Oper

Don Giovanni

Wolfgang Amadeus Mozart

Dramma giocoso in zwei Akten Libretto von Lorenzo Da Ponte

Premiere 12. Juni 2016

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Stück-Info

2064 Frauen soll Don Giovanni nach Auskunft seines Dieners Leporello bereits geliebt haben; die Anzahl derer, denen er das Herz gebrochen hat, dürften nicht geringer sein. Die Oper um den galanten wie skrupellosen Verführer Don Giovanni wurde durch die kongeniale Zusammenarbeit von Wolfgang Amadeus Mozart mit seinem Librettisten Lorenzo Da Ponte in den Worten Richard Wagners zur »Oper aller Opern.« Das 1787 in Prag uraufgeführte Werk ist aber mehr als ein Drama um Liebe und Verführung, Lust und Laster, Vergewaltigung, Mord und Rache. Das von Mozart ausdrücklich als »lustiges Drama« bezeichnete Werk changiert spannungsreich zwischen Tragik und Komödie, Sex-and-Crime-Story sowie großem Welttheater – schreckt Don Giovanni in seiner Lust am Regel- und Tabubruch doch nicht davor zurück, die Toten und das Schicksal selbst herauszufordern. In der Dresdner Inszenierung von Andreas Kriegenburg wird deutlich, dass die unendliche Gier nach Leben, Lust und Schönheit der Figuren uns auch heute angehen.­­­­

Handlung

1. Akt
Leporello hadert mit seiner Anstellung bei Don Giovanni: Zu gern wäre er selbst in der Position des reichen Lebemanns, anstatt diesem für diverse Liebesabenteuer den Rücken freizuhalten. Da stürzt Don Giovanni herein und versucht sich vor Donna Anna zu verbergen, die ihn wie von Sinnen verfolgt. Donna Annas Vater, der Komtur, versucht Don Giovanni zu stellen und wird von diesem im Affekt getötet. Donna Anna kehrt mit Don Ottavio zum Schauplatz des Mordes zurück. Angesichts des Toten nimmt sie ihrem Freund den Schwur ab, ihren Vater zu rächen. Nach der Tat wirft Leporello Giovanni dessen Lebenswandel vor, Giovanni hält jedoch unbeeindruckt Ausschau nach weiteren Frauen. Er wittert eine vielversprechende Eroberung bei einer Dame, die von ihrem Liebhaber verlassen wurde. Erst als Giovanni sie auf seine bewährte Art trösten möchte, erkennt er sie: Es ist Donna Elvira, die er selbst nach einer dreitägigen leidenschaftlichen Affäre sitzen gelassen hatte. Giovanni überlässt Leporello die pikante Situation und dieser zeigt der fassungslosen Elvira die bemerkenswerte Liste, auf der er alle Liebschaften Giovannis gewissenhaft notiert: 2064 Namen sind bereits versammelt. Elvira bleibt voll Rachedurst zurück. Indessen feiern Zerlina und Masetto ausgelassen ihre Hochzeit. Don Giovanni lädt die Gesellschaft zu sich ein und bleibt mit Zerlina allein. Seine Versprechungen lassen sie schwach werden; da erscheint Donna Elvira und beschuldigt Giovanni als Betrüger. Auch als Donna Anna und Don Ottavio Giovanni begegnen und ihn um Hilfe bitten, schreitet Elvira ein. Da erkennt Donna Anna in Giovanni ihren Überwältiger und den Mörder ihres Vaters. Aufgebracht erzählt sie Don Ottavio von der Vergewaltigung in der Mordnacht. Giovanni bereitet alles für ein ausgelassenes Fest vor. Zerlina versucht indessen den eifersüchtigen Masetto zu beruhigen. Zum Tanz erscheinen auch Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio. Als Giovanni schließlich Zerlina bedrängt, entlarven sie den Vergewaltiger, der nur knapp entkommt.

2. Akt
Leporello kündigt Giovanni an, fortzugehen, doch dieser besänftigt ihn und weiht ihn in seinen nächsten Plan ein: In vertauschten Kleidern will Giovanni Donna Elviras Zimmermädchen verführen, während Leporello als reuiger Don Giovanni Donna Elvira ablenken soll. Der Plan scheint zu glücken: Doch während der echte Giovanni seiner neuen Auserkorenen ein Ständchen bringt, wird er von Masetto überrascht, der Don Giovanni finden und töten will. Giovanni, der sich als Leporello ausgibt, bietet zunächst seine Unterstützung an, schlägt Masetto jedoch brutal nieder. Zerlina entdeckt ihn und versöhnt ihn mit einer ganz speziellen »Medizin«. Bei dem Versuch, Donna Elvira zu entkommen, trifft Leporello auf Donna Anna, Don Ottavio, Zerlina und Masetto, die ihn für Giovanni halten und umbringen wollen. Er gibt sich zu erkennen und entkommt. Don Ottavio, der bisher an der Schuld Giovannis zweifelte, kündigt nun an, ihn den Behörden zu melden. Inzwischen ist Leporello Zerlina in die Hände gefallen, die ihn genüsslich bedroht. Donna Elvira, die als einzige um Giovannis Leben gebeten hatte, macht ihren verwirrten Gefühlen Luft: So sehr er sie verletzt hat, bangt sie doch um ihn. Giovanni berichtet unterdessen dem arg mitgenommenen Leporello von einem weiteren Abenteuer. Da fährt eine jenseitige Stimme dazwischen: Die Statue des ermordeten Komturs droht Giovanni, ihm werde das Lachen bald vergehen. Amüsiert lädt Giovanni den Steinernen zum Abendessen ein. Um ihre Leiden zu lindern, macht Don Ottavio Donna Anna einen Heiratsantrag, sie aber vertröstet ihn angesichts ihrer Trauer. Don Ottavio erklärt, ihr dennoch beizustehen. Bei Giovanni ist das Gastmahl bereitet, als Donna Elvira ihn ein letztes Mal bittet, sein Leben zu ändern. Doch dieser denkt nicht daran. Da erscheint die Statue des Komturs und fordert Giovanni zur Reue auf. Er weigert sich und wird in die Hölle gerufen.

Werkeinführung

Wolfgang Amadeus Mozarts Oper steht an der Semperoper in einer Inszenierung von Andreas Kriegenburg auf dem Spielplan. Dramaturg Kai Weßler erläutert Hintergründe von Werk und Inszenierung. 

Porträtzeichnung des Dramaturgen Kai Weßler
Kai Weßler, Dramaturg; Zeichnung Semperoper

Was ist schon Wahrheit?

Gedanken des Musikalischen Leiters Omer Meir Wellber zum Schluss von »Don Giovanni«

Schon in meiner Kindheit hat »Don Giovanni« auf mich einen ausgesprochen düsteren, tragischen Eindruck gemacht. Keine andere Oper, und sei sie noch so grausam, hat in mir diese tiefe Furcht ausgelöst, die bereits die ersten Takte der Ouvertüre in mir hervorgerufen haben und die seither für mich mit diesem Werk verbunden war. Hinzu kam noch ein unauslöschliches Bild, das der Film »Amadeus« in mir hinterlassen hat: Der kranke und scheinbar verfluchte Mozart, der vor einem fast leeren Saal in Wien die Todesszene des »Don Giovanni« dirigiert. Dann fällt der Vorhang, schwacher Applaus – die Tragödie eines Komponisten, der schon nicht mehr wirklich unter den Lebenden weilte. Bis heute ist dieses Bild für mich der Ausdruck des »Don Giovanni«.

Heute, Jahre später und nach intensiver Auseinandersetzung mit den Da-Ponte-Opern und dem Künstlerduo Mozart und Da Ponte, führt mich dieser Eindruck zu der entscheidenden Frage für jede Neuinszenierung des »Don Giovanni«: Wie lassen wir die Oper enden? Für die Prager Uraufführung 1787 komponierte Mozart nach Don Giovannis Tod in der »Scena ultima« den sogenannten »moralischen Schluss«, in dem Don Giovannis Widersacher seinen Tod kommentieren und über ihre Zukunftspläne Auskunft geben. Nur ein halbes Jahr später überarbeiteten Mozart und Da Ponte ihre Oper für Wien, unter anderem mit einer stark verkürzten Moralszene, die für folgende Aufführungen vermutlich sogar komplett weggelassen wurde, sodass das Stück mit Don Giovannis Höllenfahrt endete.

Es gibt sowohl für die eine als auch die andere Fassung gewichtige Argumente. Einmal sind das die »historischen« Fakten, die für die Prager Version sprechen: Mit dem »lieto ne«, also dem glücklichen Ausgang, erfüllten Mozart und Da Ponte die Konventionen der Opera buffa im 18. Jahrhundert. Außerdem bleiben nach Don Giovannis Tod natürlich dramaturgische Fragen offen: Wie reagieren die Zurückbleibenden? Was geschieht mit ihnen? Zudem ist es nicht unwahrscheinlich, dass Mozart einige Änderungen für Wien nicht aus künstlerischer Überzeugung, sondern als Zugeständnisse an die Sängerbesetzung und das Publikum vornahm. Doch hätte er aus diesen Gründen ausgerechnet die entscheidende Schlussszene gestrichen? In den Textbüchern, die dem Wiener Publikum verkauft wurden, war das moralische Ende nicht enthalten. Dort hieß es in einer Regieanweisung: »Das Feuer wird größer, als es Don Giovanni verschlingt. In diesem Moment erscheinen alle anderen. Sie schreien und fliehen. Der Vorhang fällt.« Ist das nicht wunderbar surreal und modern? Vielleicht war es dieses Ende, das den Kaiser zu dem berühmten kolportierten Ausruf brachte: »Die Oper ist göttlich, vielleicht sogar noch schöner als der Figaro, aber sie ist keine Kost für die Zähne meiner Wiener.«

Eine Oper, zwei Fassungen

Die musikhistorische Aufarbeitung dieser Quellen möchte ich an dieser Stelle den Musikwissenschaftlern überlassen. Für mich gibt es nicht die eine gültige Version, sondern zwei gleichberechtigte Fassungen. Die Entscheidung für die eine und gegen die andere sollte eine künstlerische sein und der jeweiligen Interpretation des Regisseurs und des Dirigenten entsprechen. In der Kunst gibt es keine absolute Wahrheit. Und wenn wir uns für eine Fassung des »Don Giovanni« entscheiden, dann nicht, weil wir zu wissen meinen, wie sie 1787 oder 1788 geklungen hat oder weil ich überzeugt bin, dass dieses oder jenes der einzig richtige Weg ist, dieses Stück zu spielen, sondern weil es für uns heute die interessanteste Variante ist. Schauen wir also in die Partitur. Die Art, wie Mozart und Da Ponte die Ouvertüre gestaltet haben, ist für mich ein Schlüssel für das Verständnis dieses Dramma giocoso. Anders als bei »Così fan tutte« und »Le nozze di Figaro« führt Mozart bei »Don Giovanni« in der Ouvertüre bereits wesentliche musikalische Passagen und Motive ein, die später in der Oper wieder aufgenommen werden. Das Entscheidende dabei ist: Mozart stellt die Musik von Don Giovannis Todesszene an den Anfang und verurteilt ihn damit von der ersten Minute an zum toten Mann. Derartig den Schluss vorweg zu nehmen und den Helden in den ersten Takten zum Anti-Helden zu erklären, damit ist Mozart seiner Zeit voraus; das ist Nietzsche, Freud, Wagner, Picasso und Hitchcock zusammen in nur einem Takt!

Sehen wir näher hin, bemerken wir, dass Mozart mit den einleitenden Moll-Akkorden zudem eine Brücke schlägt vom Beginn der Ouvertüre in den berühmten ersten Takten zum Ende beim Erscheinen des ermordeten Commendatore und zum Tode Don Giovannis. Die Wirkung dieser wenigen Moll-Takte innerhalb einer fast komplett in Dur gehaltenen Oper ist hier enorm. Mozart nutzt d-Moll, das er vier Jahre später zur Tonart seines Requiems bestimmte und das als seine tragische, seine Todes-Tonart gilt. Sie führt uns direkt ins Herz der Oper, zu Don Giovanni, dem Sünder. Don Giovanni ist der Motor des Stückes. Er ist derjenige, der die Handlung ins Rollen bringt, um den die Figuren kreisen, der sie in seinem Bann hält und sie – scheinbar – kontrolliert. Anders als in »Le nozze di Figaro« gibt es hier keinen Platz für Vergebung und Versöhnung. Themen wie Treue, Menschlichkeit, Würde, denen wir in »Così fan tutte« und »Le nozze di Figaro« begegnen, prallen hier alle an der zerstörerischen Gewalt von Don Giovanni ab. Paradoxerweise ist gerade jene Macht, jene Figur, die jegliche Beziehung zerstören will, diejenige, die alle Figuren erst zusammenführt – anders als in »Così fan tutte« und »Figaro«, in denen sich die Charaktere bereits im Vorfeld kannten. Mit seinem anti-konformistischen Charakter ist Don Giovanni das Bindeglied des Stückes.

Die Faszination der Sünde

Don Giovanni übt auf die Menschen, die seinen Weg kreuzen, eine unwiderstehliche Faszination aus – die Faszination des Sündigen, der auch wir uns nicht entziehen können. Wir alle haben einen persönlichen Bezug zur Sünde: Manche von uns hassen sie, andere lieben sie, manche lieben die Sünde anderer und wieder andere lieben es, über die Sünden anderer Menschen zu urteilen. Don Giovanni ist derjenige, den alle fürchten oder hassen, aber heimlich auch bewundern. Seinen Tod überlebt in der Oper in gewisser Weise keine der Figuren. Sie haben ihren Antrieb, ihren Daseinssinn verloren. »Senza alcun ordine, la danza sia«, »Ohne jegliche Ordnung sei der Tanz«, sagt Don Giovanni. Er ist derjenige, der den Tanz geleitet hat. Und wenn er stirbt, stoppt der Tanz, und zurück bleibt das Chaos, das Nichts. Diese musikalische Klammer und die inhaltliche Fokussierung auf Giovanni sprechen aus meiner Sicht für die Version, die nach dem Tode Don Giovannis das Stück enden lässt. Ich habe oben gefragt, ob es eine Wahrheit gibt. Und Mozart und Da Ponte spielen mit genau dieser Frage in »Don Giovanni«: Don Giovanni modifiziert seine eigene Wahrheit mit jedem Takt und erfindet unterschiedliche Wahrheiten für die Menschen, denen er begegnet. Das ist wichtig: Er belügt sie nicht, er schafft verschiedene Wahrheiten – das ist für ihn die einzige Möglichkeit, seinen Lebensstil fortzusetzen. Die einzige Person, die Don Giovanni vielleicht wirklich erkennt, ist Donna Elvira. In der Arie »Mi tradi qell’alma ingrata«, die Mozart und Da Ponte für die Wiener Fassung ergänzten, nimmt sie sein Schicksal vorweg: »Numi! In quai misfatti orribili, tremendi, è avolto il sciagurato! Ah, no, non puote tardar l’ira del cielo!« – »Ihr Götter! In welche grauenvollen Taten ist der Elende verstrickt! Den Zorn des Himmels wird er nicht abwenden können!«

»Don Giovanni« bleibt ein Mysterium – und auch für mich wird diese Oper immer ein gewisses Geheimnis wahren. Die Oper war nach der Prager Uraufführung nicht abgeschlossen für Mozart, also versuchte er sie zu verbessern. Für mich bedeutet das, dass wir durch die beiden Fassungen die außergewöhnliche Möglichkeit haben, einen kreativen Entwicklungsprozess nachvollziehen zu können, auf der Suche nach einer für Mozart vielleicht besseren Lösung. Auch deswegen ist es für mich so spannend, nicht bei der Prager Fassung stehen zu bleiben, sondern zu schauen: Was kam danach?

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