Oper

Das Rheingold

Richard Wagner

Vorabend des Bühnenfestspiels »Der Ring des Nibelungen« Libretto vom Komponisten

Premiere 30. September 2001

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Stück-Info

Am Anfang war der Gedanke: In seiner Zeit als Hofkapellmeister in Dresden kam 1848 Richard Wagner die Idee zum Nibelungen-Stoff, den er als nationale Heldenoper gestalten wollte. Aus diesem Plan entstand schließlich die Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« als weit umfassenderes Menschheitsdrama, die erst 1876 ihre Uraufführung erlebte. Am Anfang steht hier das Gold: Dem Nibelungen Alberich gelingt es, aus dem mythischen Rheingold einen Ring zu schmieden, der ihm die Herrschaft über die Welt sichern soll, indem er der Liebe abschwört. Göttervater Wotan will mit diesem Gold seine Schulden bei Fasolt und Fafner bezahlen, die ihm die Burg Walhall gebaut haben. Wotans Plan scheint zu gelingen, doch der beraubte Alberich verflucht den Ring. Regisseur Willy Decker hat die Geschichte vom Ursprung des unheilvollen Rings an der Semperoper als Genesis inszeniert. Am Anfang steht bei ihm Erda, die Göttermutter, die ein Spiel auf dem Theater beginnen lässt … 

Handlung

Am Uranfang der Welt schläft Erda. Ihr Schlaf ist Träumen. Die Rheintöchter wachen in spielerischer Unbekümmertheit über das Rheingold. Der Nibelung Alberich stört ihr sorgloses Spiel. Er begehrt Liebe von den Rheintöchtern. Aber sie verspotten den Nachtalben. In törichter Einfalt verraten sie das Geheimnis des Goldes, das dem zu maßloser Macht verhilft, der der Liebe entsagt und dadurch das Gold zu einem Ring zu schmieden vermag. Die Wut über die vorenthaltene Liebe treibt Alberich zur Verzweiflungstat: Er raubt das Rheingold und verzichtet auf Liebe zugunsten maßloser Macht.

Wotan träumt von glanzvollem ewigem Leben in der Götterburg Walhall, die ihm die Riesen Fasolt und Fafner erbaut haben. Fricka, seine Gemahlin, sorgt sich um den Preis. Wotan versprach den Riesen die Göttin Freia, deren Äpfel ewige Jugend spenden. Als die Riesen kommen und ihren Lohn verlangen, weigert sich Wotan, Freia herzugeben, und bricht damit die Verträge. Der Konflikt droht zu eskalieren. Loge weiß einen Ausweg. Er berichtet von Alberich, der das Rheingold zu einem Ring geschmiedet hat und mit diesem Machtmittel nach der Herrschaft über die Welt giert. Schon jetzt schaffen ihm die Nibelungen kostbarste Schätze. Das weckt die Begehrlichkeit der Riesen, die bereit wären, Freia gegen das Gold des Zwergen auszutauschen. Auch die Götter sind fasziniert von der Vorstellung maßloser Macht. Wotan begibt sich mit Loge hinab nach Nibelheim.

In unterirdischer Tiefe beherrscht Alberich mit Gewalt und Terror die Nibelungen. Den eigenen Bruder Mime zwingt er, einen Tarnhelm zu schmieden, dessen magische Kraft aber nur Alberich zu nutzen vermag. Wotan und Loge entlocken dem krankhaft verängstigten Mime die Geheimnisse des Rheingolds, des Rings und des Tarnhelms. Auch Alberich erliegt dem listigen Loge. Schamlos ihm schmeichelnd bringt er Alberich dazu, seine Macht zu demonstrieren. Mit Hilfe des Tarnhelms verwandelt dieser sich in einen Riesenwurm und dann in eine Kröte. Wotan fängt die Kröte und bringt so Alberich in seine Gewalt. Für seine Freilassung muss Alberich nicht nur das Gold, sondern auch den Ring Wotan überlassen. Er verflucht den Ring, der jedem künftigen Besitzer den Tod bringen soll.

Um Freia auszulösen, reicht das Gold des Nibelungen nicht aus. Die Riesen verlangen auch den Tarnhelm und den Ring. Doch Wotan will den Ring nicht hingeben. Erda warnt den Gott vor dem fluchbeladenen Ring. Wotan überlässt ihn den Riesen. Fafner und Fasolt geraten beim Teilen des Schatzes in Streit. Fafner tötet Fasolt und bringt den Ring und den Hort in seine Gewalt. Die Götter nehmen Walhall in Besitz. Nur Loge weiß, dass ihre Freude nicht lange währen wird. Umsonst bitten die Rheintöchter die Götter, ihnen das Rheingold zurückzugeben.

Werkeinführung

Richard Wagners »Das Rheingold« bildet den Auftakt zu einem der ungewöhnlichsten Opernprojekte der Musikgeschichte: eine Helden- und Menschheitssaga in vier Teilen. Im Ursprung des Rheins nimmt die Geschichte um Siegfried und den Ring der Macht ihren Anfang. Operndramaturgin Juliane Schunke gibt Einblicke in die Werkgeschichte des Vorabends zum »Ring des Nibelungen« und zur Inszenierung von Willy Decker.

Porträtzeichnung der Dramaturgin Juliane Schunke
Juliane Schunke, Dramaturgin; Zeichnung nach einem Foto von Ian Whalen

Pausengespräch

Der Abschluss des Dresdner »Ring des Nibelungen« jährt sich 2023 zum 20. Mal. Regisseur Willy Decker blickt im Pausengespräch auf die Zeit der Inszenierungen der vier Opern 2002/03 und seine Konzeption von Wagners vielgestaltigem Werk zurück. Ein allumfassendes Welttheater nennt der renommierte, international arbeitende Regisseur die bekannteste Tetralogie der Operngeschichte, und berichtet von seiner Grundidee der Theater-auf-dem-Theater-Situation samt Theaterstuhlreihen und Guckkastenbühne und der unverminderten Aktualität der verhandelten Themen im »Ring«.

Das Gespräch fand am 5. Januar 2023 statt.

Portraitzeichnung des Regisseurs Willy Decker
Willy Decker, Regisseur; Zeichnung Semperoper nach einem Foto von Kirsten Neumann

Regiekonzept

»Erdas Traumspiel«

Regisseur Willy Decker zur Inszenierungskonzeption

In archaischer Zeit haben sich die Menschen die Welt und ihre Zusammenhänge durch Mythen erklärt. Viele dieser Geschichten sind Entstehungsmythen. Sie beantworten Fragen wie »Warum ist diese Welt so entstanden?«, »Wie hat alles begonnen?«, »Wer sind wir?«, »Woher kommen wir?«, »Wie sind wir das geworden, was wir sind?« mit gleichnishaften, allegorischen Geschichten von archetypischen Wesen wie der Urschlange am Grunde der Welt in indischen Mythen oder den aus dem Himmel herabsteigenden Königen der asiatischen Völker bis hin zum biblischen Mythos der Genesis.

Auch Wagner hat mit seinem »Ring«-Mythos vom Anfang und vom Ende der Welt erzählen wollen. Zumindest am Beginn ist sein »Ring des Nibelungen« solch ein Entstehungsmythos, inspiriert von anderen Mythen, sich neben sie stellend mit dem Anspruch, sie zu überwinden. So wie Wagner bei der Schaffung des »Ring«-Zyklus so gut wie alle Gesetze des damaligen musikalischen Theaters auf den Kopf stellt, so ist auch schon die Geschichte seiner Konzeption und Entstehung eine Umkehrung des Gewohnten. Wagner beginnt mit dem Ende und phantasiert sich mit ungeheurem Ausdruckswillen immer tiefer in die Vorgeschichte und die Vergangenheit, um schließlich am Uranfang anzukommen, am Beginn der Welt, am Beginn des Seins, des Bewusstseins, am Beginn von Musik, Sprache und Bedeutung, am Beginn von Theater als Spiegelung der Welt. Die biblische Genesis beginnt mit dem Satz »Im Anfang war das Wort«; für Wagners Mythos gilt »Im Anfang war der Ton«: Die Welt des »Ring«-Mythos entsteht aus Klang, oder eher noch aus einem Ton, dem ungeteilten, ruhig, ungestört verweilenden tiefen »Es« der Kontrabässe zu Beginn des »Rheingold«. Wagners musikalisches Theater, und damit die Welt, die es bedeuten soll, beginnt mit dem aus der Stille, dem Nichts erklingenden Ton. Es scheint der tiefste mögliche Ton, sozusagen der Ur-Ton, ein kosmischer »cantus firmus«, das »Es«, dunkel, vollkommen ruhend, unisono, ungeteilt. Aus diesem Ur-Klang entfaltet sich die ganze Welt des »Ring«, so wie der Kosmos aus dem Urknall. Alle Entstehungsmythen haben eines gemeinsam: vor dem Beginn, dem Ur-Anfang war das Nichts, das Chaos, die Leere.

Welt und Theater

Am Anfang von allem steht die Teilung des Einen in Zwei, in Subjekt und Objekt, in oben und unten, in Betrachter und Betrachtetes, in Bühne und Zuschauerraum. Damit wird der Raum des Theaters über die Bühne hinaus zum Ausdruck und zur Spiegelung der Welt. Subjekt und Objekt verschränken sich, bedingen sich gegenseitig. Keines von beiden existiert ohne das andere. Und bevor Theater beginnt, gibt es noch einen Urzustand: das Warten des Zuschauers, den leeren Zuschauerraum als die Leere, das Nichts vor allem Beginn.

In diesem Uranfang schläft Erda; besser gesagt: dieser Uranfang ist Erda. »Mein Schlaf ist Träumen …« wird sie in »Siegfried« singen. Erda träumt die Welt. Schlaf ist das Nichts der Bewusstlosigkeit. Aus diesem Nichts steigt der Traum als trügerische Spiegelung, vergänglich und ohne Substanz. Erda, die vor der Zeit und grenzenlos vor jeder Räumlichkeit existiert, gebiert Zeit und Raum. »Mein Sinnen (ist) waltendes Wissen«. Das Walten der Welt entspringt Erdas Schlafen und Träumen. Die Welt ist Traum, trügerisches Spiel des Schlafes, Illusion, wie das Theater. Erda sitzt in einem kosmischen Theaterraum und träumt die Welt in einem zeitlosen Urmoment, »wo die Seele noch Neuling auf Erden, als vermeintlich unbeteiligter Zuschauer in den Weltraum staunte.« (Carl Spitteler) Und was sich als erstes in ihrem Traum manifestiert, ist auf der Ebene der Materie das Wasser beziehungsweise die Welle, Urbewegung allen Lebens, und auf der Ebene des Geistes die kindliche Naivität der Rheintöchter, die erste Stufe menschlichen Bewusstseins. Musikalisch nennt Wagner diesen Beginn »ruhig heitere Bewegung«, ungestört, ewig sich wiederholend, ohne Leid, eben heiter! 

Die Ursünde: der Griff nach dem Gold

Im ersten Stadium von Erdas Traum erscheint also so etwas wie ein Paradies, verwandt dem Garten Eden der biblischen Genesis, wo es kein Leid, keinen Neid, keinen Krieg gibt. Und so wie es im biblischen Entstehungsmythos den Sündenfall gibt, der den Auszug aus dem Paradies zur Folge hat, gibt es ihn auch im »Ring«-Mythos. Allerdings ist es ein anderer Sündenfall in bewusster Umdeutung des biblischen Mythos: Die Erbsünde ist nicht der Griff nach dem Apfel der Erkenntnis, sondern der Griff nach dem Gold. Der biblische Mythos handelt vom Verhältnis des Menschen zu Gott. Deshalb ist die Erbsünde das Streben nach Erkenntnis, das Wissen-Wollen im Gegensatz zum Glauben. Der »Ring«-Mythos dagegen behandelt das Verhältnis des Menschen zum Menschen, und deshalb ist die Erbsünde hier die Gier nach Besitz beziehungsweise Macht. Ihre Bedingung ist folgerichtig die Verwerfung der Liebe. Liebe, die immer auch Brüderlichkeit und Mitleiden beinhaltet, lässt der Macht in ihrer zerstörerischen unterdrückenden Form keine Möglichkeit. Die Verkörperung der Erbsünde ist Alberich. Mit ihm betritt das erste männliche Wesen die Bühne von Erdas Traumspiel. Die Geschichte des »Ring« ist, analog zur evolutionären Entwicklung der Welt, eine Geschichte der permanenten Entfaltung.

Im »Rheingold« entfaltet sich die Welt vom ungeteilten Ur-Ton, Ur-Punkt zur Dualität, zur Zweigeteiltheit vom Ich und der Welt, dann in die Dreizahl der Rheintöchter (das Viele). Das Rheingold selbst wird auch aus seiner Ruhe herausgerissen, als Ungeteiltes in eine Vielheit aufgeteilt (Gold, Tarnhelm, Ring etc.) Auch die Wesen teilen sich: in denkend Gestaltende (Götter), in kraftvoll Bauende (Riesen), in fördernd Grabende (Zwerge); das Bewusstsein teilt sich in Stolz (Götter), Neid (Riesen), Gier (Nibelungen) etc. Diese sich entfaltenden Aspekte des Menschlichen treten nun zueinander in Beziehung. Man beginnt, Absprachen zu treffen, Konkurrenz zu entwickeln. Schließlich wird der Kampf um die Vorherrschaft entfacht. In der Symbolik des Theaters wäre dies das Stadium des Ausprobierens vor dem endgültigen Verteilen der Rollen; eine Situation bevor die Dramaturgie des Stückes klar definiert ist. Deshalb ist das »Rheingold« der Vorabend, das Stück vor dem Stück: Die Figuren suchen ihre endgültigen Rollen, die Karten werden gemischt und verteilt. Das eigentliche Spiel wird erst beginnen mit der »Walküre«, wenn Wotan seine große vermeintliche Trumpfkarte ausspielt: die Wälsungen.

Das ungekürzte Essay finden Sie im Programmheft der Produktion

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