Oper

4.48 Psychose

Philip Venables

Kammeroper in einem Akt nach Sarah Kane Deutsch von Durs Grünbein

Premiere 26. April 2019

In deutscher Sprache

Stück-Info

»Um 4 Uhr 48, wenn die Klarheit vorbeischaut für eine Stunde und zwölf Minuten, bin ich ganz bei Vernunft.« Philip Venables’ preisgekrönte Kammeroper aus dem Jahr 2016 nach dem gleichnamigen Schauspiel der englischen Dramatikerin Sarah Kane (1971–1999) führt in 24 situativen Tableaus tief in die Psyche eines von emotionalen Zuständen, Ängsten und Krankheit geprägten Menschen. Dessen ständiger Kampf um Normalität, Liebe, Leben und Akzeptanz rührt tief an, lässt die Grenze zwischen Krankheit und Gesundheit verwischen und stellt immer wieder die Frage: Wie funktioniert ein Leben im Einklang mit sich selbst? In der musikalischen Perspektive von sechs Sängerinnen und zwölf Orchestermusikern weitet sich der Zustand des Unsagbaren in hochpoetischen und zugleich schonungslosen Texten zum fassbaren Raum. Die deutschsprachige Erstaufführung von Tobias Heyder versetzt Darsteller, Musiker und Publikum gleichermaßen in einen an Ausstattung und Aktion auf das Wesentliche reduzierten »Seelenraum«.

Wir weisen darauf hin, dass es an einigen Stellen zu einem erhöhten Lautstärkepegel kommen kann.

Handlung

»4.48 Psychose« umreißt in 24 Szenen die tief emotionalen Zustände einer Psychose. Die Uhrzeit 4 Uhr 48 markiert darin den Beginn einer Stunde zwischen zwei Medikamentendosen, wenn die Wirkung der einen fast ausgeschöpft ist und die Einnahme der nächsten noch bevorsteht, ein Zeitraum größter Klarheit und gleichzeitig tiefster Verzweiflung.

Das bestimmende Thema der inneren Dialoge, Gedankenläufe, Erinnerungsfragmente, Liebesbekenntnisse, aggressiven Ausbrüche gegen das eigene Selbst, Hasstiraden gegen den Rest der Welt, Äußerungen der Sehnsucht und der Verzweiflung, Krankenblatteinträgen, Testergebnissen und Aufzählungen von Medikamenten ist die als unüberwindlich empfundene Kluft zwischen Körper und Seele.

Mit Texten, frei von konkreter Figurenzuweisung und ohne nachvollziehbare Handlung machen 6 Sängerinnen und 12 Instrumentalisten in musikalisch vielschichtigen Szenen aus Gesang, Einspielungen, Sprechtext, Filmsequenzen und Klangkulisse einen kaum fassbaren Zustand sicht- und fühlbar.

Weitere Informationen:
selbsthilfedrei e.V.
deutsche-depressionshilfe.de

Werkeinführung

Die Theaterstücke der englischen Dramatikerin Sarah Kane stehen für kraftvolle, gleichsam berührende wie schonungslos brutale Theaterkunst. In einer einzigartigen Sprache, radikal und hochpoetisch zugleich, erzählt sie in Ihrem letzten Stück, »4.48 Psychose«, von Krankheit, Verlust, Liebe, Akzeptanz und emotionalen Grenzgängen. Der Brite Philip Venables bekam als erster Komponist überhaupt von den Erben der 1999 verstorbenen Autorin die Rechte zur Vertonung, was 2016 zur Uraufführung der gleichnamigen, 100-minütigen packenden Kammeroper führte. In Dresden war 2019 die deutsche Erstaufführung zu erleben. Operndramaturgin Juliane Schunke gibt Einblicke in die Entstehung und die Hintergründe des Werkes und der Inszenierung von Tobias Heyder.

Porträtzeichnung der Dramaturgin Juliane Schunke
Juliane Schunke, Dramaturgin; Zeichnung nach einem Foto von Ian Whalen

Wozu Theater?

Wozu Theater?

von Sarah Kane

Ich bin überzeugt, dass das Theater zu den grundlegendsten menschlichen Bedürfnissen gehört. Ich glaube, wenn eine Stadt durch eine Bombe zerstört wird, suchen die Menschen zunächst nach Nahrung und Unterkunft, und nachdem sie diese Notwendigkeiten erfüllt haben, beginnen sie, ihre Geschichten zu erzählen. Für mich besteht die Aufgabe des Theaters darin, Experimente durch die Kunst in einer Weise zu ermöglichen, wie wir sie im wirklichen Leben nicht effektiv ausführen könnten.

Wenn wir im Theater experimentieren, wie z.B. die Darstellung einer Tat von extremer Gewalt, dann können wir diese Tat durch unsere Interpretation als solche zurückweisen, um die Tat auf der Straße real zu verhindern. Ich glaube, dass Menschen sich verändern können und, dass es uns als Spezies möglich ist, unsere Zukunft zu verändern. Dafür schreibe ich, was ich schreibe.

Wenn das Theater das Leben verändern kann, dann kann es implizit auch die Gesellschaft verändern, denn wir sind alle Teil davon. Ich denke auch, dass es wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass das Theater keine externe Kraft ist, die auf die Gesellschaft wirkt, es ist ein Teil davon, ein Spiegelbild der Art und Weise, wie die Menschen in dieser Gesellschaft die Welt sehen. Splatter-Filme schaffen keine gewalttätige Gesellschaft (obwohl sie sie durchaus aufrechterhalten können); sie sind ein Produkt dieser Gesellschaft. Filme, Bücher, Theater, sie alle repräsentieren etwas, das bereits existiert, wenn auch nur im Kopf eines Menschen, und durch die Repräsentation können sie das, was sie beschreiben, verändern oder verstärken.

Empfehlungen