»Semper!«-Magazin

VIER 2022/23

Vorwort

Liebes Publikum,

Nach unserem Abschied im vergangenen Jahr von Salzburg haben die Sächsische Staatskapelle und ich erstmals die Möglichkeit, die Feiertage um Ostern in Dresden zu gestalten. Was läge näher, als sich einem der Hausgötter der Semperoper zu widmen? Anlässlich der »Richard Strauss-Tage in der Semperoper« vom 2. bis 16. April möchten wir Ihnen Einblicke in das beeindruckende Werk des so eng mit Dresden und der Staatskapelle verbundenen Komponisten geben.

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Eröffnet werden die Festtage unter meiner Musikalischen Leitung mit Wiederaufnahmen der beiden Opern »Der Rosenkavalier« und »Arabella«, die dem fruchtbaren Austausch zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal entsprangen. Beide Uraufführungen fanden zudem am Dresdner Opernhaus statt, ein Umstand, der uns bis heute mit Stolz erfüllt.

Unter der Leitung meines geschätzten Kollegen Jakub Hrůša wird in einem Sonderkonzert Strauss’ Tondichtung »Don Juan« erklingen; ein Werk, das am 10. Januar 1890, nur wenige Wochen nach seiner Weimarer Uraufführung, auch in Dresden auf dem Programm stand. Es freut mich besonders, eine weitere Tondichtung, »Tod und Verklärung«, im 9. Symphoniekonzert zu dirigieren.

Sie dürfen sich außerdem auf Raritäten freuen: das selten zu hörende Fragment aus der Oper »Die Liebe der Danae« sowie das für Chor und Orchester geschriebene Werk »Besinnung«. Bei Letzterem handelt es sich um ein vom zeitgenössischen Komponisten Thomas Hennig vollendetes Fragment, das auf Hermann Hesses Gedicht »Göttlich ist und ewig der Geist« basiert. Als Solistin für Szenen aus »Capriccio« und »Daphne« werden Sie die Sopranistin Diana Damrau hören, eine herausragende Strauss-Interpretin, mit der mich eine langjährige Zusammenarbeit verbindet.

Ich lade Sie herzlich ein, sich Vertrautem und weniger Vertrautem aus dem breit gefächerten OEuvre von Richard Strauss zu widmen. 

Ihr
Christian Thielemann
Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden


Premiere

Szene aus der Oper »La sonnambula« am Théâtre des Champs-Élysées
Premiere

Viel stärker als sie selbst

Nach 130 Jahren ist Vincenzo Bellinis Oper »La sonnambula« erstmals wieder in Dresden zu sehen. In seiner Interpretation offenbart Regisseur Rolando Villazón die Heldin Amina als lebensfrohe, freiheitsliebende Rebellin

Vincenzo Bellinis »La sonnambula« (»Die Schlafwandlerin«) war bei ihrer Uraufführung am 6. März 1831 im Teatro Carcano in Mailand ein großer Publikumserfolg, erlebte schnell ihren weltweiten Durchbruch und ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Werk. Bellini komponierte seine Oper für Giuditta Pasta, eine der besten Sopranistinnen ihrer Zeit. So sollte sie neben der lyrischen Amina wenige Monate später auch Bellinis dramatische Norma werden und wurde für ihr breites Repertoire an Ausdruck menschlicher Emotionen überall gefeiert. »La sonnambula« trägt als Gattungsbezeichnung Opera semiseria, was zu deutsch so viel wie »halbernste Oper« bedeutet, und darauf hinweist, dass die Handlung ernst ist, aber gut endet: Ein ländliches Milieu und eine schaurig-schöne Erzählung über ein des Nachts umhergehendes Gespenst bilden den Rahmen für die Geschichte einer jungen Frau, die schlafwandelt und deren Lebensglück tragischerweise beinah dem Aberglauben einer der Aufklärung verschlossenen Gesellschaft zum Opfer fällt. Dabei ist das Ganze mit ein bisschen Frivolität, Intrige und Eifersucht gewürzt und von Bellini mit farbenreicher Musik, unendlichen Melodien voller Leichtigkeit, Beschwingtheit und Idylle versehen.

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In einem abgelegenen Schweizer Bergdorf steht die junge Waise Amina kurz vor der Heirat mit dem reichen Pächter Elvino – sehr zum Kummer der Gastwirtin Lisa, mit der Elvino zuvor verlobt war. In die Feierlichkeiten hinein platzt Rodolfo, der Sohn des verstorbenen Grafen, der aber zunächst inkognito in der Herberge Lisas absteigen will. Die Schönheit Aminas bezaubert ihn und ruft Elvinos Eifersucht hervor. Als Teresa, die Adoptivmutter Aminas, alle zum Aufbruch mahnt, da die Stunde herankomme, in der ein Gespenst allnächtlich durch die Straßen wandele, gehen alle schnellstens nach Hause. Des Nachts erscheint plötzlich die schlafwandelnde Amina am Fenster des Grafen. Sie hält ihn für ihren Verlobten und imaginiert in ihrem träumerischen Zustand die bevorstehende Hochzeit mit ihm. Der aufgeklärte Rodolfo zieht sofort den Schluss, dass die Schlafwandlerin das umhergehende Gespenst sein muss, vor dem sich alle fürchten. Amina legt sich im Zimmer des Grafen schlafen und wird dort von der Dorfgemeinschaft, allen voran Lisa, entdeckt, und es kommt zum Eklat. Elvino verdächtigt Amina der Untreue und löst die Verlobung. Amina weiß nicht, wie ihr geschieht und ist verzweifelt. Alle Beteuerungen des Grafen, dass sie eine Schlafwandlerin sei und nichts geschehen ist, treffen zunächst auf taube Ohren. Elvino beschließt tags darauf, Lisa zu heiraten, doch in sprichwörtlich letzter Minute erscheint die schlafwandelnde Amina, nun für alle sichtbar, und ihr Geliebter und die Anwesenden müssen ihre Unschuld erkennen.

SCHLAFWANDELN AUF DER THEATERBÜHNE DAMALS ...

»Das zentrale Motiv dieser Oper ist das Schlafwandeln, ein Phänomen, das für einen Großteil des Publikums in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch unerklärlich war. Das machte es aber besonders geheimnisvoll, großartig für die Bühne geeignet und förderte sowohl die Fantasie des Publikums als auch die Kreativität der Künstler«, erzählt Regisseur Rolando Villazón, der mit seiner Inszenierung von Bellinis Oper nach Jean-Philippe Rameaus »Platée« nun zum zweiten Mal als Regisseur an der Semperoper arbeiten wird, bevor er im April in der Rolle des Orpheus in Monteverdis »L’Orfeo« selbst wieder als Sänger auf der Dresdner Bühne stehen wird. Ende des 18. und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war das Schlafwandeln ein beliebtes Motiv sowohl auf der Theater- als auch auf der Opernbühne. Stücke mit ähnlich entrücktem Zustand wie dem (vorübergehenden) Wahnsinn aus Liebe (Paisiello »Nina«, 1789) oder wegen heftiger seelischer Erschütterungen wie bei Elvira in Bellinis »I Puritani« (1835), in Donizettis »Lucia di Lammermoor« (1835) oder »Linda di Chamounix« (1842) waren ebenfalls sehr beliebt beim Publikum und auch Verdi lässt in »Macbeth« (1847) Lady Macbeth im Schlaf wandeln und fantasieren. Der Librettist Felice Romani, der laut seinem Biografen als Kind selbst stark unter Furcht vor Gespenstern litt, befasste sich schon vor »La sonnambula« in anderen dramatischen Texten mit diesem Thema. Als Grundlage für Vincenzo Bellinis Oper diente ein Stück des populären Dramatikers und Librettisten Eugène Scribe, das zunächst 1819 erfolgreich als Komödie aufgeführt und später zur Ballett-Pantomime umgearbeitet wurde. Romani ließ den Stoff dieses Werkes fast eins zu eins in sein eigenes Libretto einfließen. 

... UND HEUTE

»In unserer heutigen Zeit ist die Furcht vor dem Phänomen des Schlafwandelns längst nicht mehr nachzuvollziehen«, erklärt der Regisseur seinen konzeptionellen Ansatz. »Aminas Schlafwandeln steht für mich für etwas Anderes. Amina lebt in einer Gesellschaft, die unglaublich konservativ ist – was sehr gut in unsere Zeit passt. Abgeschieden von der Welt gibt es ganz klare Regeln, wie man sein muss, um dazuzugehören. Amina möchte zunächst ein Teil dieser Gesellschaft sein und die Heirat mit Elvino gibt ihr die Chance dazu. Doch dann bricht sie aus.« Die junge Frau spürt schon lange, dass sie nicht in diese Gesellschaft hineinpasst. Solange sie wach ist, kann sie das System erfüllen, aber im Zustand des Schlafwandelns ist sie endlich frei, sie selbst zu sein. »Für mich ist dieser Zustand der Inbegriff all dessen, was Amina in der wachen Welt nicht sagen und nicht tun kann. Wenn sie schläft, bestimmt ein inneres Wesen aus Lebensfreude, Spontaneität und Freiheitsliebe ihr Verhalten. Und dieser Impuls ist viel stärker als sie.« 

DIE INNERE UND ÄUSSERE WELT

Der mehrfach preisgekrönte und zuletzt mit dem Preis der Stiftung Semperoper ausgezeichnete Bühnenbildner Johannes Leiacker hat für »La sonnambula« einen Raum geschaffen, der gleichzeitig die Enge der Gesellschaft und die angestrebte Weite und die Natur von Aminas Persönlichkeit verkörpert. »Der Raum mit seinen Wänden und Türen, die wer weiß wohin führen, im unteren Teil zeichnet schon eine Beengtheit der Seele Aminas nach, die sich erst im oberen Teil in das Alpenpanorama und darüber hinaus weitet. Zudem haben wir eine Tänzerin in der Produktion, die wie eine Art personifizierter Geist von Aminas Freiheitsdrang fungiert. Sie gibt der inneren Welt Aminas Gestalt, die viel größer ist als die äußere«, beschreibt Rolando Villazón die Idee dieser zusätzlichen Figur. »Außer Amina gibt es nur eine einzige Figur, die dieses Außen kennt und in Einheit mit seiner Natur erlebt: Es ist Rodolfo, der heimgekehrte Graf. Er muss sich aus einer aufgeklärten, möglicherweise moderneren Welt über eine Leiter ziemlich umständlich Zugang zu dieser Gesellschaft verschaffen und wird sie sicher auch schnellstens wieder verlassen.« 

ZWISCHEN KOMÖDIE UND TRAGÖDIE

Bellinis an die Komödie angelehnte, leichte, elegische Partitur macht dem Regisseur die psychologische Deutung der durchweg seriösen Figuren nicht immer leicht. »Mich interessiert, wo die Brüche sind zwischen der Komödie und der Tragödie, auch musikalisch, und da hake ich ein.« Bellinis Figuren scheinen eher einer Opera seria entnommen. »Es gibt keine komischen Figuren, alle sind auf ihre Weise tiefgründig und komplex. Lisa, die verlassene Geliebte, die nun einen anderen heiraten muss, um respektabel zu bleiben. Teresa, die als Witwe auch eher am Rand dieser restriktiven Gesellschaft lebt und nicht zuletzt Elvino selbst, der zwischen den Frauen nur so hin- und herzuwechseln scheint. In meiner Interpretation gibt es kein Happy End mit Elvino. Amina will diesen Ort um jeden Preis verlassen«, fasst Rolando Villazón zusammen. »Meine Aufgabe ist, ihre Geschichte zu erzählen, ohne die Musik zu stören. Sie ist wie eine dramaturgische Choreografie.«

In Dresden fand übrigens 1834 die Deutsche Erstaufführung von Bellinis neben »Norma« (1831) berühmtester Oper statt. Wurde sie damals noch in italienischer Sprache im Morettischen Opernhaus gespielt, bekam man sie seit 1846 in der ersten Semperoper ausschließlich auf Deutsch zu hören. Letztmalig war »La sonnambula« 1893 in Dresden zu sehen. Seite an Seite mit Regisseur Rolando Villazón arbeitet nun an der ersten Produktion seit 130 Jahren der italienische Dirigent Evelino Pidò. Der ausgewiesene Spezialist für die historische Aufführungspraxis von Belcanto Opern gibt mit »La sonnambula« und einer erlesenen Sänger*innenbesetzung sein Debüt in Dresden und wird mit seinem besonderen Dirigat Stimmen und Koloraturen zum Leuchten bringen. 

Juliane Schunke

»Solche Märchen glauben wir nicht. Nein, das gibt es nicht, das kann nicht sein.«

DORFBEWOHNER

Ansichten

Ansichten

Die Gespenstersonate

Ein junger Student, der mit Toten spricht; ein Alter, der sich die Hilfe seiner Mitmenschen erschleicht; ein Oberst, dessen Frau seit Jahren wie eine Mumie im Wandschrank haust und sich für einen Papageien hält sowie die schöne, aber kränkliche Tochter ... Was zunächst als bizarre Tischgesellschaft beginnt, wird schnell zur bitterbösen Abrechnung. »Alle agieren in einem Netz aus Unwahrheiten und gefälschten Biografien. Ausgehöhlte Beziehungen sind die Folge; eine Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs «, erklärt die Regisseurin des Stücks, Corinna Tetzel.

Nahaufnahme

Nahaufnahme

Im Verborgenen

Die Figurinen der Kostümbildnerin Birgit Wentsch zur Inszenierung »Le nozze di Figaro / Die Hochzeit des Figaro« zeigten historische Bilder aus der Zeit der Commedia dell’Arte. Die Kostümmalerinnen der Sächsischen Staatstheater bearbeiteten daraufhin aufwendig die Kostüme. Der grobe Stoff, der von der Schneiderei durch Nähte in Rauten »gelegt« wurde, wurde von den Kostümmalerinnen durch einen zusätzlichen schwarzen Farbauftrag auf der Naht versehen, um Plastizität zu erreichen.

Interessant ist vor allem, dass die eigentliche Farbigkeit von innen auf den Stoff aufgebracht wurde, sozusagen im Verborgenen. Die Farbe »drückt« sich durch die Stofflichkeit hindurch und erzeugt einen ganz eigenen Effekt. Ziel war es, durch diese Technik den Kostümen Lebendigkeit einzuhauchen und ihnen »Charakter« zu verleihen. Anders als bei Stoffen »von der Rolle« sind Abweichungen in der Farbigkeit möglich und erwünscht, abhängig vom Grundstoff, aber auch der »Handschrift« der Kostümmalerin und dem Bühnenlicht.

Premiere

Treppenaufgang

O süßeste Augen, ich kann euch sehen, ich kann ... doch weh mir, welch Dunkel umgibt euch?

ORPHEUS

Premiere

Das Happy End als Vorspeise, die Tragödie als Hauptgang

Zum ersten Mal bringt die Semperoper »L’Orfeo« von Claudio Monteverdi auf die Bühne. Die Interpretation verantwortet der gefeierte Puppenspieler und Regisseurs Nikolaus Habjan, der damit sein Hausdebüt gibt

Nur ein einziger Augenblick, im wahrsten Sinn des Wortes: Ein Blick in die Augen und die beiden Liebenden Orpheus und Eurydike sind für immer getrennt. Orpheus’ utopischer Traum, seine Frau aus der Welt der Toten zu befreien, schlägt fehl in dem Moment, in dem er sich nach ihr umdreht – und muss der bitteren und schmerzhaften Realität weichen. Dabei begann es im Freudenrausch: Mit einer pompösen und glorreichen Hochzeit sollte das Band der Liebe besiegelt werden, doch daraus wurde nichts. Eurydike stirbt. Orpheus muss in die Unterwelt hinabsteigen und dort mit Pluto, dem Gott der Unterwelt, verhandeln, damit er seine Geliebte zurückbekommt. Doch der Plan ist zu perfekt, irgendwas geht immer schief.

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»L’Orfeo« von Claudio Monteverdi ist ein einmaliges Werk. Seine musikalische Kraft beeindruckt bis heute das Publikum und sein psychologischer Inhalt und seine philosophische Sprengkraft sind der Grund dafür, dass »L’Orfeo« bis heute die beliebteste Frühbarock-Oper ist: Die tragische Geschichte kann aus unglaublich vielen unterschiedlichen Perspektiven interpretiert werden, und Monteverdis himmlische Instrumentierung mit beispielsweise den eindrücklichen Theorben entführt uns in die Zeit des 17. Jahrhunderts. Nun wird am 30. April 2023 das erste Mal dieses wunderbare Werk seine Premiere an der Semperoper feiern. Und ein großes Glück ist es, dass der Musikalische Leiter von Nikolaus Habjans Inszenierung, der Lautenist und international führende Spezialist für Alte Musik, Wolfgang Katschner, die Partitur mit seinem Ensemble, der lautten compagney BERLIN, auf historischen Instrumenten zum Leben erwecken wird.

DIE MUSIK IST RHETORIK

»Gestern wurde eine Komödie, wie immer szenisch und mit gewohnter Pracht, im Theater aufgeführt. Aber morgen wird seine Hoheit, der Herzog, im Saal jenes Palastteils, welcher der Herzogin von Ferrara zugewiesen ist, ein Stück aufführen lassen, welches einmalig sein wird, denn alle Mitwirkenden sprechen musikalisch«, diesen Text schrieb am 23. Februar 1607, also genau einen Tag vor der Uraufführung von »L’Orfeo«, ein Hofbeamter in Mantua an seinen Bruder in Rom. Obschon davon ausgegangen werden muss, dass die Aufführung eher einer konzertanten Veranstaltung glich, da am Hof von Gonzaga kein Gebäude mit Bühnenmaschinerie, die spektakuläre Effekte hätte ermöglichen können, zur Verfügung stand, war es trotzdem ein einschneidendes Ereignis der Musiktheatergeschichte. Auch wenn die Geburtsstunde der Oper nicht mit Monteverdis »L’Orfeo« begründet wurde, sondern es mit Jacopo Peris »La Dafne« (1598) und »L’Euridice« (1600) bedeutende Vorläufer gab, so hat dennoch Monteverdi mit seiner eigenwilligen Vertonung des antiken Stoffes die noch sehr junge Kunstform maßgeblich beeinflusst und weiterentwickelt. Im 16. Jahrhundert war die Musik geprägt von fünfstimmigen Madrigalen, die der Kunst des Kontrapunkts unterworfen sind. Monteverdi, der selbst dieses Genre beherrschte wie kaum ein anderer, suchte jedoch nach Neuem: Er verstand die Musik nicht als mathematische Formel, sondern als ein rhetorisches Mittel, um menschliche Emotionen auszudrücken. Daher rückten die Darstellung und Auslegung eines literarischen Textes in den Vordergrund. Den Menschen in den Mittelpunkt stellend, suchte Monteverdi nach dem »Ich«: Das menschliche Subjekt bekam von nun an eine Stimme. Beispielsweise in Eurydikes Gesang »Io non dirò qual sia nel tuo gioir, Orfeo« (»Ich kann nicht sagen, Orpheus, wie groß mein Glück ist«) wird dies gefunden und muss damals auf das Publikum revolutionär gewirkt haben. 

EIN KAMPF ZWISCHEN APOLLO UND PLUTO

Im antiken Denken verstand man eine Komödie als ein Drama mit komischem oder heiterem Inhalt, der schließlich zu einem glücklichen Ausgang führen wird. Entscheidend dabei ist, dass die Figuren sich in einem lösbaren Konflikt befinden. In Claudio Monteverdis Oper »L’Orfeo« ist dies nicht entschieden: Orpheus’ Wirken, Eurydike von den Toten zu retten, ist vergebens, der Konflikt bleibt also bestehen, und das Ende bleibt vage, ob es tragisch oder hoffnungsvoll ist. Nach einem Prolog, in dem die personifizierte Musik eine Einführung in den antiken Mythos gegeben hat, beginnt die Oper – oder wie Monteverdi sie noch bezeichnete: die »Favola in musica« – mit dem größten Glücksmoment aus dem Leben von Orpheus und Eurydike. Nach langen qualvollen Jahren der Trennung sind die beiden vereint und heute sollen sie glücklich vermählt werden. Das Happy End gibt es also als Vorspeise – kann es überhaupt noch besser kommen? Nein, denn von »diesem frohen und glücklichen Tag« an, wie ihn die Hirten besingen, geht alles bergab, im wahrsten Sinn des Wortes: Noch bevor Eurydike verheiratet ist, wird sie von einer Schlange gebissen und stirbt. Der todunglückliche Bräutigam beschließt, seine Frau aus dem Totenreich zurückzuholen. Doch bekanntlich scheitert dieses Vorhaben, da er gegen ein Gesetz der Unterwelt verstößt und zu seiner Angebeteten zurückschaut. War es seine Ungeduld, war es das fehlende Vertrauen in Eurydike, war es eine Unachtsamkeit oder war es ein vorsätzlich provoziertes Duell mit den Göttern der Unterwelt, um zu prüfen, wie standhaft sie mit ihren Gesetzen umgehen? Am Ende der Oper entscheidet sich Orpheus, seinem Vater Apollo in den Himmel zu folgen mit der Aussicht, dass er dort ein »schönes Ebenbild« von Eurydike entdecken wird, denn seine Liebste wird er unabänderlich nie mehr zu Gesicht bekommen. Anschließend preisen die Nymphen und Hirten Orpheus und stilisieren ihn zum unangefochtenen Helden. Ein Happy End ist dies nicht, aber dennoch ein deutlich versöhnlicherer Schluss als bei Ovid in den »Metamorphosen«, wo Orpheus von Mänaden, berauschten Anhängerinnen des Dionysos, zerrissen wird.

DIE KRAFT DER MUSIK

In der Mitte der Oper verbirgt sich der dramatische Höhepunkt, Dreh- und Angelpunkt und schier unendlicher Moment höchsten Glücks und gleichzeitig tiefsten Unglücks: Orpheus dreht sich zu Eurydike um, sieht sie an und muss dann aber für immer von ihr lassen, da er damit gegen die Abmachung verstößt. Für diese Gleichzeitigkeit von Glück und Unglück wählt Monteverdi den Klang der Orgel, ein sakrales Instrument, die Ewigkeit symbolisierend. Die Zeit steht still, ob im Jenseits oder im Diesseits. Im Sprechtheater wäre hier wahrscheinlich ein Moment der Stille, Abwesenheit des Textes. »Die Musik ermöglicht es, diesem Moment eine besondere Atmosphäre, eine spezifische Interpretation und eine definierte Länge zu geben«, schreibt die Monteverdi- Expertin Silke Leopold. Aus heutiger Perspektive mag es logisch wirken, dass die Musik diesen magischen Augenblick festhält – damals war dies jedoch für die Zuhörer*innen etwas ganz Neues. Die Musik als verbindendes dramaturgisches Element zwischen den Welten, zwischen Himmel, Erde und Unterwelt. »L’Orfeo« ist wie kaum eine andere Oper ein großes Plädoyer für die Kunst, für die Musik. So ist es Orpheus, Sohn des Gottes der Musik Apollo, der anhand der geschenkten Lyra und seines virtuosen Gesanges – er war der beste Sänger weit und breit – wildeste Tiere zähmte; sogar Bäume neigten sich ihm zu und Steine und Felsen vergossen Tränen. Am Ende der Oper ist es der Blick und der Gesang, der den beiden Liebenden bleibt und Kraft für ihr Schicksal spendet. 

PUPPEN DOUBELN DIE SÄNGER*INNEN

Der österreichische Regisseur, Puppenspieler und Kunstpfeifer Nikolaus Habjan sieht die Figur des Orpheus kritisch: »Er lässt Eurydike kaum Luft zum Atmen, die ganze Zeit spricht nur er. Er wird sogar übergriffig ihr gegenüber. Sie jedoch wirkt bescheiden und demütig.« Wie so oft in seinen Inszenierungen spielen Puppen eine bedeutende Rolle, so auch beim »L’Orfeo«, wo Orpheus und Eurydike von Puppen gedoubelt werden. Wichtig ist Habjan dabei, dass nicht nur Puppenspieler*innen die Puppen, die Schatten der Figuren darstellen, spielen, sondern auch die Solisten*innen selbst mit den Puppen hantieren. »So taucht beispielsweise Orpheus mit der »toten-Eurydike«-Puppe auf und versucht, in der Unterwelt mit den Göttern zu verhandeln.« Zentral scheint Nikolaus Habjan auch, dass die dichotomische Struktur des Werkes in ihrer philosophischen Kraft nicht außer Acht gelassen wird: »Orpheus’ Gang in die Unterwelt kann man als den Lebensweg jedes Einzelnen verstehen: Wie weit bin ich bereit zu gehen? Welches Risiko gehe ich dabei ein? Wann ist ein Gang zu Ende?«

Benedikt Stampfli

Orpheus lässt Eurydike kaum Luft zum Atmen, die ganze Zeit spricht nur er. Er wird sogar übergriffig ihr gegenüber. Sie jedoch wirkt bescheiden und demütig.

NIKOLAUS HABJAN

2x2 Fragen

2 x 2 Fragen

... an Hanna-Elisabeth Müller

Die deutsche Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller ist in der Rolle der Arabella in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper an der Semperoper zu erleben

WODURCH ZEICHNET SICH DIE SCHWESTERNBEZIEHUNG ZWISCHEN ARABELLA UND ZDENKA AUS?

Die Schwesternbeziehung ist deshalb eine so besondere, weil sie als einzige zwischenmenschliche Beziehung in dieser Oper auf echte, aufrichtige Ehrlichkeit aufbaut. Ohne Manipulation. Zdenka und Arabella hängen aneinander und beide sind sich der Last bewusst, die die jeweils andere trägt. Zdenka, die als Junge ausgegeben wird, Arabella, die mit einer Ehe die Familie vor dem Ruin bewahren soll.

ARABELLA SEI EINE »DURCHAUS MODERNE FIGUR«, HAT DER LIBRETTIST HUGO VON HOFMANNSTHAL 1927 AN RICHARD STRAUSS GESCHRIEBEN. IST SIE DAS HEUTE IMMER NOCH?

Sie ist eine starke Persönlichkeit, ist sich ihrer Gefühle absolut sicher, begegnet Mandryka auf Augenhöhe und wählt die Liebe auf den ersten Blick statt einen von ihren Eltern angepriesenen Verlobungskandidaten. Ihre Schwester beschützt und unterstützt sie. Alles in allem eine auch aus heutiger Sicht moderne Frau, die beschließt, ihren eigenen Weg zu gehen.

ARABELLA ERTRÄUMT SICH MIT »DEM RICHTIGEN« IHRE WAHRE LIEBE. GLAUBEN SIE AN DAS FÜREINANDER BESTIMMTSEIN?

Das ist eine Frage, über die ich tatsächlich nachdenken muss. In erster Linie klingt das füreinander Bestimmtsein spirituell und hoch romantisiert, aber man begegnet im Leben so vielen Menschen und trotzdem sagt man bei einer Person: mit dir möchte ich mehr erleben, mehr Zeit verbringen, dich möchte ich neben mir sehen, wenn du alt bist. Wenn man das gegenseitig empfindet, ist man doch irgendwie füreinander bestimmt!

 

WAS IST FÜR SIE DAS BESONDERE DARAN, STRAUSS ZU SINGEN?

Strauss schuf Musik, in die ich mich hineinlegen möchte und von der ich mich gerne davontragen lasse. Technisch ist sicher nicht alles einfach, aber Strauss muss Sänger sehr geliebt haben. Perfekte Linien, Bögen, Wortverteilung, eine Spiegelung und auch Verschmelzung von Wort und Musik, Stimme mit Orchester. Was für ein großes, großes Glück, diese Musik singen zu dürfen.

kurz und bündig

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Der Tanz:Film ist zurück

Ab April gibt es im PK Ost drei neue Termine der beliebten Tanz:Film-Reihe. Im April ist der Erste Solist, Ballettmeister und Artistic Advisor des Semperoper Ballett, Marcelo Gomes (2023/24), im Tanz:Film mit dem Film »Anatomy of a Male Ballet Dancer« zu Gast. Im Anschluss an den Film, der Gomes’ Tanzkarriere dokumentiert, steht der Künstler für ein Gespräch mit dem Publikum bereit. 

In Kooperation mit dem Programmkino Ost 
Termine am 5. April, 3. Mai & 21. Juni 2023 
Tickets sind ausschließlich an der Kinokasse des Programmkino Ost erhältlich. 
 

Weitere Infos

Strauss-Tage

Richard Strauss-Tage

»Ich freue mich riesig über den kolossalen Erfolg …«

Zu den »Richard Strauss-Tagen in der Semperoper« 2023

Unter dem Dirigat von Christian Thielemann und Jakub Hrůša erklingen in den beiden symphonischen Konzerten Werke wie »Don Juan«, »Tod und Verklärung« oder die Schlussszene aus »Capriccio«, die das spieltechnische Können und die Musikalität der Kapellmusiker*innen auf das Höchste herausfordern und das Wunder von Richard Strauss’ Instrumentationskunst erfahrbar machen. Der 6. Kammerabend der Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle schlägt mit dem Frühwerk »Serenade für 13 Blasinstrumente Es-Dur«, dessen Uraufführung 1882 in Dresden stattfand, und der rekonstruierten Urfassung der »Metamorphosen« von 1946 einen großen – auch emotionalen – Bogen hin zur Trauer über die Zerstörungen der einstigen Wirkungsstätten des Komponisten: »Mein schönes Dresden-Weimar-München, alles dahin!«

Ganz anders die Opern, die anlässlich der Strauss-Tage zur Aufführung kommen. Die beiden Opern »Der Rosenkavalier« und »Arabella«, beide unter der Musikalischen Leitung von Christian Thielemann, besingen und feiern die Welt Wiens, des Fin de Siècle und des Rokokos. Mit Poesie, Ironie und viel Sinn für Menschlich-Allzumenschliches verzaubern Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal immer wieder aufs Neue … 

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Bereits 1909 wurden in Dresden Richard Strauss-Tage veranstaltet. Während der »Richard Strauss-Tage in der Semperoper« 2023 widmen das Opernhaus und die Sächsische Staatskapelle Dresden mit ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann dem bedeutenden Komponisten ein breites Programm, das die enge Beziehung von Strauss zu Dresden und der Staatskapelle dokumentiert. Denn seit der junge Komponist 1883 zum ersten Mal die Stadt besuchte, entwickelte sich über Jahrzehnte eine intensive künstlerische und kreative Verbundenheit mit der Oper und ihren Musikdirektoren. Neun seiner insgesamt 15 musikdramatischen Werke wurden hier uraufgeführt, darunter 1905 »Salome«, über dessen Erfolg der Komponist begeistert an Ernst von Schuch schrieb: »Ich freue mich riesig über den kolossalen Erfolg …«

Und erfolgreich sollte es weitergehen, u.a. mit »Elektra«, »Arabella« und natürlich mit »Der Rosenkavalier«. Legendär sind die Sonderzüge, die von Berlin aus eingesetzt wurden, um die begeisterten Besucher*innen an die Elbe zu den Vorstellungen zu bringen. Aber auch zahlreiche Instrumentalwerke wurden eigens für die Staatskapelle komponiert, wie nicht zuletzt die gewaltige »Alpensymphonie«.

Johann Casimir Eule


Ansichten

Ansichten

Ariadne auf Naxos

Die Trauer der verlassenen Ariadne prallt auf die Lebenslust der Komödiantin Zerbinetta. David Hermann lässt in seiner Inszenierung des 1916 uraufgeführten Werkes die Welt der griechischen Tragödie auf die Leichtigkeit des französischen Rokoko treffen. »Ariadne auf Naxos« ist eine Oper über die Oper, über Treue und Wechsel und über die Verwandlungskraft der Liebe.


kurz und bündig

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Kostümverkauf in der Semperoper

Die Mitarbeiter*innen in den Kostümwerkstätten der Sächsischen Staatstheater fertigen jedes Jahr circa 2.000 neue Kostüme nach Maß. Am 22. Januar 2023 werden von 10 bis 15 Uhr zahlreiche Originalkostüme aus dem Kostümfundus in der Garderobenhalle der Semperoper zum Verkauf angeboten. Außergewöhnliche Kostümschätze für Opern- und Faschingsfans sowie für den nächsten großen modebewussten Auftritt können erworben werden.

Staatskapelle

Staatskapelle

Zwischen den Säulen des Repertoires

»Don Juan« war bereits acht Wochen nach der Uraufführung in Dresden zu hören

Die Staatskapelle und Richard Strauss – das ist eine kongeniale Einheit. Dabei hatte es der Münchner zunächst schwer in Dresden. Jakub Hrůša blickt im Sonderkonzert anlässlich der Richard Strauss-Tage in die Frühzeit der Beziehung zurück. 

So viel Mut muss man erst mal haben: Nur acht Wochen waren seit der Uraufführung des »Don Juan« von Richard Strauss in Weimar am 11. November 1889 vergangen, da wurde das Werk bereits in Dresden aufs Programm gesetzt. Sicher: An der Ilm war das Stück mit Begeisterung aufgenommen worden. Aber dort war es ein Heimspiel – der junge Komponist war in Weimar als zweiter Kapellmeister engagiert. 

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Für die Dresdner Musikszene war der Münchner dennoch kein Unbekannter. Schon fünf Jahre zuvor hatte Ernst von Schuch erstmalig ein Werk von Richard Strauss an der Elbe dirigiert. Doch die c-Moll-Ouvertüre des damals erst 20-Jährigen hinterließ kaum bleibende Eindrücke: Der Kritiker der »Dresdner Nachrichten« erwähnte 1884 lediglich, dass die Kapelle das Werk mit »vollstem Ausdruck und hingebendster Sorgfalt ausgeführt« hätte. 

Das war im Januar 1890, als mit »Don Juan« ein Großwerk des Komponisten auf dem Programm stand, anders. In ihrem Verriss bemühten die »Dresdner Nachrichten« das Publikum als Zeugen: »Ein mäßiger Beifall suchte dem Werk eine Art Achtungserfolg zu verschaffen, doch dieses bescheidene Bemühen wurde von anderer Seite durch kräftige Zischer so gut wie unmöglich gemacht«, hieß es. 

Was war passiert? Im Konzert hatte Adolf Hagen, Kapellmeister der Königlichen musikalischen Kapelle, das Werk zwischen zwei Säulen des Repertoires geschoben: Beethovens Zweite eröffnete den Abend, Schumanns Zweite beschloss ihn. »Don Juan« in der »Sandwich-Position« konnte beim konservativen Dresdner Publikum darum nur verlieren. Denn Strauss stand wie alle jungen Komponisten seiner Zeit vor der Grundsatzfrage zwischen (traditioneller) Symphonie oder (moderner) symphonischer Dichtung – ein Richtungsstreit, der damals scharf ausgefochten wurde. Richard Strauss entschied sich frühzeitig für die Neutöner. Die damalige Programmfolge ist so vor allem ein dramaturgischer Fehler, erscheinen die Symphonien doch wie ein Korsett, mit dem ein »junger Wilder« in rechte Bahnen gebracht werden sollte. 

Zum Glück nahm die Geschichte einen anderen Lauf, und die Dresdner Hofkapelle wurde zum Strauss-Orchester per se. Ab 1905 dirigierte der Komponist seine »lieben Dräsdner« regelmäßig und widmete ihnen gar die »Alpensymphonie«. Der Fehler von 1890 wird sich im Sonderkonzert nicht wiederholen: Jetzt wird »Don Juan« mit Hector Berlioz’ »Symphonie fantastique« kombiniert – jener leidenschaftlichen Programmsymphonie, die zum Vorbild vieler Neutöner des 19. Jahrhunderts wurde und die der Franzose bereits 1843 in Dresden dirigierte.

Hagen Kunze

Freitext

Ich konnte mal weinen, jetzt bin ich jenseits der Tränen

Suzy

Aus der musikalischen Perspektive von sechs Sängerinnen und zwölf Orchestermusiker* innen weitet sich in Philip Venables’ Kammeroper der Zustand des Unsagbaren in hochpoetischen und zugleich schonungslosen Texten zum fassbaren Raum. Die deutschsprachige Erstaufführung in der Inszenierung von Tobias Heyder versetzt Darsteller*innen, Musiker*innen und das Publikum gleichermaßen in einen in Ausstattung und Aktion auf das Wesentliche reduzierten »Seelenraum«. 

Philip Venables, »4.48 Psychose«

Historisches Archiv

Zwischen Seelensang und Bühnenschrei

In dieser Spielzeit präsentieren wir Ihnen fünf Künstlerinnen, die an der Dresdner Staatsoper Musikgeschichte geschrieben haben. Anlässlich der Premiere von »La sonnambula« berichten wir über Wilhelmine Schröder-Devrient

Wilhelmine Schröder-Devrient (1804–1860) galt schon zu Lebzeiten als eine der bedeutendsten dramatischen Sängerinnen. Ihre Auftritte, gleichermaßen von Leidenschaft und Innigkeit geprägt, machten Furore. Sie wurde vom Publikum bejubelt und von zeitgenössischen Künstlern, darunter Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber und Robert Schumann, hoch verehrt. Vor allem Richard Wagner war von ihrer Bühnenkunst maßgeblich inspiriert – so stark, dass seine »künstlerischen Gefühle plötzlich eine neue und für das ganze Leben entscheidende Richtung« nahmen, wie er selbst schrieb. So hatte die Schröder-Devrient als Inbegriff der singenden Tragödin auch einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Oper. 

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Dem Geheimnis ihrer Faszination auf den Grund zu gehen, ist kein leichtes Unterfangen. Denn heute zeugen lediglich historische Theaterzettel, Musikkritiken oder persönliche Erinnerungen von den künstlerischen Leistungen dieser legendären Sängerin. Wie ihre Stimme geklungen haben mag, mit welchen szenischen Mitteln sie das Publikum berührte, können wir nur vermuten. 

Auffällig ist die große Bandbreite unterschiedlichster Bühnenrollen, die sie im Laufe ihrer Karriere verkörperte. Sowohl lyrische als auch große dramatische Sopranpartien meisterte sie mit Bravour und wurde zur weiblichen Gallionsfigur des Deutschen Departements der Dresdner Hofoper. Hier sang sie ab 1823 bis 1847 eine Vielzahl an Ur- und Erstaufführungen, u. a. Leonore (»Fidelio«), Agathe (»Der Freischütz«) sowie die Titelfiguren in »Euryanthe«, »Iphigenie in Tauris«, »Alceste« und wirkte in Richard Wagners Dresdner Uraufführungen »Rienzi«, »Der fliegende Holländer« und »Tannhäuser« als Protagonistin mit. Da der Spielplan der Dresdner Hofoper noch bis in die 1830er/40er Jahre von Werken italienischer und französischer Provenienz dominiert wurde, besetzte man Schröder-Devrient ebenfalls im sogenannten Belcantofach. So schlüpfte sie beispielsweise 1831 in die Hosenrolle des Romeo in Bellinis »I Capuleti e i Montecchi«, war als Amina in der deutschen Erstaufführung von »La sonnambula« (27.9.1834) und in der Titelpartie von »Norma« (20.2.1835) zu erleben. Obwohl sie sich mit dem glockenklaren Nachtigallen-Gesang der italienischen Primadonnen, insbesondere in den verzierten Passagen, nicht messen konnte, zog sie auch hier das Publikum in ihren Bann. Wilhelmine Schröder-Devrient vereinfachte allzu komplexe Läufe und Koloraturen zugunsten einer schlichten, intensiven und daher von vielen als authentisch wahrgenommenen Gesangsdarbietung. Außerdem überzeugte sie durch ihr reiches Repertoire an gestalterischen Ausdrucksmitteln. Neben berührenden Gefühlsnuancierungen wurde der dramatische Bühnenschrei zu ihrem effektvollen Markenzeichen, das in den Feuilletons ganz Europas beschrieben wurde. Nach einer Wiener Aufführung von »La sonnambula« lobte ein begeisterter Rezensent »ihren Naturlaut der Leidenschaft und des tiefsten glühendsten Gefühls, welchen diese große Künstlerin … von dem leisen Hauch des verklingenden Seufzers an bis zum gellenden Schrei des zerrissenen Herzens, zu beherrschen versteht.« (»Wiener Zeitung für Kunst, Literatur, Theater und Mode«, 2.12.1834).

In seiner »Geschichte des Hoftheaters zu Dresden« spürte der zeitgenössische Autor Robert Prölls dem Bühnenzauber Wilhelmine Schröder- Devrients nach: »Sie singt mehr mit der Seele, als mit der Stimme, ihre Töne kommen, mehr aus dem Herzen als aus der Kehle, sie vergisst das Publikum, sie vergisst sich selbst, um ganz in dem Wesen aufzugehen, welches sie darstellt.«

Katrin Rönnebeck


Education

Semperoper Education

Erste Opernerlebnisse

Die Semperoper Education hat neue Formate in ihrem Programm, um Schulklassen und Vorschulgruppen sowie Familien erste Opernerlebnisse zu ermöglichen oder diese zu begleiten. Mit drei unterschiedlichen Workshop-Formaten und den Werkeinführungen für Familien gelingt der Erstkontakt mit dem Musiktheater garantiert.

MIT DER KLASSE IN DIE OPER?
Unbedingt! Aber: Welches Stück ist das richtige für die Schüler*innen und wie können sie am besten auf den Gesang, die Instrumente des Orchesters und die Figuren vorbereitet werden?

Mit unserer Workshop-Reihe »Musiktheater für Einsteiger*innen« setzten wir genau dort an. Die Musikpädagoginnen der Education-Abteilung bringen die (Vor-)Schüler*innen direkt in den KiTas oder Schulen mit dem Musiktheater in Kontakt und lassen die Kinder selbst aktiv werden.

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Im ersten Workshop »Musiktheater« gehen wir den Figuren der großen und kleinen Opern auf den Grund: An der Seite von Tamino stellen wir uns drei schwierigen Prüfungen, tanzen durch das Reich der Zuckerfee und bekämpfen mit Anti-Gespensterkugeln drei miese, fiese Kerle. Außerdem werfen wir einen Blick in den Orchestergraben. Welche Instrumente befinden sich dort, und wie klingt es eigentlich, wenn alle zusammenspielen? Wer sich der Oper lieber aus der Gesangspraxis nähern möchte, kommt in unserem zweiten Workshop auf seine oder ihre Kosten. Bei »Die Stimme« gibt uns eine Sängerin Einblicke in ihren Alltag und lässt alle Kinder und Jugendlichen für eine Schulstunde selbst aktiv werden. Nach einem gründlichen Einsingen wird die eigene Stimme erkundet und die Schüler*innen selbst zu Sänger*innen. Oder wäre eher eine instrumentale Klangreise gefällig? Beim dritten Workshop »Das Instrument« begleitet ein*e Musiker*in der Giuseppe Sinopoli-Akademie der Sächsischen Staatskapelle Dresden die Pädagoginnen und lässt die Klassenzimmer »erklingen«. Wer schon immer wissen wollte, wo die Schnecke bei der Geige versteckt ist, wie lang ein Horn wäre, wenn man es ausrollen würde oder wie es die Querflötistin schafft, auch über lange Passagen nicht außer Atem zu kommen, ist hier genau richtig.

Alle drei Workshops eröffnen spielerisch die Welt des Musiktheaters und bieten spannende und intensive Einstiege in die Künste – direkt im gewohnten Umfeld der Schule oder KiTa. Wer mit der Klasse eine Vorstellung besucht, kann sich auch für Vorbereitungsworkshops bei der Education-Abteilung melden.

MIT DER FAMILIE IN DIE OPER?
Aber auch Familien wollen wir bei ihrem (ersten) Opernbesuch nicht allein lassen: Zu ausgewählten Familienvorstellungen finden kindgerechte Einführungen statt. Kurzweilig und interaktiv lernen alle großen und kleinen Opernbesucher*innen die Handlung der jeweiligen Oper kennen und erfahren Spannendes über das Werk und die Inszenierung. In dieser Spielzeit können sich Familien noch auf Familieneinführungen zu »Die Zauberflöte« und »La Cenerentola / Aschenputtel« freuen. Und auch erfahrene Mozart- Expert*innen und Rossini-Profis werden sicher noch die ein oder andere neue spannende Anekdote hören.

Also, nichts wie los in die Semperoper! 

Hannah Kawalek

Education

Workshops

Musiktheater für Einsteiger*innen

In drei interaktiven Workshop-Formaten bringen wir die Welt des Musiktheaters direkt in die KiTas und Klassenzimmer.

Workshops

Opernvogel

Opernvogel

Ein Totenvogel?

Auch wenn die größte Eule der Welt, der Uhu, gern »König der Nacht« genannt wird, so ist der Uhu in dieser aktuellen »Semper!«-Magazin-Ausgabe der Opernvogel für unsere Neuproduktion »L’Orfeo«. Wegen seiner nächtlichen Lebensweise gilt der Uhu als Trauer- und Totenvogel. Sein Erscheinen bedeutete in vergangener Zeit Krieg, Hungersnot, Krankheit und Tod und sein in der Nacht unheimlich klingender, in seinem Namen nachgebildeter Ruf soll der Auslöser für die Sage von dem wilden Jäger und dem wilden Heer gewesen sein. Wie dem auch sei: Auf jeden Fall üben Uhus seit jeher auf Menschen eine ganz besondere Faszination aus. Außerdem gelten die nachtaktiven Vögel als besonders weise und klug. Als sogenannte »Lauerjäger« können sie ihren Kopf um bis zu 270 Grad drehen, denn um Beutetiere, wie beispielsweise Mäuse, nicht zu verschrecken, müssen die Jäger der Nacht leise und unauffällig sein, aber dennoch ein möglichst großes Areal überwachen. Deshalb sitzen sie regungslos da, nur der Kopf dreht sich sanft und lautlos, um ähnlich wie eine technische Überwachungseinheit die Umgebung zu scannen. Was, wenn Orpheus über diese Gabe verfügt hätte? Wäre die Geschichte um ihn und sein geliebte Frau Eurydike vielleicht anders ausgegangen? 

Claudio Monteverdi, »L’Orfeo«

Zuschauerfrage

WESHALB IST DAS PFEIFEN AM THEATER VERPÖNT?

Bis ins 19. Jahrhundert wurden die Theater mit Gaslampen beleuchtet. Ging der Sauerstoff zur Neige, ertönte ein schrilles Pfeifen. Das konnte bedeuten, dass in der Lampe nicht mehr genügend Brennstoff zur Verfügung stand oder aber, dass Gas aus einer defekten Leitung strömte. Vergnügtes vor sich hin pfeifen konnte somit einen Fehlalarm auslösen, der die Proben oder die Vorstellung empfindlich störte. Das Pfeifen diente auch als Kommunikationssignal der Bühnentechniker, von denen seinerzeit einige ursprünglich Matrosen und Hafenarbeiter gewesen waren. Sie sorgten für einen sicheren Ablauf der fahrenden Seilzüge und verständigten sich beim schnellen Wechsel von Bühnenbildern über Pfiffe. Damit keine Kommandosignale durcheinander gerieten, war es nicht Befugten untersagt zu pfeifen. Denn ein falscher Pfiff konnte im Theater buchstäblich den Tod bedeuten. Auch wenn sich die Umstände über die Jahrhunderte geändert haben, gehört das Pfeifen am Theater zu einem Teil des Aberglaubens. 

Sie fragen, wir antworten: Schicken Sie uns Ihre Fragen rund um die Semperoper per Post an Semperoper Dresden, Kommunikation & Marketing, Theaterplatz 2, 01067 Dresden oder per E-Mail an marketing@semperoper.de

Lieblingsmoment

Lieblingsmoment

Aus Leidenschaft zum Mord

Don José in Johan Ingers »Carmen« ist eine Rolle, zu der ich eine ganz besonders innige Verbindung habe: Er ist ein komplexer Charakter mit vielen Nuancen, in dem ich auf persönlicher und künstlerischer Ebene neue Facetten entdecken und ausarbeiten konnte. In Ingers Choreografie steht Don José für einen hingebungsvollen Menschen, der sich in eine Obsession hineinsteigert und aus Leidenschaft zum Mörder wird. Wenn sich nach einer Aufführung der Vorhang schließt und ich mit einer wunderbaren Leere im Körper und in der Seele zurückbleibe, nachdem ich jede einzelne Emotion in mir entwickelt, ausgelebt und an das Publikum übertragen habe – dann ist das der Grund für meine Liebe zum Tanz. Das passiert mir jeden Abend mit diesem Ballett. Deshalb ist »Carmen« von Johan Inger eine Produktion, die ich für ein Meisterwerk halte. Jón Vallejo, Erster Solist Semperoper Ballett

Johan Inger, »Carmen«


Premierenrezept

Premierenrezept »Die Gespenstersonate«

So beruhigend …

Orientalische Reispfanne mit Lachs

ZUTATEN
50g Cashewkerne, 500g Brokkoli-Röschen, 1 EL Olivenöl, 250g Basmatireis, 1 Prise Safranfäden, 2 Kardamomkapseln, 2 Nelken, ½ Zimtstange, 2 Orangen, 4 Lachsfilets, Butter, Zitrone, Salz, Pfeffer

Passend zu »La sonnambula« präsentieren wir Ihnen heute ein Essen, das hoffentlich eine erholsame Nacht ohne Störungen verspricht. Dazu haben wir Lebensmittel zusammengestellt, denen eine beruhigende, stressabbauende Wirkung zugeschrieben wird. Die Omega-3-Fettsäuren im Lachs dämpfen das bei Stress ausgeschüttete Hormon Adrenalin, Cashewkerne und grünes Gemüse liefern Vitamin B, Magnesium, Calcium und vieles mehr, was ebenfalls eine beruhigende Wirkung auf unseren Organismus hat. Und Zitrusfrüchte stärken mit ihren Antioxidantien die Nerven. 

Rösten Sie die Cashewkerne in einer Pfanne ohne Fett goldbraun an und stellen sie beiseite. Braten Sie den Reis in etwas Öl circa 5 Minuten an, geben Sie die Gewürze, etwas Salz und etwa 400 ml Wasser hinzu und lassen die Mischung circa 8 bis 10 Minuten leicht köcheln.

Den geputzten Brokkoli garen Sie in kochendem Salzwasser bissfest. Anschließend abtropfen lassen. Die geschälten und filetierten Orangen geben Sie mit dem Brokkoli kurz vor Ende der Garzeit zum Reis. Entfernen Sie die Gewürze und servieren Sie das Ganze mit einem in Butter angebratenen Stück Lachs, den Sie zuvor mit Zitrone, Salz und Pfeffer gewürzt haben. Gute Nacht! 

Susanne Springer

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