finanzier des Hoftheaters – dem König – gleich. Aus diesem Beweggrund und aus Angst, mit Anthes’ Entlassung möglicherweise einen Präzedenzfall zu schaffen, riet Seebach dem Ministerium, das Gesuch abzulehnen: »Es würden die Interessen des Königlichen Dienstes aufs Schwerste geschädigt werden, wenn es Herrn Anthes gelingen sollte, seine Entlassung durchzusetzen und es wäre zu befürchten, dass die Disciplin des Königlichen Institutes durch das Beispiel einer nicht gerechtfertigten, aber mit allen Mitteln erstrebten Entlassung schwer leiden könnte. Die Generaldirection würde, wenn Herr Anthes seinen Zweck erreichen sollte, in allen zu erwartenden Fällen, wo amerikanische Konkurrenz verlockend an die Künstler der Königlichen Hofoper herantritt, wehrlos sein.«

Um sein Ziel dennoch zu erreichen, führte Georg Anthes schließlich den Bruch mit dem Hoftheater herbei: er meldete sich krank, verließ Dresden und provozierte damit einen handfesten Theaterskandal, der mit Hilfe von Akten im Sächsischen Staatsarchiv einen präzisen Einblick in die Rechtslage am Theater um 1900 gewährt. Eine offizielle Kündigung des Vertrages seitens des Künstlers mit den entsprechenden Abgeltungen, wie es heutzutage üblich ist, war im System des Hoftheaters schlicht nicht möglich. Man kündigte nicht einem König! 

Und so wurde Anthes mitgeteilt: »Das Ministerium des Königlichen Hauses hat nicht verfehlt, Ihre an Seine Majestät den König unmittelbar gerichtete Eingabe vorzutragen, jedoch Ihren Ausführungen keinen ausreichenden Grund entnehmen können, um Ihr Gesuch um vorzeitige Entlassung aus dem Verbunde der Königlichen Hoftheater zu befürworten. Seine Majestät der König haben demzufolge Allerhöchst Sich nicht bewogen gefunden, auf Ihr Gesuch einzugehen.«

Währenddessen Generaldirektor Seebach weiterhin versuchte, den rebellischen Künstler ›einzufangen‹ und all seine Einwände und Gründe zu entkräften, war Anthes bereits nach New York abgereist. In der Folge entzog ihm das königliche Ministerium 1903 den Rang des Sächsischen Kammersängers und forderte die Rückgabe des Albrechtsordens. Diesen sollte Anthes im Büro des Kaiserlichen Generalkonsuls in New York abgeben. Zusätzlich verurteilte man ihn zu einer hohen Geldstrafe. Die Reaktion des aufgebrachten »heißblütigen Tenoristen« war anschließend unter dem Titel »Ohne Dank zurück. Wie Opernsänger Georg Anthes einen Orden loswurde« in der New Yorker Presse zu lesen. »Ich kann nur sagen, dass ich glaube, für meine Ehrenhaftigkeit bürgen zu können und dass ich weder Orden noch Titel brauche, um letzteres zu konstatieren. Wenn Einer ein Lump ist, so ist er meiner Ansicht nach ein Lump, selbst wenn seine Brust mit tausend Orden gepflastert ist. Ich weine dem Titel und dem Orden keine Tränen nach. Dem General-Konsul werde ich mitteilen, dass ihm der Orden in meinem Hotel (Marlborough Hotel) zur Verfügung steht, und dass die sächsische Regierung das dazu gehörige Dekret bei meinem Bruder, der in Dresden einer Gesangsschule vorsteht, abholen kann«, kommentierte Georg Anthes den Vorgang an anderer Stelle. Ob der Generalkonsul den Orden in dem genannten Hotel jemals abholen ließ, ist unbekannt.

Georg Anthes kehrte nie nach Dresden zurück. Die letzten Eintragungen in den Akten finden sich aus dem Jahr 1915. Nach nur einer Spielzeit in New York ging er für zehn Jahre an die Oper in Budapest. Von dort aus gastierte er weiterhin, kehrte nochmals für eine Spielzeit 1908/09 an die »Met« zurück und wurde 1913 Professor am Konservatorium von Budapest sowie 1920, zwei Jahre vor seinem Tod, erster Regisseur der Budapester Oper.

Die Semper Geschichte erschien am 23. Februar 2022. Autorin: Juliane Schunke (Dramaturgin)