Oper

Die Walküre

Richard Wagner

Erster Tag des Bühnenfestspiels »Der Ring des Nibelungen« Libretto vom Komponisten

Premiere 11. November 2001

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Stück-Info

Richard Wagners »Die Walküre« ist der zweite Teil der Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« und führt von der Welt der Götter in die Welt der Menschen. Göttervater Wotan hat das Geschlecht der Wälsungen in die Welt gesetzt, damit diese Helden den Ring zurückgewinnen und so seine Herrschaft gegen den Nibelung Alberich sichern. Der Wälsung Siegmund verliebt sich in die eigene Zwillingsschwester Sieglinde, befreit diese aus der Zwangsehe mit Hunding und gewinnt Wotans Schwert Nothung. Doch unter dem Druck seiner Frau Fricka, der Schützerin der Ehe, muss Wotan seinen Schützling Siegmund fallenlassen. Die Walküre Brünnhilde, Wotans Lieblingstochter, ist jedoch so berührt von der menschlichen Liebe der Geschwister, dass sie entgegen dem göttlichen Befehl Siegmund beisteht und die schwangere Sieglinde rettet. Zur Strafe schließt Wotan sie schlafend in einen Feuerring ein. Willy Decker setzt in »Die Walküre« seine Deutung der Tetralogie als (Welt-)Theater auf dem Theater fort. 

Handlung

Erster Aufzug
Wotan verfolgt ein großes Weltprojekt. Er will einen neuen Menschen erschaffen, der frei von jeglicher Bindung an Gesetz und Sitte die Weltordnung, die nach dem Raub des Rheingoldes ins Wanken geraten ist, wieder herstellen kann. Als Namenlosen lässt er ihn durch die Welt treiben. Verfolgt von Feinden findet er Zuflucht im Hause Hundings. Dort begegnet er Sieglinde, dem gewaltsam zur Ehe gezwungenen Weib Hundings. Sie bietet ihm Stärkung an. Auch Hunding gewährt ihm Gastrecht für eine Nacht, muss aber erfahren, dass er den Feind beherbergt, den seine Sippe rächend verfolgt. Er fordert ihn für den nächsten Morgen zum Zweikampf. Der Fremde erinnert sich, dass ihm sein Vater in höchster Not ein Schwert verheißen hat. Sieglinde zeigt ihm die Waffe, die ein Unbekannter an ihrem Hochzeitstag in den Stamm der Hausesche gestoßen hatte. Keiner vermochte das Schwert bisher zu gewinnen. Sieglinde fühlt, dass dieser Held gekommen ist. Als der Fremde das Schwert aus dem Stamm reißt, erkennt sie in ihm den Bruder Siegmund. Das Zwillingspaar wird zum Liebespaar.

Zweiter Aufzug
Wotan beauftragt seine Lieblingstochter Brünnhilde, Siegmund im Kampf gegen Hunding zu schützen. Doch Fricka, seine Gemahlin und Hüterin der Ehe, zeigt ihm die Unmöglichkeit auf, sein Zukunftsprojekt auf Ehebruch und Inzest zu begründen. Sie fordert, dass Siegmund falle. Wotans Pläne stürzen in sich zusammen. Er widerruft seine Weisung an Brünnhilde und will nur noch eins: das Ende. Brünnhilde verkündet Siegmund den Tod und verheißt ihm den Ruhm von Walhall. Doch Siegmund verzichtet aus Liebe zu Sieglinde auf die Heldenehre. Tief berührt von dieser Liebe, trotzt Brünnhilde dem Befehl des Göttervaters und kämpft an Siegmunds Seite. Wotan muss selbst das Schwert Nothung zerschlagen und den geliebten Sohn töten. Auch Hunding fällt von seiner Hand. Brünnhilde rettet Sieglinde und das keimende Leben, das die Schwester vom Bruder empfing.

Dritter Aufzug
Die Walküren, Wotans Töchter, sammeln die Helden von den Schlachtfeldern, um sie nach Walhall zu führen. Zu ihnen flüchtet sich Brünnhilde vor dem Zorn Wotans. Die Schwestern sollen ihr helfen, Sieglinde zu retten. Doch die Walküren weichen zurück. Brünnhilde weissagt Sieglinde die Geburt des Helden Siegfried, übergibt ihr das geborstene Schwert Nothung und drängt sie zur Flucht. Sie will sich allein Wotan entgegenstellen. Dieser straft die ungehorsame Tochter hart: Brünnhilde wird aus Walhall verstoßen und auf einen Felsen verbannt. Ledig ihrer Gottheit, soll sie dem Mann angehören müssen, der sie aus ihrem Schlaf erweckt. Mit dem Abschied von Brünnhilde entsagt Wotan selbst dem Willen zu künftigem Tun. Er umgibt den Felsen mit einem Flammenmeer, das nur ein furchtloser Held zu durchschreiten vermag. So nährt er die Hoffnung auf den freien Helden, der vereint mit Brünnhilde das vollbringt, was dem Gott nicht gelang.

Werkeinführung

In der »Walküre« verlagert sich die Geschichte des »Rings« von der Welt der Götter auf die Erde und in die Nähe der Menschen. Richard Wagner interessierten an diesem Ersten Tag des vierteiligen Bühnenfestspiel vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungen der Figuren, egal ob Menschen oder Götter, Geschwister- oder Elternliebe. Dramaturgin Juliane Schunke erzählt im Opernführer Wissenswertes über das Werk und die Inszenierung von Willy Decker.

Porträtzeichnung der Dramaturgin Juliane Schunke
Juliane Schunke, Dramaturgin; Zeichnung nach einem Foto von Ian Whalen

Pausengespräch

Der Abschluss des Dresdner »Ring des Nibelungen« jährt sich 2023 zum 20. Mal. Regisseur Willy Decker blickt im Pausengespräch auf die Zeit der Inszenierungen der vier Opern 2002/03 und seine Konzeption von Wagners vielgestaltigem Werk zurück. Ein allumfassendes Welttheater nennt der renommierte, international arbeitende Regisseur die bekannteste Tetralogie der Operngeschichte, und berichtet von seiner Grundidee der Theater-auf-dem-Theater-Situation samt Theaterstuhlreihen und Guckkastenbühne und der unverminderten Aktualität der verhandelten Themen im »Ring«.

Das Gespräch fand am 5. Januar 2023 statt.

Portraitzeichnung des Regisseurs Willy Decker
Willy Decker, Regisseur; Zeichnung Semperoper nach einem Foto von Kirsten Neumann

Regiekonzept

»Wotans Weltprojekt«

Regisseur Willy Decker zur Inszenierungskonzeption

»Stürmisch« – so lautet Wagners Angabe am Beginn der »Walküre«-Partitur. Ein Sturm weht durch dieses ganze Stück, bis zum Entfachen des Feuers, das Brünnhildes Schlaf schützt. Diese drängende Gewalt bleibt die zentrale Gewalt in der »Walküre«. Die Ruhe des »Rheingold« ist aufgehoben, die Harmonie der Welle wird aufgerissen. Der Beginn der »Walküre« ist kein natürliches, evolutionäres Weiterschreiten, sondern ist ein radikaler, entschlossener Schritt, getan mit der Kraft und der Unaufhaltsamkeit eines Sturmes. Und dieser Sturm heißt Wotan. »Das Rheingold« war Evolution – »Die Walküre« ist Revolution, kein natürlicher Schritt, der sich notwendig aus allem Vorherigen ergibt, sondern eher ein Sprung hinein in ein waghalsiges neues unerhörtes, noch nie da gewesenes Experiment. Im mythologischen Zusammenhang heißt dieses Experiment »Mensch«, im historischen Kontext müsste man es »der neue Mensch« nennen, vielleicht sogar »Revolutionär«.
So wendet sich der »Ring«-Zyklus am ersten Tag seinem eigentlichen Thema zu: dem Menschen. Und nicht nur mit Siegmund und Sieglinde erscheinen uns diese Menschen, auch die Götter sind aus den Wolken des »Rheingold« herabgestiegen, oder besser, herabgestürzt auf die Erde, den Boden einer konkreten Wirklichkeit, auf die Ebene des Menschlichen, die Ebene von Verstrickung, Kampf, Liebe und Tragik.

Der neue Mensch

Wotan weiß, dass Walhall und damit seine Göttlichkeit auf Sand gebaut ist, bezahlt mit dem verfluchten und alles Böse verkörpernden Ring des Nibelungen Alberich. Dieser Ring lastet wie eine Tod bringende Urschuld auf der Welt. Der Gott hätte ihn den Rheintöchtern, der Natur, zurückgeben müssen, aber wider jedes Wissen und jede Warnung hat er sich mit ihm seine Macht über die Welt gekauft. Diese Welt erhalten ihm nun die Gesetze, mit denen er das Chaos gezähmt hat. Da er selbst notwendigerweise diesen Gesetzen unterworfen ist, verstrickt er sich sozusagen in sein eigenes Netz. Er, der Geber des Gesetzes, kann nicht zum Brecher der Gesetze werden, ohne dass sein Machtgebäude in sich zusammenstürzt. Und so ist er machtlos gefangen in seinem eigenen System: »In eig’ner Fessel fing ich mich, ich unfreiester aller ...« Der Mächtigste ist gleichzeitig der Ohnmächtigste, unfähig, den Ring zurückzugewinnen und in die Fluten des Rheines zurück zu schleudern. In dieser bedrängten, tragisch ausweglosen Situation erdenkt Wotan sich den »Helden«, der unabhängig von ihm, dem Gott, unbelastet von seinen Gesetzen und Konventionen, sich selbst und die Welt befreien kann. Dieser »Held«, der neue Mensch hat noch keinen Namen. Siegmund und Sieglinde zögern, wenn sie nach ihrem Namen gefragt werden antworten nur indirekt: sie beschreibt sich hart und resigniert als Eigentum Hundings, er erzählt von seinen vergeblichen Versuchen einen Namen zu finden. Keiner er- wies sich als der Wirkliche. Durch Namen verbinden sich Menschen mit ihrer Kultur. Das erste, was ein Mensch von der Gemeinschaft empfängt, ist ein Name. Er ist sein Bindeglied zu dieser Gemeinschaft, ein Bekenntnis zum historischen Zusammen- hang. Mit diesem Namen reiht der Mensch sich ein, empfängt eine Identität, ein Ich. Dieses Ich ist determiniert durch Kultur, Konvention, Vernunft, Familienbande etc. Sieglinde und Siegmund aber stehen abseits, sind Verlorene, Außenseiter im inneren und äußeren Exil, unangepasst, unwillkommen der Gemeinschaft und ohne bekennende Verbindung zu ihr, ohne Namen eben. Dies alles ist Teil von Wotans Experiment und von ihm gewollt. Im äußersten möglichen Akt der Selbstbestimmung sollten sie sich selbst ihre Namen geben. Hier beginnt das Experiment: Der neue, freie bessere Mensch soll geschaffen werden. Wotan zieht sich Siegmund heran, herausgelöst aus der Gesellschaft, unwissend, ohne Namen, wild. Später, am zweiten Tag der Tetralogie, wird Mime dies mit Siegfried tun, jedoch mit einem anderen Ziel. Wotans neuer Mensch beginnt nun mit einem radikalen Bruch der Konvention, einem rebellischen Befreiungsakt, einem unumkehrbaren Tabubruch. Fricka und die in Abhängigkeit von den Göttern erstarrte, spießige Regelwelt Hundings nennt es »Blutschande«.

Die Tatsache aber, dass Wotan an seinen Neubeginn die Vereinigung eines Zwillingspaares setzt, ist Ausdruck der tief tragischen Problematik seines Planes. Er will sich, und nur sich selbst, in ihnen wiedererkennen. Er will das Neue, aber trotzdem auch sich selbst als eine Verkörperung des Alten mit hinüberretten. Wie Adam und Eva soll ein neues, geschichtsloses Urmenschenpaar geschaffen werden. Die herausfordernde Rebellion gegen alles Alte und Veraltete beginnt mit dem Sakrileg der Blutschande. Wotan zerbricht an diesem Widerspruch. Brünnhilde, seine Lieblingstochter, vermag es, im weiteren Verlauf des Geschehens die Gegensätze zu verbinden. Sie ist göttlicher Herkunft und bekennt sich zum menschlichen Sein. Sie kann Liebe und Mitgefühl miteinander verbinden, sie kann göttliche Weisheit mit Menschlichkeit zusammenbringen. Sie ist die Tochter von Erda und Wotan, die zwei gegensätzliche Prinzipien in ihrer stärksten Ausformung verkörpern: Erda als das totale, das Umfassende, das Weibliche, Wotan das fast grenzenlos Kreative, Schöpferische, Männliche. Beides fließt zusammen in der Figur der Brünnhilde. Dass sie am Ende der »Walküre« von Wotan in tiefen Schlaf versenkt wird, ist zwar eine Strafe dafür, dass sie sich seinem Gebot widersetzt hat. Es ist aber auch ein sehr bedeutungsvoller Vorgang, denn der Schlaf ist immer auch nah dem Tod. 

Das ungekürzte Essay finden Sie im Programmheft der Produktion

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